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Feuilleton

Gewalt, Drogen und Angst: So war "Nullerjahre" am Kleinen Haus

Die Inszenierung des erfolgreichen Romans in Dresden holt die Zuschauer in die Nachwendezeit, macht aber einen Fehler.

Von Johanna Lemke
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Die intensivsten Szenen sind die, in denen ein Video mit wummernder Musik unterlegt wird.
Die intensivsten Szenen sind die, in denen ein Video mit wummernder Musik unterlegt wird. © Sebastian Hoppe

Reglos liegt sie auf dem Spielplatz, das Gesicht in den Kieselsteinen. Nadja hat eben noch „Gas gezogen“, auf dem Spielplatz, sie hat eine Kartusche mit Feuerzeuggas geöffnet und den Inhalt eingeatmet, um sich zu betäuben. Es war ein Zug zu viel: Nadja scheint nicht mehr zu atmen. Nun schweigen alle, die herumstehen. „Nadja?“ ruft Basti verzweifelt.

Doch die Herumstehenden sind Zuschauer eines Theaterstücks, Nadja ist nicht wirklich Nadja und Basti nicht wirklich Basti. Wir sehen eine Szene von „Nullerjahre“, das am Sonntag im Kleinen Haus des Staatsschauspiel Dresden Premiere hatte. Es basiert auf dem gleichnamigen Roman von Hendrik Bolz, einem der vielen Ost-Romane, die in den vergangenen Jahren erschienen sind. Bolz, Jahrgang 1988, beschreibt darin seine Kindheit und Jugend in den Neunziger- und eben Nullerjahren in Stralsund. Es ist eine Geschichte über eine Zeit, in der Eltern arbeitslos wurden und Neonazis die Kontrolle über die Orte übernahmen, als Drogen und Gewalt das Leben bestimmten. Bolz erzählt, wie er selbst zum Täter wurde, um nicht mehr Opfer sein zu müssen – bis er nach Berlin ging, wo er mit einer Rapkarriere begann. Heute ist er Musiker, Autor und Podcaster.

Der Sound des Buchs „Nullerjahre“ ist roh und ehrlich. Doch genau das kann die Inszenierung von Kajetan Skurski nur partiell vermitteln – bei der Spielplatzszene klappt es. Zuvor waren die Zuschauer aus dem Kleinen Haus ins Freie geführt worden, ein Teil des Abends spielt sich zwischen Häusern ab, bevor es in die zweite Spielstätte geht: einen umgebauten Laden in der Hauptstraße. Wir sehen Jugendlichen zu, wie sie sich betäuben, um der Perspektivlosigkeit zu entkommen, die aber eigentlich am liebsten lachen, sich verlieben und Spaß haben wollen.

Leider entsteht eine merkwürdige Schere zwischen Text und Szenen, die Dringlichkeit der Worte will einfach nicht zu den Bildern passen. Der Grund ist, dass die Inszenierung sich enorm mit Zeitkolorit aufhält. Kostüme, Requisiten, Musik und Sprache sollen die Zuschauer in die Nullerjahre hineinversetzen. Die Mädchen tragen tief sitzende Jeans, auf dem Computermonitor wird Solitär gespielt, im Hintergrund läuft Mias „Tanz der Moleküle“ aus dem Jahr 2006. Das führt zu amüsanten Wiedererkennungsmomenten, aber es distanziert auch. Man will sich gern mitreißen lassen, wird aber immer wieder durch Lach-Momente herausgerissen. Es ist entlarvend, dass die intensivsten Szenen jene sind, in denen Videos von Kids zwischen Plattenbauten abgespielt werden, unterlegt mit hämmernder Musik. Das Theater ist an diesem Abend nicht stark genug.

"Nullerjahre", wieder am: 5., 8. und 9.10., je 20 Uhr, Kleines Haus.