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Der Romantiker in uns ist auf der Strecke geblieben, sagt die Autorin Angela Krauß

Die Leipziger Schriftstellerin Angela Krauß offenbart in ihrer Kamenzer Rede Elend und Lust ihres Schreibens.

Von Karin Großmann
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Bereits zum 11. Mal fand die Kamenzer Rede in St. Annen statt: mit Angela Krauß.
Bereits zum 11. Mal fand die Kamenzer Rede in St. Annen statt: mit Angela Krauß. © Carsta Off

Ein Leben lässt sich mit Worten erfassen. Man kann es festhalten, in eine Form zwingen, bändigen. Und was passiert dann? Es erstarrt. Das sei der tiefste Widerspruch ihres Berufes, sagt die Schriftstellerin Angela Krauß. „Die Formulierung verkleinert die Welt. Ohne Formulierung jedoch ist die Welt nicht ertragbar.“ Am Donnerstagabend sprach die Leipziger Autorin in der Museumskirche St. Annen in Kamenz. Sie gab Einblick in ihre Poetik, in „Elend und Lust“ ihrer Profession. „Ich bin eine, die permanent nach Worten sucht. Wofür? Für das, was ist.“ Es war die elfte Rede in einer Reihe, die sich in den gesellschaftlichen Diskurs einmischen will. Friedrich Schorlemmer hatte die Reihe 2014 begonnen. Oberbürgermeister Roland Dantz bat das Publikum um eine Schweigeminute für den Theologen, der am Montag gestorben ist.

Der Theologe Friedrich Schorlemmer eröffnete 2014 die Reihe der Kamenzer Reden.
Der Theologe Friedrich Schorlemmer eröffnete 2014 die Reihe der Kamenzer Reden. ©  dpa/Jan Woitas

Auch Schorlemmer hatte ein feines Gespür für Worte und Widersprüche. Ihm hätte vielleicht der Begriff vom „vergeistigten Herzen“ gefallen. Damit beschreibt Angela Krauß zwei Aspekte des Lebens und ihres Schreibens, die unvereinbar scheinen. Auf der einen Seite sieht sie all das, was als Vernunft, Verstand, Wissen und Rationalität gerühmt wird und was den Menschen aus der „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ geführt habe. Auf der anderen Seite sieht sie das Gefühl, etwas Vages, Unmittelbares und Unbestimmtes. Zwischen beide Pole sei der Einzelne bis zum Zerreißen gespannt. Auch Lessing, der Dramatiker aus Kamenz, habe sich von der Unvereinbarkeit beider Seiten nie freimachen können. Krauß zitiert ihn mit dem Satz: „Das ist der garstige breite Graben, über den ich nicht kommen kann, so oft und ernstlich ich auch den Sprung versucht habe.“

Die 74-jährige Schriftstellerin wagt den Sprung mit jedem neuen Werk. Sie stammt aus Chemnitz, studierte am Leipziger Literaturinstitut und begann ihre Karriere in der DDR mit dem Band „Das Vergnügen“, erschienen 1984 im Aufbau-Verlag. Ihr 15. Buch kam kürzlich bei Suhrkamp heraus. „Eine Literatur, die funkelndes Sprachvermögen und philosophische Reflexion miteinander verbindet“, lobt die Jury, die Angela Krauß für den Sächsischen Literaturpreis in diesem Jahr auserkor. Sie schreibe ihre Prosa wie Lyrik, sagt die Autorin.

Auf dem Weg in die „neue KI-gestützte Unmündigkeit“

Ihre Rede ist ein abwägendes und behutsames, nie eiferndes Kreisen der Gedanken. Keine Absage an den Verstand, der die Welt analytisch zergliedert. Ohne Verstand könne man weder Häuser, Brücken, Windräder noch Teilchenbeschleuniger bauen. Er setze der mäandernden Gefühlswelt Struktur und Ordnung entgegen. Doch mit kritischem Unterton fragt Angela Krauß: „Haben wir uns in den letzten Jahren etwa unseres eigenen Verstandes bedient?“ Im wellenförmigen Auf und Ab der Entwicklung sieht sie die Gesellschaft der Gegenwart auf einer rasanten Fahrt hinab in die Tiefe. Die Informationsflut sei nicht mehr zu bändigen. Die Kontrolle entgleite. Ein Gesetz des Zerfalls scheine am Werk zu sein. Der Mensch werde nicht klüger, wenn ihn neue Technologien vom Selberdenken befreien. Er sei auf dem Weg „in seine neue KI-gestützte Unmündigkeit“. Angst und Argwohn verdünnten die Luft zum Atmen, heißt es in ihrem jüngsten Buch.

Zur Aufklärung gehört für Krauß die Verklärung

Die Schriftstellerin vermisst im Wettbewerb um die Welt die andere Seite: „Der Romantiker in uns ist auf der Strecke geblieben.“ Zur Aufklärung gehört für Krauß die Verklärung. Mit dem Begriff verbindet sie nichts Negatives. „Wir verklären die Welt ständig“, sagt sie im Gespräch mit Moderator Michael Hametner, „je nachdem, wie wir gestimmt sind.“ Die Wahrheit sieht sie im Einzelnen, der keinem erkennbaren Trend folgt und ausgestattet ist mit Herz und Verstand. Ihn nennt sie Freund, Seelenverwandten, Geliebten. Es kann auch der Postbote sein. Eher kein Literaturwissenschaftler. Angela Krauß zitiert mit spöttischem Lächeln aus dem Brief eines germanistischen Forschungsprojekts, der sich als roter Faden durch ihre Rede zieht. Sie könne im Online-Fragebogen zwischen sechs möglichen Antworten wählen... Als ob Poesie mit Ankreuzen zu erklären wäre.