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Dresdner Künstler kontert Caspar David Friedrich mit DDR-Popart

Der Dresdner Streetartkünstler Milchmann will dem Hype rund um Caspar David Friedrich mit knalliger Neo-Romantik etwas entgegensetzen. Er plant eine Aktion vor dem Albertinum.

Von Peter Ufer
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Immer mit Maske unterwegs: Der Dresdner Streetartkünstler Milchman.
Immer mit Maske unterwegs: Der Dresdner Streetartkünstler Milchman. © SZ/Veit Hengst

Er klebt zusammen, was nicht zusammengehört. So kombiniert der Dresdner Streetartkünstler Milchmann zum Beispiel bunt bemusterten Stoff von Übergardinen mit Fotos von einer Pulax-Dose, einer Flasche Wofalor und einem Männel. Dessen Körper erinnert an das Sandmännchen im Kosmonautenanzug, der Kopf an Caspar David Friedrich. Für den Künstler, Jahrgang 1978, ein perfektes Bild. Denn sein erklärtes Ziel lautet, den hochverehrten Caspar, Jahrgang 1774, mit Ost-Design zu konfrontieren. So lässt er den Romantiker aus einem DDR-Fernseher schauen, umringt von Barock-Büroleim, Florena-Disco-Club-Deo-Spray und Tortelett-Keksen. Alltag des Ostens trifft Romantik.

Dem 46-Jährigen ist die Kunst nicht heilig, genau genommen ist ihm jede Ehrfurcht vor dem 250. Geburtstag des groß gefeierten Malers völlig egal. „Der Caspar ist in den Wald gegangen, um seine Ruhe zu haben. Für mich sind die Menschen der Wald. Deshalb gehe ich in den Menschenwald und schaue mir die Menschen an“, sagt der Sachse in schönstem Sächsisch. Sein Geld verdient er als Blechbauer im Schichtsystem, seine Kunst erschafft er in der Freizeit. Einen Künstlernamen hat er sich auch gegeben: Milchmann. Der soll an den Liedtext einer US-Rock-Band erinnern.

Schnipsel aus DDR-Druckerzeugnissen

Wenn Milchmann seine Kunst erschafft, begibt er sich in eine Art Paralleluniversum, um einerseits dem Fabrikalltag zu vergessen, aber vor allem um dem permanenten Druck seiner Fantasie freien Lauf zu lassen. Er bastelt in seiner Wohnung mit Filzstift, Schere, Kamera, Computer, Fotos und Papier bizarre Collagen. In seinen meist 30 bis 40 Zentimeter großen Motiven kombiniert er Schnipseln aus DDR-Druckerzeugnissen: Fernseher, Waschmittel, Fluor-Zahnpasta oder Worcester-Sauce plus Textilmuster.

Damit knüpft er unvermittelt an Werke des amerikanischen Objektkünstlers Robert Rauschenberg an. Im weitesten Sinne bewegt sich Milchmann im Popart-Kosmos eines Richard Hamilton, Andy Warhol oder Roy Lichtenstein. Sie waren es, die sich ab den 1950er-Jahren mit der Hochkultur auf scheinbar banale Weise auseinandersetzten, um die bestehenden Vorstellungen von Kunst sowie von Künstlern zu untergraben. Richard Hamilton listete in einem Brief an seine Freunde mal auf, was er unter Popart verstand: Populär (bestimmt für ein Massenpublikum), vergänglich (eine kurzfristige Lösung), entbehrlich (schnell vergessen), billig, massengefertigt, jung (auf die Jugend ausgerichtet), witzig, sexy, effekthascherisch, glamourös, stark gewerblich.

CDF trifft DDR
CDF trifft DDR © SZ/Veit Hengst

Da stimmt Milchmann zu, würde allerdings nie behaupten, sich in irgendeiner künstlerischen Tradition zu bewegen. Seit rund 10 Jahren tut er einfach das, was er nicht mehr lassen kann. Begonnen hat er mit verrückten Figuren. „Irgendwie habe ich damit den Tod meiner Mutter verarbeitet“, sagt der Single. Aus dem Nachlass der Vorfahrin nahm er zum Beispiel eine Monchichi-Puppe, amputierte die Arme und verleimte sie mit einer anderen Figur. Muttis türkisen Bademantel verwandelte der Sohn in Kunstrasen für den Ständer seiner skurrilen Skulpturen. Zu Hause in Vitrinen und auf Schränken harren die schrägen Wesen aus. Ein Puppenkopf mit blutendem Auge, ein Mensch mit Vogelkopf und überall Hasen mit vier, fünf oder sechs Augen.

„Die meisten Sachen finde ich auf Trödelmärkten. Jeden Samstag bin ich unterwegs“, sagt der Facharbeiter. Da fand er zum Beispiel den roten 70er-Jahre-Plastik-Affen und versah ihn mit beweglichen Gelenken, er erschuf eine mechanische Puppe zum Aufziehen, einen Herrn im Frack mit Katzenkopf oder Puppenkörper mit Fernseher als Schädel. Weit über hundert Figuren setzte der Milchmann zusammen und stellte sie erstmals 2019 in der Galerie von Holger John aus.

Diesmal bringt er den romantischen Altmeister, der von 1798 bis zu seinem Tod am 7. Mai 1840 in Dresden lebte, in ein satirisches Zwielicht. Schließlich geht dem Milchmann der ganze Kommerz rund um den deutschen Maler gehörig auf die Nerven. Alles wird vermarktet, Caspar David Friedrich kann sich nicht wehren, wenn seine Motive auf Socken, Beuteln, Puzzles, Shirts, Handy-Hüllen, Geschenkkugeln, Schokoladen, Radiergummis, Bleistiften oder Seifenverpackungen gedruckt werden. Milchmann nimmt sich aus dem komischen Kommerz völlig raus, er will vielmehr etwas gegen den ganzen gewinnorientierten Blödsinn setzten. Deshalb baut er DDR-Popart im Widerspruch zu dem staatlich etablierten Kunstlobbyismus. Kritik an seinen Klebewerken nimmt er gelassen hin. „Da bin ich ganz entspannt.“

„Ich erschaffe aus altem Müll neuen Müll“

Milchmann produziert sogenannte „Paste-ups“. Er verkündet lachend: „Ich erschaffe aus altem Müll neuen Müll.“ Seine Trash-Kunst zeigte er kürzlich in einem Plattenladen an der Rothenburger Straße. „Art Meets Street“ hieß die witzige Schau. Zurzeit finden sich Werke von ihm in einem leeren Laden im Quartier an der Frauenkirche. Milchmann pappt seine Unikate auch regelmäßig an Häuserfassaden. Aufkleber seiner Kunst zieren Laternenmasten, Trafohäuschen und Verkehrsschilder.

Erst vor zwei Tagen verwandelte er die Mauer in der Glacistraße 22 in der Dresdner Neustadt in eine Streetart-Galerie. „Wände sind für mich Leinwand“, sagt der Autodidakt und gibt zwar seine Werke frei, aber nicht sich selbst. Über sein Gesicht zieht er bei seinen Aktionen eine bunte Hasenmaske, die ihn davor bewahren soll, erkannt zu werden. Er lief auch schon mit Kapitänsmütze und Mundschutz durch die Stadt. Underground funktioniert bei ihm anonym samt Kostüm.

Streetartkünstler Milchmann vor einer von ihm gestalteten Mauer auf der Glacisstraße in Dresden.
Streetartkünstler Milchmann vor einer von ihm gestalteten Mauer auf der Glacisstraße in Dresden. © SZ/Veit Hengst

Doch er stromert nicht nur die Neustadt, sondern erweitert sein Kunstrevier, stellt sich vor staatlich etablierte Expositionsorte. So platzierte er sich kürzlich vor dem Albertinum, fotografierte sich samt seiner knallig bunten Neo-Romantik, versah die mit dem Text: „Klopf, klopf, lasst mich rein“. Danach mailte er das Werk an die Chefs des Kunstmuseums. Der Kurator für die Caspar-David-Friedrich-Ausstellung fand das durchaus lustig und lud den Anti-CDF zur Eröffnung ein. „Privataudienz im Albertinum, was will ich mehr?“, sagt Milchmann und feixt.

Zur Eröffnung am Freitag wird Milchmann aber zunächst gegen 17.30 Uhr vor dem Albertinum auf und ab gehen, um zu zeigen, dass die Malerei von gestern ein Gegenstück im Heute braucht. „Bei der CDF-Ausstellung in Hamburg wurde das mit Gegenwartskünstlern versucht, war am Ende aber sehr etabliert“, meint der Dresdner. Die Ausstellungsmacher in der Hafenstadt stellten 20 Werke von 20 zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern neben Friedrich. Die Gegenwartskunst sollte zeigen, wie aktuell der Blick des Romantikers 2024 ist. Doch von der Straße sei da nichts gekommen, kritisiert Milchmann.

Seine Kunst ist kostenlos

Das soll jetzt in Dresden anders werden, wo alles begann, muss es auch weitergehen. Milchmann fordert Friedrich heraus, aber vor allem das Publikum. Deshalb zieht er dem Caspar David schon mal einen gelb-rot-karierten Anzug an, platziert einen Schulranzen aus Rindsleder in seiner Hand und lässt ihn so aussehen, als müsste der ABC-Schütze gleich zur Schuleinführung.

Die CDF-Ausstellungen in Hamburg und Berlin seien einfach nur schön gewesen, meint Milchmann. In Dresden ändere sich das und es gebe sogar Geschenke. So stellte er Flaschenöffner mit CDF-Logo her oder kleine Bildchen. Nichts davon will er verkaufen, sondern einfach kostenlos an die Besucher verteilen. Damit führt er die Staatlichen Kunstsammlungen auch ein Stück vor, denn auf die Idee sind sie nicht gekommen. Alles bleibt fein im Goldrahmen, anstatt einfach mal aus dem Rahmen zu fallen und nachzusehen, was die Gegenwart erwartet.