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Stadtkirche Großröhrsdorf: Dieses Vermächtnis bleibt nach dem Brand

Sechs Jahre haben Gottfried Brückner und Norbert Littig die Sanierung der Stadtkirche Großröhrsdorf begleitet. Was bleibt, sind Erinnerungen - und Fotokalender, die schon ins Altpapier sollten.

Von Katja Schlenker
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Gottfried Brückner kennt die Stadtkirche Großröhrsdorf wie kaum ein zweiter. Jahrelang hat der 84-Jährige deren Sanierung begleitet. Nun zeugen davon nur noch Fotos in alten Kalendern.
Gottfried Brückner kennt die Stadtkirche Großröhrsdorf wie kaum ein zweiter. Jahrelang hat der 84-Jährige deren Sanierung begleitet. Nun zeugen davon nur noch Fotos in alten Kalendern. © Matthias Schumann

Großröhrsdorf. Ein Stapel Kalender liegt auf dem Tisch. Schon einige Male hat das Ehepaar Brückner darüber nachgedacht, diese doch ins Altpapier zu geben. Gemacht haben sie es nicht – und darüber sind sie nun froh. Die Kalender zeigen Aufnahmen der Stadtkirche Großröhrsdorf und der umliegenden Gotteshäuser sowie aus dem Gemeindeleben. Doch seit dem 4. August 2023 ist nichts mehr so, wie es war.

In der Nacht zu jenem Freitag brennt die knapp 300 Jahre alte Stadtkirche komplett aus. Was bleibt, sind nun ebenjene Kalender, die seit dem Jahr 2012 aufgelegt wurden, Bilder, Videos und Erinnerungen – an Taufen, Konfirmationen, Hochzeiten, Beerdigungen, Gottesdienste und vieles mehr.

2012 startete umfassende Sanierung der Stadtkirche

Auch Gottfried Brückner hat unzählige Erinnerungen an die Stadtkirche Großröhrsdorf. 40 Jahre ist er im Kirchenvorstand aktiv gewesen, hat unter anderem die umfangreiche Sanierung des Gotteshauses in den Jahren 2012 bis 2018 gemeinsam mit Pfarrer Norbert Littig betreut.

Am 29. April 2012 ist damals der letzte Gottesdienst vor der Renovierung und Restaurierung zelebriert worden. Ein Bild im Kalender zeigt, wie Mitglieder aus dem Kirchenvorstand die Altargeräte aus der Kirche tragen, damit sie geschützt aufbewahrt werden können während der Arbeiten.

Am 4. August 2023 ist die Stadtkirche Großröhrsdorf bei einem Brand komplett zerstört worden.
Am 4. August 2023 ist die Stadtkirche Großröhrsdorf bei einem Brand komplett zerstört worden. © Archivfoto: Feuerwehr Lichtenberg
Am Freitagmorgen zeigt sich das Ausmaß des Brandes in der Stadtkirche Großröhrsdorf.
Am Freitagmorgen zeigt sich das Ausmaß des Brandes in der Stadtkirche Großröhrsdorf. © Archivfoto: Daniel Schäfer/dpa
Das Kirchenschiff ist komplett zerstört, der Kirchturm einsturzgefährdet.
Das Kirchenschiff ist komplett zerstört, der Kirchturm einsturzgefährdet. © Archivfoto: Daniel Schäfer/dpa
Das THW Bautzen unterstützt die Polizei bei den Ermittlungen und beräumt die Kirche.
Das THW Bautzen unterstützt die Polizei bei den Ermittlungen und beräumt die Kirche. © Archivfoto: THW Bautzen/André Stickel
Ein speziell ausgebildeter Hund, der kleinste Mengen an Brandbeschleunigern erschnüffeln kann, hilft bei der Spurensuche.
Ein speziell ausgebildeter Hund, der kleinste Mengen an Brandbeschleunigern erschnüffeln kann, hilft bei der Spurensuche. © Archivfoto: THW Bautzen/André Stickel
Ein Luftbild zeigt, was von der Stadtkirche Großröhrsdorf übrig geblieben ist.
Ein Luftbild zeigt, was von der Stadtkirche Großröhrsdorf übrig geblieben ist. © Archivfoto: Sebastian Kahnert/dpa

Die Stadtkirche – sie trug diesen Namen, seit Großröhrsdorf am 11. Oktober 1924 Stadtrecht verliehen bekam – war ein Ersatzneubau, weil deren schlichter Vorgängerbau mit rechteckigem Grundriss und einem kleinen Dachreiter aus dem 14. Jahrhundert um 1700 baufällig und zu klein geworden war.

Aus dieser Kirche stammten ein spätgotisches Kruzifix und eine sogenannte Mondsichelmadonna aus dem 15. Jahrhundert, ein Abendmahlskelch von 1667, der bis in die Gegenwart genutzt wurde, sowie zwei Bildnisse der Reformatoren Martin Luther und Philipp Melanchthon von 1614. Diese hingen im Innenraum an der Wand. „Bei der Restaurierung haben wir sie ordentlich eingepackt, damit sie nicht den kleinsten Fleck abbekommen“, erinnert sich Gottfried Brückner. Nun gibt es sie nicht mehr – im Feuer sind sie für immer verloren gegangen.

Eine der großen Orgeln in Sachsen in der Stadtkirche

Ebenso ist es mit anderen historischen Kunstschätzen: Die geschnitzte Madonna und die hölzerne Nachbildung des Altars aus der Leipziger Thomaskirche – aus dem Jahr 1745 und vom in Leipzig arbeitenden ehemaligen Großröhrsdorfer Matthäus Boden finanziert – sind vernichtet worden, ebenso Taufstein und -schale, die Kanzel als Geschenk des Dresdener Schlossschreibers Johann Grundmann von 1745, Emporen und Orgel.

Diese stammte aus dem Jahr 1904. Mit 47 klingenden Registern und drei Manualen war sie eine der sehr großen in Sachsen. 1997 und 1998 war sie von der Firma Eule Orgelbau aus Bautzen umfassend erneuert worden. Die Kosten in Höhe von 160.000 D-Mark brachte damals die Kirchgemeinde in einer Gemeinschaftsleistung zusammen. „3.576 Pfeifen hatte sie, die längste war 5,76 Meter“, sagt Gottfried Brückner. „Im Feuer sind sie alle weggeschmolzen.“

Nach dem Brand erhalten sind Fragmente eines Epitaphs aus Sandstein, das neben der Kanzel an der Wand angebracht war. Die Gedenktafel ist der Hofrätin Christiane Sophie Nicolai gewidmet. Sie trat im 18. Jahrhundert beim Neubau der Kirche als Mäzenin auf, besorgte Geld dafür bei Kurfürst August, dem Starken, erklärt Norbert Littig. Vor den Altarstufen befindet sich ihre Gruft. 1756 starb sie, zwei Jahre später wurde das Epitaph angebracht.

Die vier Glocken aus Klangstahl – 1919 geweiht, nachdem deren Vorgängerinnen aus Bronze im Ersten Weltkrieg eingeschmolzen wurden – haben den Brand wohl nicht überstanden. Sie befinden sich verkeilt im einsturzgefährdeten Kirchturm. Während des Brandes hatten sie noch ein letztes Mal geläutet.

Sakristei der Stadtkirche blieb vom Feuer verschont

Gerettet werden konnten ein kleiner Altartisch mit einem darauf stehenden Kreuz und zwei barocke Traustühle. Beides befand sich in der Sakristei, die vom Feuer verschont blieb. In diesem Nebenraum bereiten sich Geistliche auf Gottesdienste vor.

Vor dem Brand sei die Stadtkirche im besten Zustand gewesen, den sie jemals hatte, sagt Gottfried Brückner. Während der DDR-Zeit habe die Kirche gelitten, vor allem der Innenraum, weil nicht viel gemacht werden konnte. Religion war damals nicht erwünscht. Mit der politischen Wende änderte sich das.

Diese Aufnahme zeigt die Stadtkirche Großröhrsdorf während der Adventszeit. Da erklang unter anderem Adventsmusik im Gotteshaus.
Diese Aufnahme zeigt die Stadtkirche Großröhrsdorf während der Adventszeit. Da erklang unter anderem Adventsmusik im Gotteshaus. © Archivfoto: Matthias Schumann
So prunkvoll war das Epitaph für Hofrätin Christiane Sophie Nicolai an der Wand in der Stadtkirche Großröhrsdorf gestaltet.
So prunkvoll war das Epitaph für Hofrätin Christiane Sophie Nicolai an der Wand in der Stadtkirche Großröhrsdorf gestaltet. © Archivfoto: René Plaul
Fragmente des Epitaphs für Hofrätin Christiane Sophie Nicolai sind nach dem Brand in der Stadtkirche Großröhrsdorf noch erhalten.
Fragmente des Epitaphs für Hofrätin Christiane Sophie Nicolai sind nach dem Brand in der Stadtkirche Großröhrsdorf noch erhalten. © xcitepress
Pfarrer Norbert Littig (l.) und Gottfried Brückner überprüften den Kronleuchter, bevor er 2013 zur frisch ausgemalten Kirchendecke hinaufgezogen wurde.
Pfarrer Norbert Littig (l.) und Gottfried Brückner überprüften den Kronleuchter, bevor er 2013 zur frisch ausgemalten Kirchendecke hinaufgezogen wurde. © Archivfoto: René Plaul
2014 konnte die Sanierung der Kanzel in der evangelisch-lutherischen Stadtkirche Großröhrsdorf abgeschlossen werden.
2014 konnte die Sanierung der Kanzel in der evangelisch-lutherischen Stadtkirche Großröhrsdorf abgeschlossen werden. © Archivfoto: René Plaul
Das Gemälde im Baldachin über der Kanzel zeigte Gott als Überbringer von Freude und Segen. Die Holzquasten fehlten seit 1936 und wurden wieder angebracht.
Das Gemälde im Baldachin über der Kanzel zeigte Gott als Überbringer von Freude und Segen. Die Holzquasten fehlten seit 1936 und wurden wieder angebracht. © Archivfoto: René Plaul
2014 und 2015 wurde auch die Großmann-Loge in der Stadtkirche Großröhrsdorf restauriert. Diese befand sich im Altarraum.
2014 und 2015 wurde auch die Großmann-Loge in der Stadtkirche Großröhrsdorf restauriert. Diese befand sich im Altarraum. © Archivfoto: Matthias Schumann

2012 begann die umfangreiche Sanierung der Kirche mit dem Dach. Diese wurde damals als eines der letzten Projekte im Rahmen der Bund-Land-Städte-Förderung möglich, sagt Norbert Littig. Der Dachstuhl wurde repariert und das Dach mit rund 35.000 Ziegeln neu gedeckt. Das Besondere an dem Dach: ein Hängetragwerk. Das gibt es überaus selten, ermöglicht jedoch einen Innenraum ohne Säulen. Unterm Dach befand sich der Orgelbalg, welcher für gleichmäßigen Druck sorgte, damit die Orgelpfeifen erklingen konnten. Bei dem Brand ist die Decke nun komplett ins Kirchenschiff hinabgestürzt.

Ein Flyer als Vermächtnis aus der Stadtkirche

„Wir haben damals beim Innenausbau darauf geachtet, dass alles bis ins kleinste Detail renoviert und restauriert wird“, sagt Gottfried Brückner. „Jede Woche sind wir bei der Baubesprechung dabei gewesen, insgesamt sechs Jahre lang“, fügt Norbert Littig hinzu. „Wir haben dadurch Kenntnis davon erlangt, was die Leute damals gebaut haben und was die Generationen vor uns geleistet haben.“ Finanziell habe man so gut gewirtschaftet, dass bis 2018 noch Kanzel und Großmann-Loge saniert werden konnten.

Niemand rechnete damit, dass die jahrhundertelange Beständigkeit so jäh enden würde. Noch am Tag vor dem Brand ist Norbert Littig in der Druckerei gewesen, um den Druck eines Flyers in Auftrag zu geben, der mit Bildern und Texten über die Stadtkirche informiert. „Das ist nun wie eine Art Vermächtnis“, sagt er. „Wir werden ihn trotzdem drucken mit einer Ergänzung zum Brand.“

Für 2023 hatte sich der 2011 anlässlich der Sanierung gegründete Förderverein drei Projekte vorgenommen: Die Treppe am Eingang zur Kirche sollte repariert und die Turmuhr mit einem elektrischen Aufzug modernisiert werden, damit das Uhrwerk sich automatisch aufzieht und das nicht mehr einmal pro Woche per Hand gemacht werden muss. Alles war vorbereitet, die Finanzierung geklärt, für Herbst die Umsetzung geplant.

Ebenso sollte der Grundriss der Kirche aus dem Mittelalter, welche einst neben der späteren Stadtkirche stand, mit Pflastersteinen im Boden nachgebildet werden. „Damit hätte man ein Gefühl dafür bekommen, wie groß die Vorgängerkirche und die Stadtkirche sind“, erklärt Norbert Littig die Idee dahinter, „aber nun ist sie nicht mehr da.“