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SZ + Döbeln

Liebestrick bringt 54-Jährigen auf die Anklagebank

Ein Arbeitsloser muss sich wegen Geldwäsche vor Gericht verantworten. Doch in der Verhandlung wird schnell klar, er ist Täter und Opfer.

Von Cathrin Reichelt
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Mehrmals in der Woche haben Paketboten an der Tür eines 54-Jährigen geklingelt. Er hat die Pakete umgepackt und weitergeschickt.
Mehrmals in der Woche haben Paketboten an der Tür eines 54-Jährigen geklingelt. Er hat die Pakete umgepackt und weitergeschickt. © Symbolfoto: Imago stock&people

Mittelsachsen. In einem Raum des alten Hauses stapeln sich die Pakete bis zur Decke. Die hochmoderne Computertechnik, die noch verpackt auf dem Wohnzimmertisch steht, passt so gar nicht zur einfachen Einrichtung der Wohnung. Dieses Bild bietet sich Kriminalbeamten bei einer Durchsuchung. Die Pakete und deren Inhalt bringen einen 54-Jährigen dann auch vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann leichtfertige Geldwäsche vor.

Schon zu Beginn der Verhandlung vor dem Döbelner Amtsgericht wird klar, der Lunzenauer ist Täter und Opfer gleichermaßen. Er ist auf die Masche des Love-Scammings, also des Liebes-Betrugs, hereingefallen. Vor drei Jahren erhält er eine E-Mail von „Elvira“ aus Russland.

„Sie hat meinem Mandanten persönliches Interesse vorgegaukelt“, sagt Verteidiger Martin Göddenhennrich. Ein halbes Jahr lang hätten sich beide geschrieben. Dann habe „Elvira“ erklärt, sie würde den Angeklagten gern besuchen, habe aber kein Geld, jedoch einen Onkel. Der betreibe einen Versandhandel.

Der Angeklagte könne ihr helfen, indem er Pakete entgegennimmt, den Inhalt nach einer vorgegebenen Liste neu zusammenstellt und nach Russland schickt. Für jedes Paket würde „Elvira“ 50 Euro erhalten. So könne sie sich das Flugticket zusammensparen. Mit der Aussicht auf einen Besuch von „Elvira“ sei der arbeitslose Angeklagte auf den Vorschlag eingegangen.

Betrug in 807 Fällen

Von da an habe der Paketbote mehrmals wöchentlich bei ihm geklingelt. Die Waren – vorwiegend hochwertige Computertechnik – waren über verschiedene Online-Plattformen, wie Mediamarkt, Saturn, Rewe oder die Median AG bestellt worden. Als Besteller wurden tatsächlich existierende Adressen angegeben, als Lieferadresse stets die des Angeklagten.

Der Weiterversand nach der Umverpackung erfolgte an etwa 20 Adressen in Russland. Die Staatsanwaltschaft hat 807 solcher Fälle aufgelistet. Da keine der Waren bezahlt wurde, ist ein Schaden in Höhe von knapp 146.400 Euro entstanden.

Ob ihm an dieser Sache nie etwas komisch vorgekommen sei, will Richterin Anne Mertens von dem Angeklagten wissen. Nur einmal, ganz am Anfang habe er nachgefragt, woher „Elvira“ seine Mailadresse kenne. Die Antwort, dass diese von einer Dating-Agentur in Russland stammt, habe ihn nicht wirklich stutzig gemacht, obwohl er sich weder in Russland noch in Deutschland bei einer solchen Agentur angemeldet hatte.

Später Verdacht

Im Nachhinein sei ihm aufgefallen, dass er außer dem Namen und, dass sie als Kinderkrankenschwester arbeiten würde, nichts von „Elvira“ weiß – kein Alter, nichts Familiäres, nicht einmal, weshalb sie so gut Deutsch spricht. „Auch das Foto war geklaut“, stellte der Angeklagte fest, „nachdem alles aufgeflogen war.“

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Der Verdacht, dass an der Geschichte etwas faul sein könnte, sei ihm erst gekommen, nachdem er eine Aussage bei der Polizei gemacht hatte. Denn inzwischen hatten nicht nur die geprellten Firmen, sondern auch die angeblichen Besteller Anzeige erstattet. Sie waren von einem Inkassounternehmen von Paypal zur Bezahlung der Waren aufgefordert worden.

Kontakt bricht plötzlich ab

Der Kontakt zu „Elvira“ brach nach der Durchsuchung der Wohnung ab. Auch während dieser klingelte wieder der Postbote. Diesmal nahm der Angeklagte die Pakete aber nicht mehr an. Angeblich sei „Elvira“ zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Weg zu ihm gewesen.

Nach einem Rechtsgespräch am Ende der Verhandlung informiert Anne Mertens den Angeklagten, dass das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft vorläufig eingestellt wird.

„Ich sehe ein Verschulden bei Ihnen, aber ein sehr geringes“, so die Richterin. Sie erteilt dem Angeklagten die Auflage, 100 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten. Kommt er dem nicht nach, drohe „eine heftige Strafe.“