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Nach Äußerungen zu Gaza-Krieg: Berlinale distanziert sich von Preisträgern

Bei der Berlinale konnten sich viele Künstler auf ihre Haltung zum Krieg in Nahost einigen. Damit fütterten sie den Vorwurf, die Kulturbranche sei israelfeindlich. Das Filmfestival verteidigt sich.

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Ben Russell (l) und Servan Decle (r) tragen Palästinensertücher bei der Abschlussgala im Berlinale Palast auf der Bühne.
Ben Russell (l) und Servan Decle (r) tragen Palästinensertücher bei der Abschlussgala im Berlinale Palast auf der Bühne. © dpa

Berlin. Die Berlinale hat sich von den Äußerungen einzelner Filmschaffender zum Krieg in Nahost bei der Preisverleihung am Samstagabend distanziert. "Die Äußerungen von Preisträger*innen sind unabhängige individuelle Meinungen. Sie geben in keiner Form die Haltung des Festivals wieder", teilte eine Berlinale-Sprecherin der Deutschen Presse-Agentur auf Nachfrage mit. "Solange sie sich innerhalb der gesetzlichen Grenzen bewegen, müssen wir sie akzeptieren", hieß es weiter. Die Berlinale habe Verständnis dafür, dass die Äußerungen einiger Preisträgerinnen und Preisträger "als zu einseitig empfunden wurden" - wies aber auch darauf hin, dass Meinungsäußerungen bei Kulturveranstaltungen nicht grundsätzlich verhindert werden könnten und sollten.

Während der Preisverleihung am Samstagabend hatten mehrere Preisträger sich in einer Weise zum Gaza-Krieg geäußert, die für Kritik sorgte. Auffällig war nach Ansicht von Kritikern vor allem, dass viele Beteiligte auf der Bühne einseitig Vorwürfe gegen Israel erhoben, ohne den Terrorangriff der islamistischen Hamas vom 7. Oktober 2023 zu erwähnen oder eine Rückführung der israelischen Geiseln zu fordern.

Lediglich die Co-Chefin der Berlinale, Mariette Rissenbeek, hatte andere Töne angeschlagen: "Wir fordern Hamas auf, die Geiseln umgehend freizulassen und wir fordern Israel dazu auf, alles erdenklich Mögliche zu tun, um die Zivilbevölkerung in Gaza zu schützen und dafür zu sorgen, dass dauerhaft Frieden in der Region wiederkehren kann."

Der Zentralrat der Juden wies auf X (ehemals Twitter) am Sonntagabend darauf hin, dass bei der Berlinale "schon wieder eine der wichtigsten Kulturveranstaltungen in Deutschland für ideologische Hetze gegen Israel und Juden missbraucht" wurde. Damit spielt der Zentralrat wohl auf die vergangene documenta fifteen im Jahr 2022 an, die vom Umgang mit als antisemitisch kritisierter Kunst überschattet wurde.

Die Berlinale war in diesem Jahr besonders stark von politischen Debatten geprägt. Bereits bei der Eröffnungsgala hatten einige Filmschaffende ein Ende der Kämpfe in Gaza zwischen Israel und der Hamas gefordert. Bei der Preisverleihung am Samstag trugen mehrere Menschen auf der Bühne Zettel mit der Aufschrift "Ceasefire Now" (etwa: "Feuerpause jetzt") - womit sie für ein Ende der militärischen Aktionen Israels gegen die Terrororganisation Hamas in Gaza protestierten.

Opfer eines Hackerangriffs?

Hinzu kam am Sonntag ein israelfeindlicher Beitrag auf der Instagram-Seite der Panorama-Sektion der Berlinale, der schnell wieder gelöscht wurde und im Anschluss als Screenshot auf X kursierte. Auf einem Foto war der Spruch "Free Palestine - From the River to the Sea" ("Befreie Palästina - vom Fluss bis zum Meer") zu sehen. Mit dem Satz ist gemeint, es solle ein freies Palästina geben auf einem Gebiet vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer - dort, wo sich jetzt Israel befindet.

Das Filmfestival distanzierte auch hiervon und gab an, Opfer eines Hackerangriffs geworden zu sein. "Dass jemand einen Berlinale Social-Media-Kanal für antisemitische Hetze missbraucht, ist unerträglich", hieß es auf Nachfrage der dpa. Die Posts seien sofort gelöscht worden, zudem werde untersucht, wie es zu dem Vorfall habe kommen können. "Und wir haben Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt. Wir verurteilen diesen kriminellen Akt aufs Schärfste."

Berlinale blieb sich bis zum Finale treu

Geprägt von politischen Botschaften haben die Filmfestspiele am Samstag ihre Auszeichnungen vergeben. Zum zweiten Mal in Folge gewann ein Dokumentarfilm den wichtigsten Preis, den Goldenen Bären: "Dahomey" von der in Frankreich geborenen Regisseurin Mati Diop. Ihr Film setzt sich mit der Rückgabe von Kunstschätzen auseinander, die 1892 aus dem westafrikanischen Benin, damals Dahomey, geraubt wurden.

Die 41-Jährige mit senegalesischen Wurzeln folgt in "Dahomey" 26 Statuen auf der Reise aus Frankreich in ihr Ursprungsland. Insgesamt wurden vor rund 130 Jahren Tausende Kunstwerke gestohlen, die sich noch heute in Frankreich befinden.

Rückgabe von Kunstobjekten schon länger Thema - auch in Deutschland

Die experimentelle Doku fesselt mit poetischen Passagen - zum Beispiel spricht mehrmals eines der Kunstwerke aus dem Off. Ein Teil des Films zeigt eine Diskussion in Benin unter überwiegend jungen Menschen. Dabei streiten sie darüber, ob die Rückgabe als Fortschritt oder als postkoloniale Arroganz zu werten ist. Diskutiert werden zudem aktuelle Probleme des Landes wie Armut und Bildungsnotstand.

Regisseurin Mati Diop hat den Goldenen Bären in der Kategorie Bester Film für "Dahomey" bekommen.
Regisseurin Mati Diop hat den Goldenen Bären in der Kategorie Bester Film für "Dahomey" bekommen. © dpa

Die Rückgabe von Kunstobjekten ist in Frankreich und auch in Deutschland schon länger Thema. 2018 teilte der französische Präsident Emmanuel Macron mit, die 26 Objekte an Benin zurückzugeben. Bei den Artefakten handelt es sich unter anderem um Statuen, Schmuck und einen Thron. Der beninische Präsident Patrice Talon sprach sich für die Restitution weiterer Werke aus. Schätzungen zufolge hortet Europa mehr als 90 Prozent des afrikanischen Kulturerbes. "Zurückzugeben heißt, Gerechtigkeit zu üben", sagte Diop, als sie den Preis entgegennahm.

Menschen träumen von meinem Film: Preisträger Matthias Glasner

Vergeben wurden auch mehrere Silberne Bären. Einer ging an den deutschen Regisseur Matthias Glasner für das Drehbuch seines emotional aufgeheizten Dramas "Sterben". In dem Film mit Corinna Harfouch und Lars Eidinger in Hauptrollen hat der Regisseur die komplexe Beziehung zu seiner Familie verarbeitet. Glasner hatte vorab die Sorge, das Drama sei vielleicht zu persönlich.

Lilith Stangenberg (l-r), Schauspielerin, Matthias Glasner, Regisseur, Corinna Harfouch, Schauspielerin, und Lars Eidinger, Schauspieler, vom Film «Sterben»
Lilith Stangenberg (l-r), Schauspielerin, Matthias Glasner, Regisseur, Corinna Harfouch, Schauspielerin, und Lars Eidinger, Schauspieler, vom Film «Sterben» © dpa

Doch viele Leute habe es bewegt. "Ich werde wirklich seit Tagen alle paar Meter angehalten von Menschen, die sagen: 'Toller Film, hat mich so berührt, ich träum' davon'", sagte Glasner am Samstagabend der Deutschen Presse-Agentur. Und ergänzte: "Das hat sich irgendwie gelohnt, dass wenn man sich selber so doll öffnet, dass andere sich dann auch öffnen".

"Ich verstehe nicht, was Sie in meinem Film sehen" - Regie-Veteran Hong Sangsoo

Der Große Preis der Jury ging an die melancholische Komödie "Yeohaengjaui pilyo" ("A Traveler's Needs") des südkoreanischen Regie-Veteranen Hong Sangsoo mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle. "Ich verstehe nicht, was Sie in meinem Film sehen", sagte Sangsoo sichtlich bescheiden zur Jury auf der Bühne.

Der rumänisch-US-amerikanische Schauspieler Sebastian Stan wurde zum besten Hauptdarsteller für seine Leistung in der Tragikomödie "A Different Man" gekürt. Die Britin Emily Watson erhielt den Preis für die beste Nebenrolle in "Small Things Like These". Die 57-Jährige kam wegen eines gebrochenen Fußes mit einer Krücke auf die Bühne.

Aaron Schimberg (l-r), Regisseur, Renate Reinsve, Schauspielerin, Adam Pearson, Schauspieler, und Sebastian Stan , Schauspieler, vom Film "A Different Man".
Aaron Schimberg (l-r), Regisseur, Renate Reinsve, Schauspielerin, Adam Pearson, Schauspieler, und Sebastian Stan , Schauspieler, vom Film "A Different Man". © dpa

Der Franzose Bruno Dumont erhielt den Preis der Jury für die Sci-Fi-Parodie "L’Empire". Den Silbernen Bären für die beste Regie gewann Nelson Carlos De Los Santos Arias für "Pepe", einen Experimentalfilm über ein totes Nilpferd in Kolumbien. Für seine herausragende künstlerische Leistung im Historiendrama "Des Teufels Bad" wurde der österreichische Kameramann Martin Gschlacht geehrt.

Neue Berlinale-Spitze ab April

"Ich kann mich auch kaum an Zeiten erinnern, die derart politisch waren", sagte Schauspieler Eidinger nach der Preisverleihung. Es wäre "fatal, wenn man das komplett ausblenden oder ausklammern würde für so eine Veranstaltung."

Die Berlinale gilt seit jeher als politischstes der weltgrößten Filmfestivals. 2023 hatte der Dokumentarfilm "Sur l'Adamant" den Goldenen Bären gewonnen. Für das Leitungsduo Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian war dies die fünfte und damit letzte Berlinale in ihrer Funktion. Ab April übernimmt Tricia Tuttle. Die US-Amerikanerin saß bei der Preisverleihung strahlend im Publikum. Mit einem Publikumstag geht das Festival am Sonntag zu Ende. (dpa)