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SZ + Hoyerswerda

Das große Wiedersehen nach 50 Jahren

Liberal und tolerant in Lessings Sinne: In Lohsa treffen sich jetzt ehemalige Schüler aus sechs Klassen wieder. Sie alle haben 1974 das Abitur abgelegt.

Von Andreas Kirschke
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Auf das Wiedersehen freuen sich Regina Ssykor, Sabine Eisengräber, Heike Köllner, Udo Steglich und Norbert Müller. (v.l.n.r.)
Auf das Wiedersehen freuen sich Regina Ssykor, Sabine Eisengräber, Heike Köllner, Udo Steglich und Norbert Müller. (v.l.n.r.) © Foto: Andreas Kirschke

Lohsa. Mit Humor und mit Feinsinn würzt Norbert Müller seine kleine Festrede. Darin will er sich an 1974 erinnern. Damals besiegte die DDR bei der Fußball-WM die BRD überraschend mit 1:0. Jahre zuvor säumten Solidaritäts-Plakate die Straßen. Sie forderten Freiheit für die inhaftierte schwarze Bürgerrechtlerin Angela Davis und für den inhaftierten chilenischen Kommunisten Luis Corvalán.

Schüler der Erweiterten Oberschule „Gotthold Ephraim Lessing“ zog es abends oft in den Schulclub. „Dort lief der Deep Purples Hit ,Fools‘ in Endlosschleife“, erzählt Norbert Müller. Der 68-Jährige heutige Dresdner legte 1974 die Abi-Prüfung ab. Sieben Schulabgangs-Klassen mit insgesamt rund 160 Schülern gab es damals an der Lessing-EOS in Hoyerswerda. Rund die Hälfte von ihnen aus sechs Klassen treffen sich jetzt 50 Jahre später am 21. September in Lohsa wieder.

„24 Schüler waren wir in der Klasse b 3. Der Zusammenhalt war sehr gut“, erzählt Norbert Müller. Seit Klasse 9 lernte der frühere Lohsaer in der Lessing-EOS in Hoyerswerda. Die Woche über blieb er im Internat. „Das Ehepaar Bauer (Leiter der Einrichtung) ließ uns Freiheiten. Sie fingen wohl einigen politischen Druck ab“, sagt der Dresdner. „Im Internat gab es Lernteams. In Mathe und Zeichnen war ich gut, in Musik hatte ich Schwächen.“ Gern erinnert sich Norbert Müller an Klassenlehrerin Ellen Halbert. Sie war damals erst 28 Jahre jung. Motiviert unterrichtete sie Deutsch und Englisch. „Sie führte mich wieder zum Lesen heran. So entdeckte ich dann Autoren wie Christa Wolf und Volker Braun“, erzählt der frühere Abiturient.

Ingenieure, Ärzte und Lehrer gingen aus seiner Klasse hervor. Norbert Müller selbst studierte an der TU Dresden Elektrotechnik. Später war er bei Robotron in Dresden Entwicklungsingenieur für Schreib- und Plottertechnik. Nach der Wende gründete er eine Elektronikfirma und ist heute noch in diesem Bereich tätig. Zum Abi-Treffen „50 Jahre danach“ kommt er gern. Dabei freut er sich vor allem auf alte Freunde aus den Parallelklassen wie Wolfgang Benndorf und Eberhard Nahly.

Ideengeberin: Sabine Eisengräber

Die Idee für das Treffen kam von Mitschülerin Sabine Eisengräber (69) aus Bröthen. Eine ihrer Bekannten (Abi-Jahrgang 1969) organisierte solch ein Treffen. „Das kam sehr gut an“, sagt die Bröthenerin. Mit Udo Steglich (69), Carsten Schreck (69) und weiteren Mitschülern sagte sie sich: „Das können wir auch.“ Ihr Abi-Jahrgang damals, so erzählt sie, war vielseitig interessiert, sehr sportlich und kulturell engagiert. „Es gab See-Sportler, Chor-Mitglieder, Basketballer, Sportakrobaten und und und…“

Sabine Eisengräber, die von Beruf Lehrerin ist, freut sich auf das Wiedersehen. So geht es auch Mitschüler Carsten Schreck. Er lernte damals in der Klasse 12 b 4 und wurde später Bergbau-Ingenieur. Heute ist er Rentner. An die Abi-Zeit entsinnt er sich gern. „Unser Schule war tolerant und liberal. Ganz in Lessings Sinne“, erzählt er. Jetzt freut sich Carsten Schreck auf das Wiedersehen.

So geht es auch Eva-Maria Wutzke (68) aus Lohsa und Regina Ssykor (68) aus Weißkollm. Beide lernten ursprünglich in der 9 e. Von den 20 Schülern waren nur acht Jungen. Eva-Maria Wutzke ging nach der 10. Klasse ab. Sie lernte Medizinisch-Technische Assistentin. Viele Jahre arbeitete sie in der Lungen-Heilklinik Schloss Bärwalde. Die Einrichtung gehörte zum Krankenhaus Hoyerswerda. „Für mich war der Anfang ganz schwer“, erzählt Mitschülerin Regina Ssykor über ihre Abi-Zeit. „Ich kannte keinen. Musste mich eingewöhnen. Das gab manche Tränen…“

Von Lehrerin inspiriert

Zickenkrieg gab es nicht in der Klasse. Die Schüler hielten zusammen. Spezialisiert war die Klasse auf Sprachen. Eva-Maria Wutzke und Regina Ssykor lernten außer Russisch und Englisch noch Französisch. Regina Ssykor wurde später Lehrerin für Russisch und Englisch. 1978 bis zur Wende unterrichtete sie in Lohsa. Später lehrte sie an der 5. Mittelschule und an der 1. Mittelschule in Hoyerswerda. „Unsere Klassenlehrerin in der EOS war Regina Jander. Sie lehrte Deutsch und Englisch. Sie kam frisch vom Studium“, erzählt Regina Ssykor mit hohem Respekt von der heute 84-jährigen Stralsunderin. „Wir hatten viel zu lernen. Und doch hat es Freude bereitet. Dank Frau Jander lernte ich viel für meinen späteren Lehrerberuf, zum Beispiel über Methodik.“

Straff politisch ging es eher nicht zu, erinnert sich ihre Mitschülerin Eva-Maria Wutzke. Stattdessen legte die Schule viel Wert auf Kultur. Regina Ssykor sang mit im Chor. Der kam viel in der Welt herum. Es ging zu den Weltfestspielen 1977 nach Berlin, ebenso nach Eisenach oder ins polnische Częstochowa. Einige aus der 9 e wurden nach dem Abitur Lehrer, andere Dolmetscher, Banker, Physiker und Künstler. Bis in die Schweiz und bis nach China führten ihre Lebens- und Berufswege.

Klassenfahrten waren Höhepunkt

In der Nachbarklasse b 5 lernte damals Heike Köllner. Die 69-jährige lebt heute in Neuwiese. Zu ihrer Klasse gehörten 24 Schüler. „Elf haben definitiv zugesagt für das Wiedersehen-Treffen nach 50 Jahren“, erzählt sie. Mit ihren Eltern lebte sie in der Abitur-Zeit in der Hoyerswerdaer Neustadt. Gern erinnert sie sich an die Klassenfahrten. Es ging nach Cunewalde, nach Leipzig, nach Werdau. „Gerade bei Klassenfahrten lernst du die Mitschüler und Lehrer erst richtig kennen“, erzählt sie. „In Cunewalde pflückten die Jungs die ganze Nacht Osterglocken… Wir versuchten, Pudding zu kochen. Der ist uns angebrannt…“

Mathematik, Physik und Staatsbürgerkunde lagen Heike Köllner sehr. Eher schwer fiel ihr damals Chemie. Die Abi-Zeit von damals will sie nicht missen. Einige enge Freunde blieben bis heute erhalten. Sabine Rymarczyk gehört mit dazu. Sie lebt heute in Rothenburg an der Wümme (Niedersachsen). Zunächst lernte sie nach dem Abitur Landwirtin, später arbeitete sie als Vermesserin. Heike Köllner selbst studierte in Weimar und wurde zunächst Ingenieurin für Baustoffe. Heute arbeitet sie als selbständige, freiberufliche Grundstücks-Bewerterin. Aus ihrer Klasse, so erzählt sie, gingen Lehrer, Künstler, Finanzbeamte, Piloten, Wissenschaftler, Maler, Bergarbeiter, Militär-Angehörige und Mediziner hervor. „Ich freue mich auf das Wiedersehen“, sagt die Neuwieserin. 50 Jahre vergingen seit den Abiturprüfungen 1974. In Lohsa beim Wiedersehen wird es viele herzliche Umarmungen geben.