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Erster "Ehrenmord"-Prozess in Dresden: So viel Aufwand betreiben die Ermittler

Ein irakischer Kurde soll mithilfe seines Bruders die gemeinsame Schwester getötet haben. Nun werden neue Details in dem Fall bekannt.

Von Alexander Schneider
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Der Angeklagte Zairk A. wird zum Prozessauftakt Ende April in den Gerichtssaal geführt. Er soll seine Schwester getötet haben.
Der Angeklagte Zairk A. wird zum Prozessauftakt Ende April in den Gerichtssaal geführt. Er soll seine Schwester getötet haben. © René Meinig

Die Ermittlungen hatten Jahre in Anspruch genommen und auch jetzt, wo sich einer der mutmaßlichen Täter wegen Mordes verantworten muss, haben die Richter allerhand zu tun, die Tat aufzuarbeiten. Schon Ende April hat der Prozess gegen Zairk A. begonnen. Dem 38-jährigen Kurden aus dem Irak, der zuletzt in Finnland lebte, wird vorgeworfen, seine Schwester umgebracht zu haben. Als Mittäter wurde auch Zairks Bruder Sharat A. (30) angeklagt. Doch der sitzt wegen Drogendelikten in Italien in Haft. Die dortige Justiz hatte ihn nur für wenige Wochen für das Ermittlungsverfahren ausgeliefert, nicht aber für die Hauptverhandlung.

Es ist der erste sogenannte Ehrenmord-Prozess am Landgericht Dresden. Im Mittelpunkt steht Sozan A., die im Alter von 22 Jahren in ihrer Dresdner Wohnung erstickt wurde – höchstwahrscheinlich in den frühen Morgenstunden des 14. Oktobers 2017, einem Sonnabend. Nur drei Tage zuvor hatte die junge Frau in Hamburg geheiratet. Ihre Brüder waren mit ihr noch an jenem Mittwoch, 11. Oktober, im Fernbus nach Dresden gereist.

Ihr neuer Mann muss sich große Sorgen gemacht haben. Er rief seine Frau ständig an. Das letzte Mal hatte er sie am Sonnabend gegen 2.30 Uhr gesprochen. Weil er sie danach nicht mehr erreichte und von ihren Brüdern hingehalten wurde, stand er am Sonntagvormittag im Polizeirevier Dresden-Mitte. Wenig später entdeckten die Beamten Sozan A.s leblosen Körper in ihrer Zweiraum-Wohnung auf der Dürerstraße in Dresden-Johannstadt. Für eine Hilfe war es zu spät.

War es eine Zwangsheirat?

Sozan A. war bereits seit 2012 mit Gohdar F. verheiratet gewesen; eine Ehe, die mindestens „arrangiert“ war, manche Zeugen sprechen von einer Zwangsheirat. Bis heute ist nicht klar, ob die junge Frau im Irak allein nach islamischem Recht getraut worden war oder auch standesamtlich. 2016 kam das Paar nach Dresden und bezog Anfang 2017 die gemeinsame Wohnung. Sozan A. und möglicherweise auch ihr Mann hatten sich als Jesiden ausgegeben, weil sie sich so offenbar mehr Erfolg für ihren Asylantrag versprochen hatten.

Die Polizei fand gefälschte jesidische ID-Karten. Im März 2017 wurde die Ehe geschieden – in dem islamischen Dokument soll dazu die Unterschrift des Gatten genügt haben. Von April bis Ende August lebte Sozan in verschiedenen Frauenhäusern in Dresden und Niedersachsen, denn sie suchte die Nähe zu ihrem neuen Freund in Hamburg. Sie berichtete Sozialarbeiterinnen und Psychologinnen, sie sei von F. eingesperrt, misshandelt und auch sexuell missbraucht worden.

Flucht nach Hamburg

Sie habe Angst, von ihren Brüdern getötet zu werden, weil sie sich von Gohdar F. getrennt und damit Schande über ihre Familie gebracht habe. Ende August zog sie – für die Sozialarbeiterinnen überraschend – zu Gohdar F. in die gemeinsame Wohnung. Ende September reiste sie alleine nach Italien zu Sharat und Zairk A. Auch dort will sie von den Plänen, sie zu ermorden, gehört haben, woraufhin sie sich an die Polizei wandte und noch in jener Nacht nach Hamburg flüchtete. Letzteres hatte Witwer Ahmed H. als Zeuge ausgesagt. Zwei Tage lang vernahm das Gericht den Mann, der heute die Brüder weit weniger schwer belastete als nach dem Fund der Leiche.

Aus Chatnachrichten und Zeugenvernehmungen ist bekannt, dass Sozan A.s Schwester und ihre Mutter im Irak befürchtet haben sollen, dass die 22-Jährige in Gefahr ist. Die Geschichte ist vor dem Hintergrund eines Flüchtlingsschicksals und der Vorgeschichte der Tat komplex. Daher hat das Schwurgericht einen Kulturwissenschaftler als Sachverständigen beauftragt, an dem Verfahren teilzunehmen. Zairk A. schweigt nach wie vor. Er lebt bereits seit mehreren Jahren in Finnland, hat dort offenbar zwei Kinder von zwei Frauen, war zuletzt arbeitslos und polizeibekannt. Die Hauptverhandlung war zunächst mit zehn Sitzungstagen bis 20. Juli angesetzt worden. Nun sind es 18 Tage bis Mitte Oktober. Die Ermittlungen der Mordkommission bestätigten Ende Juli viele Angaben der Zeugen, vor allem des Witwers. Erstmals ist es möglich, die Ereignisse bis zur Tat in einer Zeitschiene zu betrachten:

Mittwoch, 4. Oktober 2017: Sozan A. reist mit dem Bus von Italien nach Hamburg. Am selben Tag folgen die Brüder – ihr Ziel ist jedoch Dresden. Sie bleiben bis Sonntag bei Gohda F., Sozans geschiedenem ersten Ehemann.

Sonntag, 8. Oktober: Die Brüder fahren nach Hamburg. Dort sprechen sie mit Ahmed H., stimmen der spontanen Heirat zu. Auch Gohda F. reist ab, möglicherweise Richtung Kurdistan. Die Polizei wird ihn nicht mehr erreichen.

Mittwoch, 11. Oktober: Sozan A. und Ahmed H. heiraten in Hamburg. Abends fährt Sozan mit ihren Brüdern nach Dresden, wo sie am Donnerstag ankommen.

Freitag, 13. Oktober: Sozan A. klaut für ihren Bruder eine Jacke in Dresden. Sie schickt ihm ein Foto von der Beute.

Samstag, 14. Oktober, 2.25 Uhr: Letztes Telefonat von Ahmed H. mit Sozan A. Er sieht seine Frau ein letztes Mal in dem Video-Anruf. Er sieht auch Sozans Brüder. Seine Frau berichtet, sie habe für Zairk nachmittags in Dresden eine Jacke gestohlen. Für H. das letzte Lebenszeichen. An diesem Tag verschwindet Sozan A.s Handy aus dem Funknetz.

8.17 Uhr: Die Brüder kaufen Fahrkarten und reisen um 13.45 Uhr mit dem Bus ab. Noch abends telefonieren sie mit Ahmed und halten ihn hin – da sind sie bereits zwischen Wien und Slowenien.

Sonntag, 15. Oktober: Die Brüder fallen um 5.30 Uhr wegen ihrer Ausweise an der italienischen Grenze auf. Ahmed H. erreicht morgens Dresden, weil Sozan ihm nicht öffnet, geht er zur Polizei. Wenig später wird ihre Leiche entdeckt.