Großenhain. Mit Karl Benjamin Preusker werden die Kinder der Stadt spätestens in der Grundschule bekannt gemacht. Carlo Mierendorff oder Louise Otto Peters dagegen sind wahrscheinlich vielen Großenhainern eher weniger geläufig. Kaum jemand weiß wohl, dass zum Beispiel Mierendorff hier geboren wurde und es später einmal als sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter schaffte, Nazi-Propagandachef Goebbels wortlos aus dem Gremium abtreten zu lassen.
Auch Oberbürgermeister Sven Mißbach räumte am Sonntag bei der Freigabe des neugestalteten Fußgängertunnels an der Meißner Straße ein, bei dieser oder jener Persönlichkeit etwas Nachholbedarf zu haben. Doch die Porträts der Großenhainer "Köpfe", die nach Abschluss des Graffiti-Sommers die Wände zieren, begeistern auch ihn. "Hier ist etwas Tolles entstanden", sagte der Rathauschef am Sonntag.
„Sehnsucht Freiheit“ war das Projekt überschrieben. Unterstützt vom Freistaat Sachsen, der Sparkasse Meißen sowie weiteren Spendern und unter Anleitung von Künstler Sebastian Bieler und Lehramtsstudent Mark Tuckermann waren rund 25 junge Leute in den Ferien zwei Wochen emsig am Sprühen und Malen. Die inhaltliche Idee des Kunstwerkes: Köpfe von mit Großenhain in Zusammenhang stehenden Menschen zu sprühen, die sich für Freiheit und demokratische Prinzipien einsetzten. Von der bürgerlichen Revolution 1848 bis zur friedlichen Revolution 1989.
Schüler vom Gymnasium Großenhain entwickeln Projekt weiter
Jens Schulze-Forster, Leiter des Museums "Alte Lateinschule", erklärte das Ansinnen. "Wir leben in einer freiheitlichen Demokratie, in der jeder mitbestimmen kann. Doch es hat 200 Jahre gedauert, ehe es so weit war", sagte er. Das Museum habe deshalb die Chance ergriffen, die Förderangebote des Freistaates für den Graffiti-Sommer in Anspruch zu nehmen.
Auch Schüler des Großenhainer Gymnasiums sind auf den Zug aufgesprungen. 30 Zehntklässler kamen mit dem Museum und Künstlern zu einem Workshop zusammen. Dabei ging es unter anderem darum, was sie persönlich unter Freiheit verstehen, warum es die "Freiheit von etwas" und die "Freiheit zu etwas" gibt. Die künftigen Geschichtsleistungskurse des Gymnasiums beschäftigten sich auch mit Freiheitsrechten in der Vergangenheit im Vergleich zu heute und mit Formen, wann, warum und wie Freiheit eingeschränkt werden muss: im Straßenverkehr, durch juristische Kategorien oder moralischen Verhaltenskodex. Gemeinsam mit Geschichtslehrer Wolfgang Maaß sollen jetzt zusätzlich zu den Tunnel-Motiven noch Erklärvideos erstellt werden, die dann per QR-Codes vor Ort aufrufbar sind. Bis Jahresende, so der Plan, soll dies geschafft sein.
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Jens Schulze-Forster ist sehr dankbar für die Unterstützung, die das Projekt in den letzten Wochen erfahren hat. Dazu gehört unter anderem die Gartensparte "Erholung", die Strom und Wasser zur Verfügung stellte. Oder auch der Förderverein des Museums, der nicht zuletzt für die zahlreichen Teilnehmer der Eröffnung Kuchen zur Verfügung stellte. Ebenso Jugendsozialarbeiter Raimo Siegert, der sich um die Organisation und Betreuung während des Workshops kümmerte.
Der Wunsch aller Beteiligten: Jeder, der künftig durch den Tunnel der Freiheit geht oder radelt, sollte sich mit der dokumentierten Geschichte Großenhains beschäftigen und persönlich angemessen damit umgehen. Denn dass manch Zeitgenosse den Begriff Freiheit falsch versteht, zeigten Unbelehrbare in der Nacht vor der Eröffnung, als sie auf dem Weg zum Tunnel nicht zum ersten Mal Glasflaschen auf dem Boden zerschellen ließen.