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SZ + Dresden

Die eigene Schwester ermordet?

Eine 22-jährige Irakerin trennt sich von ihrem Mann und heiratet einen anderen. Aus Ärger und Wut darüber sollen ihre Brüder sie in der Dresdner Johannstadt erstickt haben.

Von Alexander Schneider
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Am Dresdner Landgericht wird der erste sogenannte Ehrenmordprozess in der Stadt verhandelt.
Am Dresdner Landgericht wird der erste sogenannte Ehrenmordprozess in der Stadt verhandelt. © Marion Doering (Symbolbild)

Dresden. Seit Ende April verhandelt die Schwurgerichtskammer den ersten mutmaßlichen "Ehrenmord" am Landgericht Dresden. Es geht um den gewaltsamen Tod der 22-jährigen Irakerin Sozan A. vor mehr als viereinhalb Jahren. Angeklagt ist ein 38-jähriger Bruder der Toten, der zuletzt in Finnland lebte. Zairk A. soll die junge Frau mit seinem Bruder Sharat in ihrer Wohnung auf der Dürerstraße in Dresden erstickt haben.

Die Tat fand laut Anklage in der Nacht zum 14. Oktober 2017 statt. Sharat A. wurde mit angeklagt. Er lebt jedoch in Italien, sitzt dort auch im Gefängnis, aber wurde nicht ausgeliefert. Gegen ihn ermittelt Italiens Justiz wegen Drogendelikten.

Sozan A. hatte sich laut Anklage von ihrem Ehemann getrennt und drei Tage vor der Tat in Hamburg einen anderen Mann nach islamischem Recht geheiratet. Die Brüder sollen sie "aus Ärger und Wut über die Weigerung der Geschädigten, sich den Vorstellungen ihrer Familie zu unterwerfen" ermordet haben. Die Familie soll mit dem neuen Partner nicht einverstanden gewesen sein.

Wie genau die Tat abgelaufen ist, welche Beweise gegen den Angeklagten vorliegen – das war noch nicht Gegenstand der Beweisaufnahme. Der 38-jährige selbst schweigt. Das Gericht ist noch immer dabei, die Lebensumstände der 22-jährigen aufzuhellen. Sozan A. hatte sich von April bis August 2017 in Frauenhäusern in Dresden und vor allem in Niedersachsen aufgehalten. Sie habe sich von ihrem Mann getrennt, weil er sie in der Wohnung eingesperrt und misshandelt habe, berichteten etwa Sozialarbeiterinnen. Die Frau habe versucht, in die Nähe von Hamburg zu kommen, wo ihr neuer Freund lebt.

Gegenüber den Frauenhaus-Mitarbeiterinnen, offenbar auch gegenüber Dresdner Behörden, gab sich Sozan A. als Jesidin aus. Sie habe sich so mehr Erfolg für ihren Asylantrag versprochen, berichtete eine Freundin der Toten. Die Frau muss gut darin gewesen sein, denn Sozialarbeiterinnen aus Niedersachsen sind bis heute überzeugt, dass sie tatsächlich Jesidin war. Die Gefahr für eine Jesidin, die gegen die strikten Normen ihrer Familie verstoßen hat, muss ungleich größer sein als unter Muslimen.

Ein Hilferuf am Freitag, dem 13.?

Die Sozialarbeiterinnen hatten der Frau etwa dringend abgeraten, nach Dresden zu fahren, um dort ihren Ausweis verlängern zu lassen, berichtete eine Psychologin. "Wir waren empört, dass sie da hingegangen ist", so die 75-jährige Zeugin.

Sozan habe von den Misshandlungen ihres Mannes erzählt, die Ehe sei drei Jahre zuvor geschlossen worden, für die Psychologin "mehr eine Zwangsheirat" als eine "arrangierte Ehe". Die junge Frau habe Angst gehabt und geweint, habe aber gleichzeitig auch in Bezug auf ihren künftigen Mann "zukunftsorientiert und freudig" gewirkt, so die 75-Jährige: "authentisch".

Alle Zeuginnen haben Schwierigkeiten, sich nach fünf Jahren an Details zu erinnern. Bekannt ist inzwischen auch, dass Sozan A. nach ihrer Hochzeit mit ihren Brüdern, vor denen sie sich monatelang mit dem Tode bedroht gesehen haben soll, nach Dresden reiste.

Am Freitag, 13. Oktober 2017, rief sie bei ihrer Dresdner Freundin an, sagte, ihre Brüder seien zu Besuch, und fragte, ob sich die Frauen nicht gemeinsam zu einem Deutschkurs anmelden wollten. Das könnte ein Hilferuf gewesen sein. Der Prozess wird fortgesetzt.