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Corinna Harfouch und ein Film wie eine Sternschnuppe

In der Bestseller-Adaption „Was man von hier aus sehen kann“ spielt Corinna Harfouch eine verträumte Einzelgängerin.

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Corinna Harfouch bei der Premiere des Films "Was man von hier aus sehen kann".
Corinna Harfouch bei der Premiere des Films "Was man von hier aus sehen kann". © dpa

Von Andreas Körner

Was man von hier aus sehen kann, ist nur in den seltensten Fällen ein Okapi. Für den Anblick dieser kleinwüchsigen Waldgiraffe müsste man schon gen Afrika reisen. Selma aber ist seit Jahrzehnten aus ihrem Dorf im Westerwald nicht herausgekommen. Dort gibt’s nicht einmal einen Zoo, was die würdevoll gereifte Frau jedoch nicht daran hindert, ab und an von einem Okapi zu träumen. Und immer, wenn es geschieht, stirbt ein Mensch aus der näheren Umgebung. Es ist wie ein Fluch.

Nun ist das mit dem Westerwald so eine Sache. Denn verorten lässt sich die Geschichte von Mariana Leky jetzt, da sie aus Romanseiten ihren Weg auf die Leinwand gefunden hat, nicht so recht. Auch zeitlich wird man beim Zusehen Probleme bekommen, konkret zu werden, und es liegt keinesfalls nur an den inszenierten Sprüngen. Das ist wunderbar. So wunderbar wie das Figurenkabinett, der spinnerte Tonfall des Films, die magisch schwebenden Bilder herrlicher Requisiten und Kulissen sowie dieses fürs deutsche Kino Höchstmaß an Fantasie und zart gegartem Humor.

Corinna Harfouch als Großmutter Selma in einer Szene des Films "Was man von hier aus sehen kann".
Corinna Harfouch als Großmutter Selma in einer Szene des Films "Was man von hier aus sehen kann". © Studiocanal GmbH

Dass „Was man von hier aus sehen kann“ von Aron Lehmann adaptiert wurde, ist so trefflich wie logisch. Die Landstriche hier sind nicht so sehr gesegnet mit Regisseuren vom Schlage eines Tim Burton, Michel Gondry, Terry Gilliam oder Jean-Pierre Jeunet. Abgesehen davon, dass sie, würden sie denn existieren, keinen so leichten Stand hätten. Man goutiert bei uns ja eher das gesprochene Drama statt des entrückten Spiesl über Liebe und Tod.

Mit „Das schönste Mädchen der Welt“ hatte Aron Lehmann, selbst in einem Dorf aufgewachsen, 2018 einen grandiosen Jugendfilm ohne Mindestverbrauchsdatum erschaffen und damit seinen Anspruch angemeldet, sich keineswegs nur mit der Nische im Kino zufriedenzugeben, in der seine Filme „Kohlhaas oder Die Verhältnismäßigkeit der Mittel“, „Highway To Hellas“ und „Die letzte Sau“ gelandet waren. Mit dem Abstand der Jahre erscheinen sie wie Präparationen auf den Klang einer wirklich eigenen Note.

Luna Wedler (vorn) als Luise, Karl Markovics als Optiker und Corinna Harfouch als Großmutter Selma in einer Szene des Films "Was man von hier aus sehen kann".
Luna Wedler (vorn) als Luise, Karl Markovics als Optiker und Corinna Harfouch als Großmutter Selma in einer Szene des Films "Was man von hier aus sehen kann". © Studiocanal GmbH

Mariana Lekys „Was man von hier aus sehen kann“ – ein über 700.000-mal verkaufter und in 22 Sprachen übersetzter Roman – kam Lehmann gerade recht. Die Dialoge des Buches, sagt er, waren für ihn wie ein Topf mit Rosinen, aus dem er sich die größten heraussuchen konnte. Leky erinnert daran, dass sie „Skurrilitätsbeauftragte“ genannt wurde, dabei ließe sie ihren Charakteren einfach all die Eigenheiten. Da haben sich die Richtigen gefunden.Das Dorf ist namenlos. Auch der Optiker heißt nur Optiker und kürt sich selbst zum Mitarbeiter des Monats. Dem Blumen-, Buch- und Eisladen werden noch die hochtrabenden Titel verweigert. Der Postbote kommt per Fahrrad, ist also in jedem Falle dem Blitz ausgeliefert, der ihn treffen könnte und letztlich trifft, weil Selma wieder von einem Okapi geträumt hat.

Apropos Selma (Corinna Harfouch, langgrauhaarig): Für Enkelin Luise (Luna Wedler, eigensinnig) war die früh Verlassene in all den Jahren so etwas wie die Schutzbefohlene, berufen aufgrund eines frühen Sturzes durch den Holzboden im Haus mit Entenbraten in der Hand.

Großes Miteinander gab es nie im Dorf, jeder köchelt hier, unabhängig von Generationen, am eigenen Süppchen. Besagter Optiker (Karl Markovics, österreichisch) wird bis zum Schluss brauchen, um über einen Koffer voll unvollendeter Briefe seine tiefe Liebe zu Selma zu gestehen. Die gern ruppige Marlies (Rosalie Thomass, schwarzzottelig) verweigert sich konsequent der guten Laune, und Elsbeth (Hansi Jochmann) lässt ein Rudel buddhistischer Mönche bei sich einkehren, aus dem Jüngling Frederik (Benjamin Radjaipour) in erster Linie ihn selbst überwältigende Gefühle für Luise entwickelt, ihr aber endlich helfen könnte, das Trauma eines frühen Verlustes zu überwinden.

Selma hatte auch damals von einem Okapi geträumt, und die Wirklichkeit fiel durch die Türen eines roten Schienenbusses. Luise (jung: Ava Petsch) dachte dereinst, das mit Martin (Cosmo Taut) sei für die Ewigkeit bestimmt.

Beste Unterhaltung mit echtem Herzkino

Manchmal hilft es ja im Leben, sich gegenseitig hochzuheben. Oder einen Hund zu halten, der nicht altern will. Oder eine Schnapspraline zu schnabulieren, auch wenn man kein Känguru ist. Manchmal sind Erzählstimmen in einem Film so gar nicht nervig, weil sie von den Damen Harfouch und Wedler stammen. Und manchmal darf man auch im deutschen Kino einer Sternschnuppe in einem haltlos vor sich hin wirbelnden Kosmos begegnen. Aaron Lehmanns „Was man von hier aus sehen kann“ ist von diesem Schlag. Gute Unterhaltung? Nein: beste. Herzkino, das diesen Namen verdient.

Der Film startet in Dresden (Programmkino Ost, Schauburg).