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Gregor Gysi: "Sahra Wagenknechts Erfolg ist nicht von Dauer"

Rechtsanwalt, Autor und Linken-Politiker: Gregor Gysi ist ein Mann mit vielen Talenten und plauderte vor seinem Besuch in Großenhain exklusiv mit Sächsische.de.

Von Catharina Karlshaus
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Auch im Landkreis Meißen lächelte Linken-Urgestein Gregor Gysi auf den Wahlplakaten und kämpfte an der Seite der Spitzenkandidaten in Sachsen und Thüringen für die Zukunft seiner Partei.
Auch im Landkreis Meißen lächelte Linken-Urgestein Gregor Gysi auf den Wahlplakaten und kämpfte an der Seite der Spitzenkandidaten in Sachsen und Thüringen für die Zukunft seiner Partei. © Daniel Wagner

Großenhain. Er ist ein gefragter Mann. Ganz grundsätzlich und nach den Landtagswahlen am vergangenen Wochenende in Sachsen und Thüringen im Besonderen: Gregor Gysi. Rechtsanwalt, Autor und scheinbar letzte Bastion der deutschen Linken, soll analysieren, was für seine Partei nach eigenem Bekunden mit einem "ausgesprochen desaströsen Ergebnis" geendet ist. Trotz seiner vielen Termine in diesen Tagen danach stand der wortgewandte 76-Jährige Sächsische.de für ein Interview im Vorfeld seines Besuches im Großenhainer Kulturschloss zur Verfügung.

Herr Gysi, jedes Jahr, selbe Zeit. Im vergangenen September haben wir beide in Großenhain darüber gesprochen, dass Sie gern noch Sondierungs- und Koalitionsgespräche führen wollen, damit Die Linke eine andere Politik in Deutschland ermöglichen kann. Damit schaut es wohl momentan düsterer denn je aus, oder?

Das können Sie aber laut sagen! Zunächst mal sind die Ergebnisse in Sachsen und Thüringen natürlich ein absolutes Desaster für die Ampel-Regierung. SPD, Grüne und FDP haben ja dramatisch an Stimmen eingebüßt. Und es ist fraglos ein Desaster für Die Linke, auch wir haben bedrohlich an Stimmen verloren. Ich betrachte es als Warnschuss, was im Fall der Fälle passieren kann. Immerhin konnte in Sachsen dank zwei Direktmandaten noch eine Fraktion von uns in den Landtag einziehen, was sehr wichtig ist, damit Die Linke nicht ganz von der Bildfläche verschwindet. Es ist aber dennoch keine Frage, dass sich meine Partei personell, strukturell und politisch auf dem kommenden Parteitag im Oktober erneuern muss, um für die Bundestagswahl 2025 richtig durchstarten zu können. Ich hoffe sehr, dass wir da eine neue Stimmung erzeugen können.

Plötzlich den Ruf als Friedenspartei verloren

Besonders im Osten des Landes hatte Ihre Partei in der Vergangenheit durchaus das wohlmeinende Image einer Kümmererpartei. Hat sie verpasst, sich intensiv um sich selbst zu kümmern?

Naja, nicht unbedingt. Es ist eher so, dass man dachte, dass nach der Vereinigung der PDS mit der Wahlalternative WASG im Jahr 2007 unsere Traumstunden im Westen kommen. Die fielen dann aber aus, dadurch ist der Osten etwas vernachlässigt worden. Ein großer Fehler!

Dann erschien plötzlich die AfD auf dem politischen Parkett, wir beschäftigten uns mehr mit deren vermeintlichen Mitgliedern und Äußerungen als mit unseren eigenen Interessen sowie all dem, was wir selbst falsch machen. Das alles war nicht gut. Doch nun haben die beiden Vorsitzenden ja ihre Konsequenzen gezogen, wir werden im Oktober einen neuen Bundesvorstand wählen, von dem ich hoffe, er wird vernünftiger agieren.

Im Übrigen war es auch falsch, die Friedenskundgebung von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer nicht zu unterstützen. Dadurch haben wir den Ruf als Friedenspartei verloren, den wir niemals hätten verlieren dürfen. Und Sahra hat den nun clevererweise so an sich gezogen. Das alles muss repariert werden.

Gregor Gysi im Jahr 2020 in der Großenhainer Remontehalle bei der Vorstellung seines Buches "Ein Leben ist zu wenig".
Gregor Gysi im Jahr 2020 in der Großenhainer Remontehalle bei der Vorstellung seines Buches "Ein Leben ist zu wenig". © Kristin Richter

BSW, ein stimmungsvoller Gemischtwarenladen

Vor einem Jahr haben Sie noch versucht, diese Sahra zur Beendigung des "Geredes einer neu zu gründenden Partei" zu bewegen. Auch waren Sie der Ansicht, im Fall der Fälle wäre diese Einpersonen-Vereinigung ganz schnell weg vom Fenster. Nicht zuletzt angesichts der jüngsten Wahlergebnisse ein Irrtum?

Nein, das sehe ich anders! Sahra ist jetzt erfolgreich, wie damals auch Die Piraten am Anfang sehr erfolgreich waren. Denn sie bietet ein klein wenig von allem an. So eine Mischung aus Europa und Flüchtlingspolitik wie die AfD, darüber hinaus ein wirtschaftspolitischer Streifzug wie Ludwig Erhard, dem zweiten CDU-Bundeskanzler, von dem sie ja auch in ihren Büchern schwärmt, und ein bisschen Sozialpolitik wie Die Linke. Alles in allem ein stimmungsvoller Gemischtwarenladen, der zunächst funktioniert. Allerdings nicht auf Dauer.

Ich glaube, dass das am Anfang Erfolg hat, mache aber bereits ein Fragezeichen bei der Bundestagswahl. Am Ende ist mir das ehrlicherweise aber auch eher egal. Mir ist nur wichtig, dass wir uns davon nicht beirren lassen und wir unseren eigenen Weg gehen. Und den viel besser und entschlossener als in der Vergangenheit.

Leute aus dem Osten wählen AfD enttäuscht aus Daffke

Sie selbst haben bis wenige Tage vor den Landtagswahlen an der Seite der sächsischen und thüringischen Spitzenkandidaten um Stimmen für Die Linke gekämpft. Letztlich hat sich eine große Mehrheit der Bevölkerung für die AfD entschieden. Verstehen Sie als Deutschlands viel zitierter Ostversteher eigentlich noch Ihre ostdeutschen Landsleute?

Ach, der Berliner würde sagen, das ist so eine typische Daffke-Haltung der Leute. Sie wissen ganz genau, dass sich die etablierten Parteien natürlich am meisten über die Wahl der AfD ärgern. Genau diese etablierten Parteien, von denen die Leute selbst so oft enttäuscht wurden. Also verpassen sie ihnen einen Denkzettel und wählen die AfD.

Zudem haben die Menschen Angst vor der Globalisierung, sie befürchten einen weiteren Ansturm von Flüchtlingen, die Zunahme von Arbeitslosigkeit, wirtschaftlichen Einbußen und erklären sich nicht einverstanden mit der Haltung Deutschlands im Ukraine-Krieg. Es kommt alles zusammen, was die AfD weiß, vortrefflich für sich und ihre Interessen auszunutzen.

Und wissen Sie, wenn wir über den Bereich der ehemaligen DDR sprechen, dürfen wir nicht vergessen, dass in den Menschen noch immer die Wiedervereinigung nagt. Bis auf das Ampelmännchen, das Sandmännchen und den grünen Abbiegepfeil blieb von ihrem Heimatland nichts übrig. Man hat die DDR reduziert auf Mauertote, Staatssicherheit und SED. Das gab es natürlich alles, aber das eigentliche Leben dort hat niemanden von der Bundesregierung interessiert.

Es wurden wichtige Dinge, in denen die DDR weit voraus war - ich denke nur an die Gleichstellung der Geschlechter -, einfach ignoriert. Damit wurden die Ostdeutschen schwer und nachhaltig gedemütigt. Ihnen wurde vermittelt, nichts geleistet zu haben und ein Mensch zweiter Klasse zu sein. Das sitzt bis heute tief, auch in den nachfolgenden Generationen. All das sollte man wissen, bevor man die Ostdeutschen verurteilt. Die ihrerseits auf all die Anwürfe trotzig reagieren und - die AfD wählen.

Weitere Talfahrt bei Wahl in Brandenburg für die Ampel

Entertainer Harald Schmidt hat am Sonntagabend im Mitteldeutschen Theater Dessau mit spitzer Zunge zu bedenken gegeben, die Sachsen und Thüringer hätten sehnsuchtsvoll die Große Koalition gewählt. Eine solche wird es zwischen CDU und AfD bekanntlich nicht geben. Eine weitere Zerreißprobe für die Demokratie und Grund für noch mehr Unmut?

Diesen Unmut müssen die Wählerinnen und Wähler der AfD aushalten. Es ist nun mal so, dass eine Mehrheit im Parlament entscheidet. Und andere Wähler haben anders gestimmt. Es gibt mehrere Möglichkeiten, aber man darf sich keineswegs zwingen lassen, mit einer AfD zu koalieren, die in Teilen doch sehr rechtsextrem aufgestellt ist.

Welche Ergebnisse erwarten Sie in drei Wochen in Brandenburg?

Ich hoffe, dass meine Partei über Direktmandate und die Fünfprozenthürde in den Landtag einzieht. Das BSW wird meiner Meinung nach in Brandenburg auch gut abschneiden. Ich hoffe, dass die SPD stärkste Kraft bleibt, die AfD wird auch dort punkten, und aufgrund der Unzufriedenheit mit der Ampel werden SPD, Grüne und die FDP neben uns die nächste Talfahrt erleben.

Parteitag für persönliche Zukunft entscheidend

Herr Gysi, immer wenn Die Linke in der Krise ist, werden Sie als Allzweckwaffe aufgeboten. Gilt das auch für die anstehende Bundestagswahl im kommenden Jahr?

Ich werde mich nach dem Parteitag entscheiden, denn ich will erst mal schauen, was da überhaupt passiert. Dann können Sie mich nochmal anrufen und ich werde Ihnen verraten, was ich mache.

  • Gregor Gysi wird am Sonnabend, 14. September, ab 19 Uhr im Kulturschloss Großenhain, Schlossplatz 1, mit seinem Programm: "Auf ein Wort, Herr Gysi" zu Gast sein. Informationen und Tickets unter 03522/505555, [email protected]