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Nach Attentat in Solingen: Regierung beschließt Maßnahmenpaket

Seit dem tödlichen Anschlag von Solingen ist keine Woche vergangen. Die Bundesregierung reagiert mit konkreten Maßnahmen darauf, darunter Leistungskürzungen und mehr Messerverbote.

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Blumen und Kerzen sind am Tatort in Solingen abgelegt worden, wo drei Menschen mit einem Messer getötet und acht verletzt wurden.
Blumen und Kerzen sind am Tatort in Solingen abgelegt worden, wo drei Menschen mit einem Messer getötet und acht verletzt wurden. © Federico Gambarini/dpa

Solingen/Berlin. Als Konsequenz aus der tödlichen Messerattacke von Solingen hat sich die Bundesregierung auf neue Maßnahmen zum Schutz vor islamistischem Terror, gegen irreguläre Migration und zur Verschärfung des Waffenrechts verständigt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach bei der Vorstellung von "weitreichenden" und "harten Maßnahmen".

Unter anderem soll der Umgang mit Messern im öffentlichen Raum weiter eingeschränkt werden. Dazu zählt ein generelles Messerverbot im Fernverkehr mit Bussen und Bahnen. Die Anforderungen für einen Waffenschein sollen erhöht werden, um sicherzustellen, dass Extremisten keinen Zugang zu Waffen und Sprengstoff haben.

Die Ampel-Regierung einigte sich zudem auf die Streichung von Leistungen für bestimmte Asylbewerber. Dabei geht es um Migranten, für die ein anderer europäischer Staat zuständig wäre, der der Rückübernahme zugestimmt hat.

Die Befugnisse der Sicherheitsbehörden im Kampf gegen den Islamismus sollen ausgeweitet und das Instrument des Vereinsverbots soll gegen islamistische Vereine weiter genutzt werden.

Die geplanten Maßnahmen im Überblick:

  • Waffenrecht verschärfen: Der Einsatz von gefährlichen Springmessern soll eingeschränkt werden, bei Volksfesten und anderen Veranstaltungen soll ein generelles Messerverbot gelten (außer natürlich für die Gastronomie). Die Bundespolizei kann Kontrollen durchführen.
  • Weniger Leistungen: Schutzsuchende, für die ein anderes EU-Land zuständig ist, sollen in Deutschland keine Leistungen mehr erhalten. Die Rücküberstellungen der betroffenen Personen an diese Länder sollen erhöht werden, wenn die Staaten dazu bereit sind.
  • Abschiebungen erleichtern: Die Schwelle für Straftaten, die zur Ausweisung oder zum Ausschluss eines Asyl- oder Flüchtlingsstatus führen können, wird gesenkt. Auch ein antisemitisches Motiv kann dafür ausreichen.
  • Islamistischen Extremismus bekämpfen: Die Ermittler sollen verstärkt künstliche Intelligenz nutzen, um Tatverdächtige zu identifizieren. Daten aus dem Internet, zum Beispiel Fotos von Gesichtern, dürfen zur Fahndung eingesetzt werden.
  • Radikalisierung verhindern: Eine Taskforce aus Wissenschaftlern und Praktikern soll herausfinden, wie sich die Radikalisierung gerade junger Islamisten zum Beispiel über Online-Medien besser unterbinden lässt.
  • Migrationsabkommen vorantreiben: Die noch laufenden Verhandlungen mit Drittländern außerhalb der EU zur Aufnahme von Flüchtlingen, darunter Moldau, Kenia und die Philippinen, sollen zum Abschluss gebracht werden.

Arbeitsgruppe mit Opposition soll nächste Woche tagen

Bereits am vergangenen Wochenende hatte die Bundesregierung begonnen, ein Maßnahmenpaket als Reaktion auf den Anschlag zusammenzustellen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte am Mittwoch zudem Gespräche mit den Ländern und der Union als größter Oppositionskraft an. Eine Arbeitsgruppe, der Vertreter aller drei Ampel-Parteien angehören, soll nächste Woche erstmals zusammenkommen.

Zuvor hatte Bundeskanzler Olaf Scholz schnelle Konsequenzen angekündigt und eine harte Bestrafung des Täters verlangt. Nach einem Treffen mit dem dem britischen Premierminister Keir Starmer in Berlin kündigte er jetzt Gespräche mit den Ländern und der Union an.

Scholz war am Montag in Solingen und legte zusammen mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und dessen Innenminister Herbert Reul (beide CDU) sowie Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) weiße Rosen an dem Ort nieder, an dem der Opfer des Anschlags gedacht wird. Anschließend sprachen sie mit Einsatzkräften und Ersthelfern. Scholz nannte sie anschließend "tolle Leute".

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (l-r, CDU), Tim Kurzbach (SPD), Bürgermeister von Solingen, Mona Neubaur (Grüne) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) legen weiße Rosen an einer Kirche in der Nähe des Tatorts ab.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (l-r, CDU), Tim Kurzbach (SPD), Bürgermeister von Solingen, Mona Neubaur (Grüne) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) legen weiße Rosen an einer Kirche in der Nähe des Tatorts ab. © dpa

Die waffenrechtlichen Regelungen in Deutschland insbesondere für das Verwenden von Messern müssten noch einmal verschärft werden, sagte der SPD-Politiker am Anschlagsort. Er sei "wütend und zornig" wegen dieser Tat, sagte Scholz. "Sie muss schnell und hart bestraft werden." Der Kanzler sprach von einem furchtbaren Verbrechen. "Das war Terrorismus, Terrorismus gegen uns alle, der unser Leben und Miteinander bedroht." Dies werde man niemals hinnehmen und akzeptieren.

Bei einem Straßenfest in der Stadt im Bergischen Land waren am Freitagabend drei Menschen getötet und acht Menschen verletzt worden, vier davon schwer. Ein 26-jähriger tatverdächtiger Syrer sitzt seit Sonntagabend in Untersuchungshaft - unter anderem wegen Mordverdachts und wegen des Vorwurfs, der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) anzugehören.

Die Terrormiliz hat am Sonntag ein Video veröffentlicht, das den Täter zeigen soll. In dem etwa einminütigen Video ist ein vermummter, jung wirkender Mann zu sehen, der ein langes Messer in die Kamera hält. Er leistet dem Anführer des IS darin auf Arabisch einen Treueeid und bezeichnet diesen mit dem Ehrentitel "Emir". Schon am Samstag hatte der IS die Tat mit drei Todesopfern für sich reklamiert.

Der IS teilte über seine Propagandakanäle im Internet mit, vom Täter des Messerangriffs von Solingen Videos erhalten zu haben. Wann das Video aufgenommen wurde und ob es sich beim darin gezeigten Mann um den Täter handelt, konnte zunächst nicht überprüft werden.

Der mutmaßliche Täter des Messerangriffs von Solingen wird zu einem Hubschrauber gebracht.
Der mutmaßliche Täter des Messerangriffs von Solingen wird zu einem Hubschrauber gebracht. © dpa/Uli Deck

Der Mann nennt sich in dem Video Samarkand A. - möglicherweise ein Kampfname - und sagt, er stamme aus Dair as-Saur im Osten Syriens, wo Zellen der Terrormiliz bis heute aktiv sind und Anschläge verüben.

Tatverdächtiger sollte abgeschoben werden

Der Asylantrag des Tatverdächtigen in Deutschland wurde abgelehnt. Deshalb sollte er im vergangenen Jahr nach Bulgarien abgeschoben werden. Nach Behördenangaben entzog er sich wohl gezielt seiner Überstellung nach Bulgarien - und kam damit durch. Der heute 26-jährige Syrer kam demnach am 25. Dezember 2022 nach Deutschland. Für sein Asylverfahren zuständig war nach den europäischen Dublin-Regeln aber Bulgarien. Bulgarien habe dieser Rückführung sehr schnell zugestimmt, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin.

Ein erster Versuch, den Mann nach Bulgarien zurückzuschicken, scheiterte am 3. Juni 2023, die Behörden trafen ihn in seiner Unterkunft in Paderborn nicht an. Normalerweise müssten dann weitere Versuche folgen. Die Ausländerbehörde müsste versuchen festzustellen, ob jemand möglicherweise untergetaucht ist. Auch ein Haftbefehl könnte ausgestellt werden. Wenn einmal offiziell festgestellt ist, dass jemand untergetaucht ist, kann die normalerweise sechsmonatige Frist für eine Dublin-Überstellung - also eine Abschiebung in ein anderes, zuständiges europäisches Land - um zusätzliche zwölf Monate verlängert werden. Dies geschah im Fall des Syrers aber nicht.

Die Sechs-Monats-Frist lief den Angaben zufolge am 20. August ab. Vier Tage später ist der Mann demnach wieder aufgetaucht. Dies deute darauf hin, dass er gut über die Fristen und seine Rechte informiert gewesen sei, hieß es. Später wechselte er von der Flüchtlingsunterkunft in Paderborn nach Solingen. Das für Flucht und Integration zuständige Ministerium in NRW machte zu dem Fall auf dpa-Nachfrage zunächst keine Angaben.

Debatte über Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan

Schon kurz nach dem Anschlag setzte ein Streit über die zu ziehenden Konsequenzen aus dem Messerangriff ein. Eine Woche vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen forderte CDU-Chef Friedrich Merz einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan in Deutschland. In seinem E-Mail-Newsletter "MerzMail" schrieb er: "Nach dem Terrorakt von Solingen dürfte nun endgültig klar sein: Nicht die Messer sind das Problem, sondern die Personen, die damit herumlaufen. In der Mehrzahl der Fälle sind dies Flüchtlinge, in der Mehrzahl der Taten stehen islamistische Motive dahinter."

Unions-Fraktionsvize Jens Spahn (CDU) sprach sich für Grenzschließungen für irreguläre Migranten aus. Der "Rheinischen Post" (Montag) sagte er: "Es kommen seit Jahren jeden Tag hunderte junge Männer aus Syrien und Afghanistan nach Deutschland und Europa. Das muss endlich enden."

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte in der ARD, Straftäter müssten sofort in Arrest genommen werden und das Land verlassen, insbesondere in Richtung Syrien und Afghanistan. Der Polizei müssten mehr Möglichkeiten für Kontrollen gegeben werden.

Kanzler Scholz hatte bereits im Juni nach dem tödlichen Messerangriff von Mannheim angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen und terroristischen Gefährdern nach Afghanistan und Syrien wieder zu ermöglichen.

Nach einer Übersicht des Verfassungsschutzes wäre die Tat in Solingen der folgenschwerste aus mutmaßlich islamistischen Motiven begangene Anschlag in Deutschland seit dem Angriff auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin im Dezember 2016 mit damals 13 Toten und 64 Verletzten.

SPD-Generalsekretär Kühnert: Aufnahmestopp rechtlich nicht möglich

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert wies die Merz-Forderung nach einem generellen Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan zurück. Dem stehe das Grundgesetz entgegen, beispielsweise das individuelle Recht auf Asyl, sagte er im ARD-"Morgenmagazin".

"Die Antwort kann doch nicht sein, dass wir Menschen, die selber vor Islamisten fliehen, weil sie von denen für ihre Lebensweise verfolgt werden, jetzt die Tür vor der Nase zuschlagen", sagte Kühnert. Man müsse sich jetzt anschauen, warum die Rückführung des mutmaßlichen Täters nach Bulgarien nicht geklappt habe.

Kühnert betonte, die Ampel arbeite bereits an Lösungen für die Abschiebung von Intensivstraftätern auch nach Syrien und Afghanistan. Sie komme auch beim Waffenrecht und bei Messerverboten voran. Jetzt müsse es verstärkt um das Problemfeld der Radikalisierung von Einzeltätern gehen. "Hier braucht es jetzt einen großen Wurf von Bund und Ländern gemeinsam."

Nach der Messerattacke auf dem Solinger Stadtfest legen Menschen in der Nähe des Tatortes Blumen nieder und und zünden Kerzen zum Gedenken der Opfer an.
Nach der Messerattacke auf dem Solinger Stadtfest legen Menschen in der Nähe des Tatortes Blumen nieder und und zünden Kerzen zum Gedenken der Opfer an. © dpa/Gianni Gattus

Der CDU-Innenpolitiker Alexander Throm hielt Kühnert im ARD-"Morgenmagazin" entgegen, die wenigsten Bewerber bekämen Asyl wegen des Schutzes nach dem Grundgesetz. Die meisten, insbesondere aus Afghanistan und Syrien, erhielten subsidiären Schutz, sie seien in ihrer Person nicht verfolgt oder bedroht. In Afghanistan fänden keine Kampfhandlungen mehr statt, in Syrien nur lokal begrenzt. "Deswegen muss der subsidiäre Schutz für Afghanen und für Syrer wegfallen."

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wüst fordert eine Aufarbeitung auch innerhalb der Behörden. "Da gibt es eine Menge Fragen. Es sind auch eine Menge Behörden involviert. Das muss aufgeklärt werden, und da muss Klartext gesprochen werden, wenn da etwas schiefgelaufen ist", sagte er in der "Aktuellen Stunde" im WDR Fernsehen. Im ZDF-"heute journal" sagte Wüst: "Wenn da irgendwo was schiefgelaufen ist, bei welcher Behörde auch immer, ob vor Ort in Bielefeld, in Paderborn oder bei Landes- oder Bundesbehörden, dann muss die Wahrheit da auf den Tisch."

NRW-Innenminister Reul sagte in der ARD-Sendung "Caren Miosga", untergetaucht im rechtlichen Sinne sei der mutmaßliche Attentäter nicht. Er sei an dem Tag, an dem er abgeholt werden sollte, schlicht nicht dagewesen. "Ansonsten war er immer und häufig in dieser Einrichtung." Im Deutschlandfunk verlangte Reul stärkere Grenzkontrollen an den deutschen Außengrenzen sowie Zurückweisungen von Flüchtlingen. "Ich glaube, es geht nicht anders."

Steinmeier für mehr Befugnisse der Sicherheitsbehörden

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach eine Ausweitung von Befugnissen der Sicherheitsbehörden an. Zu einem besseren Schutz vor Angriffen "gehört auch, dass die Sicherheitsbehörden mit den notwendigen Befugnissen ausgestattet werden", sagte er im ZDF-Sommerinterview. Steinmeier forderte mehr Personal für die Sicherheitsbehörden. Bei terroristischer Gefahr sei aber auch eine Ausweitung der Befugnisse etwa des Bundeskriminalamts denkbar.

Buschmann kündigt Verhandlungen über Waffenrecht für Messer an

Bundesjustizminister Marco Buschmann kündigte Verhandlungen über das Waffenrecht für Messer an. "Wir werden nun in der Bundesregierung darüber beraten, wie wir den Kampf gegen diese Art der Messer-Kriminalität weiter voranbringen", sagte der FDP-Politiker der "Bild am Sonntag". Bisher hat die FDP Vorschläge von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zu schärferen Regeln und Verboten abgelehnt. (dpa)