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Weißkollm: Trauriges Ende einer Bäckereigeschichte

Nach 123 Jahren schließt die Bäckerei Vesper in Weißkollm. Der Grund ist extrem tragisch.

Von Andreas Kirschke
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Bernd Moose (56) arbeitete seit 1989 in der Bäckerei Vesper mit. 1999 übernahm seine Frau Anke den Familienbetrieb. Jetzt musste die Bäckerei schließen.
Bernd Moose (56) arbeitete seit 1989 in der Bäckerei Vesper mit. 1999 übernahm seine Frau Anke den Familienbetrieb. Jetzt musste die Bäckerei schließen. © Foto: Andreas Kirschke

Weißkollm. Anke Moose war eine kreative, unverzagte Frau. Kinder lagen der Konditorin und Bäckermeisterin stets am Herzen. „Sie wollte noch nicht sterben. Sie hoffte, dass sie ihre Krankheit besiegen kann“, erinnert sich ihr früherer Schuldirektor und heutiger Chronist Werner Thomas (93) in Weißkollm. Doch der Lungenkrebs war stärker.

Am 31. August musste die Bäckerei schließen. Damit endet eine 123-jährige Familiengeschichte. Anke Moose führte die Bäckerei nach Urgroßvater Hugo Vesper, Großvater Otto Vesper und Vater Joachim Vesper in vierter Generation.

„Damit endet eine Verkaufskultur im Ort. Damit schließt der letzte Laden. Damit geht ein Stück Leben und Seele in Weißkollm verloren“, sagt Werner Thomas. Seit 1953 lehrte er im Dorf Deutsch, Musik, Geschichte und Geografie. Von 1954 bis 1957 und von 1961 bis 1991 leitete er in Weißkollm die Fritz-Kube-Oberschule.

Anke Moose, lachend mit Hund. Jetzt hat sie den Kampf gegen den Krebs verloren.
Anke Moose, lachend mit Hund. Jetzt hat sie den Kampf gegen den Krebs verloren. ©  Foto: privat

Bei seiner Ankunft im Ort 1953 gab es in Weißkollm die Bäckereien Vesper und Bläsche, die Fleischerei Schenk, Friseur Lischke, das Kaufhaus Waurick, den Konsum an der Dorfstraße, die Post sowie Stellmacherei, Klempner und Fuhrbetriebe. 15 Jahre später – 1968 – wurde Anke Moose geboren. Sie war zwischen 1974 und 1984 seine Schülerin. Ihre Meisterprüfung im Bäckerhandwerk bestand sie erfolgreich 1998. Sie führte die Familientradition weiter.

Ihr Urgroßvater Hugo Vesper hatte zunächst in der Gutsbäckerei gearbeitet. 1901 erwarb er das Grundstück Mittelweg 1. Dort entstand die Bäckerei mit Krämerladen. 1924 kaufte er eine Knetmaschine. Ebenso entstand ein Dampf-Backofen mit Kohlefeuerung. 1936 übernahm Sohn Otto Vesper das Geschäft. Er beschäftigte ein bis zwei Gesellen und einen Lehrling. Zwischen 1937 und 1939 stellte er zudem Speiseeis her.

Vater und Tochter führten Betrieb weiter

1955 übernahm Otto Vespers Sohn Joachim die Bäckerei. Er erweiterte die Backstube und baute den Laden um. 1989 rüstete er die Heizung auf Elektrik um. 1993 baute er nochmals um auf Ölheizung und Ölofen. 1999 übernahm Tochter Anke Moose die Bäckerei. Zu ihr gehörten die Filialen in Hoyerswerda und Lauta. Bis zu acht Mitarbeiter beschäftigte der Betrieb insgesamt in den besten Zeiten Anfang der 2000er-Jahre.

„Von Opa führte meine Frau historische Rezepte weiter“, erzählt Ehemann Bernd Moose (56). „Die Tradition weiterzuführen, war ihr wichtig. Die Vorfahren legten eine gute Basis dafür. Meine Frau war stolz auf ihr Handwerk.“ Ehemann Bernd, er ist gelernter Schweißer und Schlosser, und Tochter Marie (35) als gelernte Bäckerin arbeiteten bis zuletzt im Betrieb mit. In Weißkollm und Umland versorgte die Bäckerei die Einwohner mit Brot, Brötchen, Gebäck und Kuchen. Beliebt waren vor allem der herzhafte Rosinen-Stollen und Mohn-Stollen sowie Eierschecke, Mohnkuchen und Butter-Streusel.

„Auf dem Dach installierten wir Anfang 2024 eine Photovoltaik-Anlage. So konnten wir Stromkosten senken“, sagt Bernd Moose. Er selbst erlitt Anfang August einen Schlaganfall. Erst allmählich erholt er sich wieder. Mit Tochter Marie allein kann er die Bäckerei nicht weiterführen. Zu stark wiegt der Verlust seiner Frau. Sie war die Seele der Bäckerei. Mit Liebe malte, zeichnete, bastelte sie gern. Kreativ fertigte sie vor allem Torten. Bis 2003 stellte sie Pfefferkuchenhäuser her und dekorierte damit das Laden-Schaufenster.

Zum Schulanfang fertigte sie liebevoll für die Kinder Zuckertüten-Torten. Oft buk sie Kuchen für Hochzeiten, für Geburtstage, für Jubiläen und für Feiern. Für die Senioren-Weihnachtsfeier in Weißkollm und für den Lohsaer Weihnachtsmarkt spendete sie immer wieder gern ihre Stollen. Einmal im Jahr öffnete die Bäckerei für den Weißkollmer Kindergarten. Anke Moose zeigte den Steppkes und Erzieherinnen, wie mühevoll Brot entsteht. „Wertschätzung für das tägliche Brot war ihr wichtig“, erzählt ihr Mann. „Ebenso wichtig war ihr der Stolz auf das Bäckerhandwerk.“

Bernd Moose will weitermachen

Ein Einschnitt war die Schließung der Weißkollmer Grundschule im Jahr 2010. Damit bracht ein enormer Teil Kundschaft weg. „Das war nicht zu ersetzen“, sagt Bernd Moose. Bis 2035 wollte seine Frau durchhalten. Dann wollte sie in Rente gehen. Ihr Wunsch ging nicht in Erfüllung. Im Dorf hinterlässt sie eine große Lücke. Viel Mitgefühl und Beistand erfährt die verbliebene Familie. Tochter Marie will in jedem Fall als Bäckerin in ihrem Beruf weiterarbeiten, jedoch fest angestellt in einem Betrieb.

Bernd Moose findet Halt und Beistand durch die Familie, durch gute Freunde und Nachbarn, durch die Dorfgemeinschaft und durch den Sport. Früher kegelte er beim SV Traktor Weißkollm. Zudem trainierte er im Bereich Fußball eine Kinder-Mannschaft. Heute kegelt er beim SV Lok Hoyerswerda. Aufgeben gilt für ihn nicht. „Die 35 Jahre Freiberuflichkeit meiner Frau geben mir Mut, weiterzuleben und wieder neu anzufangen“, sagt der 56-Jährige nachdenklich.

Ursprünglich lernte er als Jugendlicher zunächst den Beruf Schlosser und Schweißer im Betrieb GISAG Gießereimaschinenbau Bernsdorf. Später arbeitete er im Tagebau Welzow im Bereich Instandhaltung und Reparaturen. Er brachte Großgeräte in Ordnung wie die Förderbrücke, die Bagger, Absetzer und Verlader im Innenbereich. Seiner Frau Anke zuliebe wechselte er 1989 in den Bäckerberuf. Das Umgewöhnen fiel ihm nicht schwer.

Seine Frau steckte ihn mit ihrer Freude an. Was bleibt, sind ihr unermüdlicher Fleiß, ihre Güte und die liebevollen Erinnerungen. „In jedem Fall will ich wieder etwas mit meiner Hände Arbeit in Zukunft tun. Da wird sich sicher etwas finden“, sagt Bernd Moose und blickt nach vorn. Er könnte jetzt verzagen. Er könnte die Hände in den Schoß legen. Hätte das seine Frau so gewollt? Bernd Moose winkt ab. „So war sie nicht. Und so sind wir nicht.“