"Es geht bei KI vor allem darum, Dinge besser zu machen"
Der Dresdner Richard Socher will mit seiner Firma You.com im Silicon Valley Google den Rang ablaufen. Im Interview spricht der KI-Experte über seine Vision und warum KI nicht mehr aufzuhalten ist.
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Dresden/Palo Alto. Richard Socher gilt als ein Wegbereiter für Entwicklungen wie Chat-GPT. Der in den USA lebende Dresdner wurde einmal als "Wunderkind der Künstlichen Intelligenz" bezeichnet. Im Interview erklärt er, wieso man vor KI keine Angst haben müsse, dass sich Europa ein bisschen selbst im Weg steht, und wie er vom Silicon Valley aus mit der Suchmaschine You.com das Internet revolutionieren will. Das Interview ist ein Auszug aus einem Gespräch im Podcast "Thema in Sachsen".
Herr Socher, Sie wollen mit Ihrem KI-Start-up You.com nichts Geringeres erreichen, als Google den Rang abzulaufen. Was kann Ihre Suchmaschine besser als die des Technologieriesen?
Der große Unterschied ist, dass wir dem Nutzer nicht nur eine Liste mit blauen Links und viel Werbung vorlegen, sondern dessen Fragen wirklich beantworten. Man gibt seine Frage wie in einem Chat ein und die KI generiert einen verständlichen Text als Antwort unter Angabe von Quellen.
Was ist daran der Vorteil?
Es gibt mehrere. Man kann einfache Suchen erledigen oder sich sehr komplexe Fragen beantworten lassen. Die KI kann Bilder generieren, Essays schreiben, programmieren, schwierige mathematische Probleme lösen oder bei Fragen in Physik und Chemie helfen. Der entscheidende Vorteil aber ist die Geschwindigkeit. Man muss sich You.com wie einen Assistenten vorstellen, der auf einen Schlag zehn oder mehr Webseiten durchliest und binnen anderthalb Sekunden eine verständliche Antwort liefert. Wenn man googelt, bekommt man das nicht, sondern man muss die Seiten, die aufgelistet werden, alle selbst öffnen und lesen, um den Inhalt zu verstehen.
Nun kann Google aber Milliarden in KI investieren. Ihr Start-up ist mit 20 Millionen US-Dollar Kapital vor zwei Jahren verhältnismäßig klein gestartet. Um mal einen Fußballvergleich zu bringen: Es heißt immer, dass viel Geld auch viele Tore schießt. Ist das bei der KI-Entwicklung anders?
Das stimmt, wir sind mit 20 Millionen Dollar gestartet und haben dann noch einmal 25 Millionen Dollar durch Investoren bekommen. In der Geschichte der Technologie gab es aber schon Momente, wo eine kleine Firma mit einem anderen Ansatz am Ende eine größere Firma überholen konnte. Ein Beispiel dafür ist Google selbst. Das Unternehmen wollte am Anfang seinen Algorithmus eigentlich verkaufen. Aber niemand griff zu. Der Rest ist bekannt: Google hat alle überholt. Natürlich hat der Konzern unendliche Ressourcen, aber es ist schwierig für ihn, sein gesamtes Businessmodell zu verändern, um von Linklisten mit Werbung auf eine Suche mit Antworten wie in einem Chat umzusteigen. Genau darin sehen wir unsere große Chance.
Sie sind schon sehr lange im KI-Geschäft, waren Chefentwickler beim Weltkonzern Salesforce, davor Forscher an den Universitäten Princeton und Stanford. Wie bewerten Sie diese unheimliche Dynamik im KI-Bereich seit gut einem Jahr?
Es ist unglaublich spannend, was passiert ist, seit Open AI Chat-GPT rausgebracht hat. Die Technologie gab es zwar vorher schon, aber die wirklich so zusammenzupacken, dass Menschen damit interagieren können, hat sehr viele Forscher motiviert, jetzt erst richtig loszulegen. Es ist eine riesige Aktivität in dem Thema, sowohl in der Forschung als auch in den Anwendungen, also der Wirtschaft. Das Schöne ist: Beide Seiten kommen immer näher aneinander heran. Darüber freue ich mich, weil ich selbst auch zehn Jahre lang Grundlagenforschung in diesem Bereich gemacht habe.
"KI wird sehr viele digitalisierte Jobs verändern"
Es ist aber auch kein Geheimnis, dass die Dynamik bei vielen Menschen Ängste auslöst. Vor allem in der Arbeitswelt …
KI wird sehr viele digitalisierte Jobs verändern und teilweise automatisieren. Es wird Veränderungen geben. Aber Menschen, die KI nutzen, können effizienter werden. Ein Beispiel: Man könnte sagen, dass Bibliothekare ihre Jobs verloren haben, weil die Menschen irgendwann auf Google gesucht haben, statt in die Bibliothek zu gehen. Aber Google hat so viel mehr Jobs generiert, als Bibliothekare aufhören mussten. Weil auf einmal theoretisch alle Menschen Zugang zu Information bekommen haben. Und so sehe ich das auch mit dem Einzug von KI in die Arbeitswelt.
Das klingt sehr optimistisch.
Es geht bei KI vor allem darum, Dinge besser zu machen. Im Servicebereich, im Marketingbereich, im Verkaufs- und Vertriebsbereich kann KI unterstützen. Sie kann auch mit einem Menschen zusammen Kunst generieren. Die Fähigkeit zu malen, ist keine Schranke mehr, um eigene kreative Ideen in die Wirklichkeit zu bringen.
Das bedeutet aber auch eine Abwertung des Handwerks, wenn hinter einem Kunstwerk kein Mensch mehr, sondern eine Maschine steckt.
Natürlich wird das sehr kritisch gesehen, vor allem von Illustratoren. Vielleicht noch ein Vergleich: Bevor es die Druckpresse gab, mussten Mönche von Hand mühevoll und sehr langsam Bücher abschreiben, um sie zu vervielfältigen. Dann kam die Druckpresse. Die Mönche hatten dann zwar weniger zu tun, aber es gab viel mehr Bücher. Wenn es also das Ziel ist, mehr Kunst zu haben und mehr Menschen zu befähigen, kreativ zu werden, dann kommen wir mit KI diesem Ziel näher.
"Die KI wird nicht selbstständig, sie hat kein eigenes Bewusstsein"
Entscheider aus der Technologiebranche haben vergangenes Jahr in einer gemeinsamen Stellungnahme auf die Gefahren von KI hingewiesen und führende Firmen aufgefordert, den Fuß etwas vom Gas zu nehmen. Auf welcher Seite stehen Sie: Tempo runter oder durchstarten?
Es wird vielleicht alles etwas schneller gehen als es mit dem Etablieren des Internets gedauert hat, aber KI wird nicht über Nacht alles verändern. Und Ängste, die durch KI geschürt werden, haben häufig nichts mit der Realität zu tun. Die KI wird nicht selbstständig, sie hat kein eigenes Bewusstsein. Sie macht das, was wir von ihr wollen. Natürlich wollen nicht alle Menschen immer das Richtige. Aber KI kann jetzt schon bei vielen Problemen helfen: bei Krebserkrankungen oder beim Entwickeln neuer Batterien für Autos. Und um die Frage zu beantworten: Manche Länder haben auch länger gebraucht, um Elektrizität zu nutzen und haben sich dadurch weniger schnell entwickelt. Bei der KI ist es genauso. Es ist ein Wettlauf. Und die Wahrscheinlichkeit, dass alle zusammen sagen, lasst uns einfach ein bisschen langsamer rennen, die geht gen null.
Wo sehen Sie in diesem Wettlauf speziell Deutschland?
Deutschland war bei der Entwicklung großer Technologien wie etwa Motoren Vorreiter. Aber das Land hat es verpasst, bei Computern und im Internet richtig mitzugestalten. Die großen Internetfirmen sind jetzt in den USA. Die Hoffnung ist, dass es möglicherweise mit der KI-Entwicklung anders wird. Aber auch hier ist Deutschland leider hinterher, weil in der Tat viele Menschen eher skeptisch dem Thema gegenüberstehen. Ich würde das als Marketingproblem sehen wollen.
Wie meinen Sie das?
Deutsche sagen eher: "Es geht uns momentan gut." Aber sie sagen eben nicht, dass es ihnen noch besser gehen könnte. Wir könnten noch bessere Medizin, Batterien, E-Autos haben. Es ist eine zivilisatorische Frage, die darauf hinausläuft, ob man Innovation zulassen will, um irgendwann besser zu werden oder sogar andere zu überholen.
Warum die USA bei KI Vorreiter ist und nicht Deutschland
Das klingt nicht so gut für uns in Deutschland. Ist das auch der Grund, warum Sie vor einigen Jahren in die USA gegangen und dort geblieben sind?
Die USA ziehen viele Menschen an, die mehr erreichen, mehr lernen, mehr schaffen und kreieren wollen. Und ich hoffe, dass es genügend Menschen in Deutschland gibt, die das auch möchten. Und ich persönlich bin in die USA anfangs nur wegen der Forschung gegangen. Ich wollte Professor werden. Es kam anders, weil einerseits Investoren an meine Ideen geglaubt haben und ich andererseits auch selbst zu der Überzeugung kam, dass das, woran ich forsche, vielen Menschen helfen kann. Und man muss auch sagen, dass dieser Innovationsgeist hier im Silicon Valley einfach in der Luft liegt.
Das mit dem Silicon Valley klingt ein bisschen romantisch.
Silicon Valley ist aber ein wirklich besonderer Ort. Weil das Gebiet so wenig Geschichte hat. Es war im Vergleich zu Europa sehr, sehr dünn besiedelt und erst in den letzten 300 Jahren kamen immer mehr Menschen hierher und bauten etwas auf. Dementsprechend macht man sich hier auch eher Gedanken um die Zukunft als über die Vergangenheit. Man hat keine schönen Denkmäler oder alte Kirchen, sondern nur das Neue, das noch vor einem liegt. Ich liebe Geschichte, Archäologie, Kunst und Museen. Aber es ist halt sehr spannend hier zu leben und man trifft auch auf jeder Party jemanden, der etwas neues, cooles kreiert.
Blicken wir mal auf Ihre alte Heimat Dresden. Hier gibt es viele Museen und Denkmäler, aber auch eine starke Tech-Branche und herausragende Universitäten. Ist hier nicht alles vorhanden, was es für KI-Entwicklung braucht?
Absolut. Theoretisch gibt es keinen Grund, warum Dresden und andere Standorte in Deutschland und Europa nicht daran teilhaben können.
Warum sind dann aber andere Vorreiter? Gibt es hier zu viele Regeln?
In der Tat sind manche Regularien nicht hilfreich. Die Steuern sind vergleichsweise hoch für Firmen. Vor allem für Start-ups gibt es viele Barrieren und die Bürokratie bremst auch. In den USA kann man eine Firma komplett online gründen. Man muss nie irgendwo hingehen, etwas unterschreiben oder zum Notar schicken. Und wenn ein Geschäft nicht klappt, geht die Firma eben insolvent. Aber hier kann man, sage ich mal, dann trotzdem leichter im sozialen Leben weiter existieren, auch wenn mal eine Idee nicht gezündet hat.
Gut, das Gründen ist leichter. Aber eine funktionierende Krankenversicherung wie die in Deutschland ist auch etwas wert.
Absolut. Und ich sage auch nicht, dass Deutschland schlecht aufgestellt ist beim Thema KI und Automatisierung. Man schafft es nur nicht so gut, die positiven Wirkungen von Innovationen so zu nutzen, um nachhaltig zu wachsen, sodass am Ende noch mehr übrig ist, was man teilen könnte.
Trotz KI: "Es wird immer Dinge geben, da muss man Menschen vertrauen"
Sie sind ein KI-Optimist. Aber gibt es auch für Sie einen Punkt, wo man KI stoppen und wachsam sein muss?
Den Punkt haben wir schon erreicht. Also ich will auch nicht, dass ein Auto einfach so losfährt und dann auf der Autobahn schaut, was so passiert. Oder wenn KI zum Gehirnchirurg wird, will ich auch nicht, dass die Maschine einfach an meinem Gehirn etwas ausprobiert. Solche Dinge, die Menschenleben wirklich beeinflussen, müssen und werden vorsichtig getestet, bevor sie eingeführt werden.
KI kann auch gesellschaftliche und politische Prozesse beeinflussen. Wir haben ein Superwahljahr und Experten warnen vor einer nie dagewesenen Fake-Welle.
Absolut. Aber da ist beispielsweise Deutschland besser aufgestellt als die USA. Denn in den USA ist das Lügen nicht illegal. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist in den USA sehr weit gefasst und das kann Probleme hervorrufen, die man in Deutschland nicht so stark hat. Das Entscheidende bei Fakes ist aber etwas anderes: KI ist nur so gut wie die Menschen, die sie nutzen. Soll heißen: Menschen müssen auch lernen, es zu erkennen, was ein Fake ist und was nicht. Das ist ein Problem, das wir jetzt schon im Internet haben.
Dennoch: Wären Sie auch dafür, dass Firmen, die KI-Instrumente anbieten und entwickeln, stärker an der Regulierung arbeiten müssten?
Auf jeden Fall ist es sinnvoll, wenn Firmen Input geben. Wir bei You.com wollen immer so nah an der Wahrheit sein, wie es nur geht. Es wird aber immer Dinge geben, da muss man Menschen vertrauen, die etwas vor Ort erlebt haben, Journalisten zum Beispiel. Und man kann natürlich Systeme entwickeln, die die Quellen weniger beachten, die häufig Sachen veröffentlichen, die nicht stimmen. Das können wir jetzt schon.