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SZ + Großenhain

Als der Breakdance vor 40 Jahren nach Großenhain kam

Sie nannten sich Grohai City Breakers und schwärmten für den Film "Beat Street". Sie tanzten auf Diskos, und einer malte 1985 einen verbotenen Schriftzug.

Von Kathrin Krüger
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Daniel Nestler, Mario, Jan Herzog, Steffen Lieder, Michael, Jörg Eckard und Uwe Zocher (vl.) waren Großenhains Breakdancer der ersten Stunde. Doch nicht nur sie.
Daniel Nestler, Mario, Jan Herzog, Steffen Lieder, Michael, Jörg Eckard und Uwe Zocher (vl.) waren Großenhains Breakdancer der ersten Stunde. Doch nicht nur sie. © privat

Großenhain. Als vor 40 Jahren der amerikanische Film "Beat Street" herauskam und 1985 auch im Großenhainer Kino gezeigt wurde, nahm eine neue Jugendbewegung ihren Anfang. Sie versinnbildlichte damals eine "Sehnsucht nach Freiheit", wie sie heute wieder in der Stadt mit Graffiti thematisiert wird. Einer machte es früher heimlich: Oliver Löffler. Er malte im Sommer 1985 ans alte Gefängnis an der Meißner Straße den Schriftzug "Ramo" - nach der Hauptfigur im Film. Ramo war Graffiti-Sprayer. Doch Spraydosen gab es zu der Zeit in Großenhain noch nicht. Oliver Löffler nahm blaue Farbe. Erst 1988 hatte Maik Petzold die erste Farbdose und sprühte damit das erste Graffito in der Stadt.

Andere Jugendliche wurden Breakdancer. Das war die zweite Beschäftigung, die mit dem Film populär wurde. Frank Gollmer war damals 16-jähriger Schüler und Teil der Bewegung. Er erinnert sich, dass schon 1983 Frank Reinisch von einer Reise nach Polen den neuen Tanzstil mitbrachte. "Er tanzte in Imos Gartensparte 'Zur Erholung' zum Titel 'Self Control', und wir waren alle begeistert", erzählt Frank Gollmer. Wie überall in der DDR erfreute sich dann ein Jahr später der Film "Beat Street" ungeahnter Popularität und führte zur Gründung zahlloser Vereinigungen, die sich dem Breakdance und Hip-Hop widmeten.

"Wir nannten uns Grohai City Breakers, und es gab noch eine zweite Breakdance-Gruppe, das waren die New Publikation", erzählt Frank Gollmer. In seinem gut sortierten Archiv hat er Fotos von damals und auch die Namen der jugendlichen Breakdancer: Jörg Eckard, Daniel Nestler, Jan Herzog, Steffen Lieder, Tino Fischer, Uwe Zocher, Enrico Menzel, Falk Neumann. Auch Oliver Löffler tanzte mit. Von anderen weiß er nur die Vornamen: Mario und Michael. Von einem weiteren nur den Nachnamen: Kesselring. "Bei mir zu Hause in der Klostergasse 5 haben wir damals geübt", so Gollmer. An der Wand im Kinderzimmer war ein vier Meter breiter Schriftzug: Beat Street. Jan Herzog hat ihn im damaligen Stil gemalt. Er war der Leiter der Grohai City Breakers.

Jörg Eckard, Daniel Nestler, Jan Herzog und Frank Gollmer (v.l.) waren die Grohai City-Breakers.
Jörg Eckard, Daniel Nestler, Jan Herzog und Frank Gollmer (v.l.) waren die Grohai City-Breakers. © privat
Der Kubaner Miguel Domínguez Rodriguez, genannt Gogie, tanzte mit den Großenhainern.
Der Kubaner Miguel Domínguez Rodriguez, genannt Gogie, tanzte mit den Großenhainern. © privat
Dieser Schriftzug, der der Hauptfigur im Film "Beat Street" gewidmet ist, schlummerte fast 40 Jahre am alten Großenhainer Gefängnis hinter Weinlaub. Jetzt wurde er freigelegt.
Dieser Schriftzug, der der Hauptfigur im Film "Beat Street" gewidmet ist, schlummerte fast 40 Jahre am alten Großenhainer Gefängnis hinter Weinlaub. Jetzt wurde er freigelegt. © Kathrin Krüger
Schriftzug zum Film "Beat Stret" im Jugendzimmer von Frank Gollmer.
Schriftzug zum Film "Beat Stret" im Jugendzimmer von Frank Gollmer. © privat

Mit Hip-Hop-Musik aus dem Sharp-Kassettenrekorder mit Leuchtdioden und Doppelkassettendeck übten die Jungs die Bewegungen des Breakdance: Bodenwellen und -drehungen, Körperwellen, Rollen, Handstand-Überschlag und Helikopter. Unterstützung erhielten sie von einem Kubaner. Miguel Domínguez Rodriguez, genannt Gogie, war damals einer der 24 ausländischen Vertragsarbeiter in der Textima. "Er brachte den Breakdance schon aus Kuba mit", erinnert sich Frank Gollmer. Gemeinsam stachelten sie sich mit den "heißen Tänzen" an.

Nicht lange, und die Gruppen zeigten sich auch öffentlich. Eine Zeitungsnotiz dokumentiert einen Auftritt zum Stadtfest 1985, "in der Pause des Dixielands in der Nacht zum Sonntag". Ohne Gage zeigten die Jungs ihr Können. "Wir hatten außer unserem Kassettenrekorder immer eine Unterlage aus Linoleum dabei, auf der wir uns bewegten", sagt Frank Gollmer. Das Linoleum besprühten sie mit Schweißerspray, damit sie sich schneller drehen konnten. Jede Woche trafen sie sich auch im Stadtpark an der früheren Kaufhalle, am heutigen Tennisplatz. Dort gab es einen harten Untergrund zum Proben. Ebenso auf der Terrasse vor der Mückenschänke. Im Haus der Pioniere an der Seeanlage und im Jugendklub Runder Würfel am Kupferberg wurde Breakdance getanzt. Frank Gollmer erinnert sich auch an Auftritte der Breakdancer in der Hermann-Matern-Schule, der heutigen Oberschule Am Kupferberg.

Dabei allein blieb es nicht. Zur Disko in der "Einheit", im Elbgasthof Nünchritz, in Glaubitz oder im Dorfgasthof Frauenhain bewegten sich die Jungs mit Flackerlicht, das die ruckartigen Bewegungen noch unterstützte, als Showeinlage. Henner Ruscher als DJ von "Superhit" sowie Mike Preibisch und Alex Beeg als Schallplattenunterhalter können die Auftritte bestätigen. "Wir hatten dann auch in der Kraftsporthalle im Stadtpark eine Anfängergruppe für neue Interessenten", so Frank Gollmer. Doch die Tänzer der ersten Stunde wollten mehr. Sie strebten eine Einstufung beim Kreiskabinett für Kulturarbeit in Meißen an. Frank Gollmer: "Das ist uns leider nicht gelungen." Anders Heiko Hahnewald aus Meißen, der zur gleichen Zeit bekannt wurde. Er schaffte es bis zum DDR-Meister im Breakdance, weil er die Windmühle konnte, bei der er die Beine durch die Luft wirbelte.

Dennoch sind die Grohai City Breakers laut Frank Gollmer damals zu Breakdance-Turnieren nach Hoyerswerda und Guben gefahren. Bis 1988 war die Gruppe aktiv. Dann zerstreuten sich die Jugendlichen durch Ausbildung und Arbeit. Doch vor zehn Jahren, 2014, hätten einige von ihnen im KAB noch mal mit Heiko "Hahny" Hahnewald Breakdance getanzt: Jan Herzog, Frank Gollmer, Steffen Lieder und Frank Reinisch. Jetzt, nach fast 40 Jahren, hat Frank Gollmer den Schriftzug "Ramo" am alten Gefängnis wiederentdeckt. Der Film "Beat Street" wird zum Abschluss der Museumsausstellung "35 Jahre Graffiti in Großenhain" am 4. November in der Filmgalerie am Frauenmarkt gezeigt.

  • Am 24. September gibt es um 18 Uhr im Museum am Kirchplatz einen Themenabend zu Graffiti, Hip-Hop und Breakdance. Alle Interessenten und vor allem die ehemaligen Aktiven sind dazu herzlich eingeladen.