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Görlitzer Klima sorgt für gute Wurst

Nach alten Rezepturen wird in der Niederschlesischen Wurstmanufaktur produziert, Görlitzer Luft spielt dabei eine Rolle. Mit Unterbrechung ist die Firma Hein seit 90 Jahren in Görlitz.

Von Gabriela Lachnit
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Claus Hein ist Geschäftsführer der Niederschlesischen Wurstmanufaktur Görlitz. In die Kammer, in der die Würste reifen, geht es auch für den Chef nur in entsprechender Schutzkleidung.
Claus Hein ist Geschäftsführer der Niederschlesischen Wurstmanufaktur Görlitz. In die Kammer, in der die Würste reifen, geht es auch für den Chef nur in entsprechender Schutzkleidung. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Obwohl es meistens nicht draufsteht: In vielen Sachen steckt Wurst aus der Niederschlesischen Wurstmanufaktur Görlitz drin. Zum Beispiel in einem belegten Brötchen an der Tankstelle oder beim Bäcker. Aber auch in Bistros, in Hotels und beim Catering werden Salami und Schinken aus Görlitz verarbeitet - nicht nur in Deutschland, sondern in der EU und in Übersee. Die Wurzeln des seit 1995 wieder in Görlitz ansässigen Unternehmens reichen bis ins Jahr 1932 zurück.

Familienunternehmen mit Wurzeln in Görlitz

Als Georg Hein während seiner Meisterausbildung als Fleischer seinerzeit in Cottbus seine Frau Hilde kennenlernte, ahnte er nicht, dass er bald den Grundstein für ein Familienunternehmen legen würde. Die Görlitzerin absolvierte ebenfalls an dieser Fleischerschule eine Ausbildung zur Verkäuferin. 1932 machte sich das Ehepaar mit einem gemieteten Laden in der Görlitzer Ost-Stadt, ab 1936 in der Moltkestraße selbstständig. Bis zum Krieg lief es gut, doch dann kam Georg Hein aus dem Krieg nicht zurück. Seine Frau gab das Geschäft an einen Görlitzer Fleischer ab, bei dem Sohn Dieter Hein in die Lehre ging. "Das war bei allem Unglück dennoch ein Glück", sagt Claus Hein. Der 54-Jährige ist einer von zwei Söhnen von Dieter Hein. Er leitet heute die Niederschlesische Wurstmanufaktur Görlitz.

Claus Hein verweist auf ein Foto aus dem Jahr 1932. Es entstand auf dem Görlitzer Postplatz und zeigt die Familie Hilde und Georg Hein mit ihren drei Kindern. Rechts, im Kinderwagen, ist sein Vater Dieter Hein zu sehen.
Claus Hein verweist auf ein Foto aus dem Jahr 1932. Es entstand auf dem Görlitzer Postplatz und zeigt die Familie Hilde und Georg Hein mit ihren drei Kindern. Rechts, im Kinderwagen, ist sein Vater Dieter Hein zu sehen. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

1961 eröffnete seine Großmutter schließlich in Hasbergen bei Osnabrück ein Fleischerei-Geschäft. Das entwickelte sich zusehends, immer wieder wurde angebaut, bis 1974 im Gewerbegebiet Hasbergen-Gaste ein völlig neuer Betrieb entstand. Nach der Wende fädelte Dieter Hein schon bald wirtschaftliche Verflechtungen in seine Geburtsstadt Görlitz ein und übernahm 1995 den Betrieb im Gewerbering 13. Seit dem Jahr 2015 ist Claus Hein Geschäftsführer und mit Bruder und Vater Gesellschafter des Unternehmens in Görlitz. Er schloss den Laden am Betrieb und strukturierte die Firma völlig um. Die Görlitzer Firma wurde an den Mutterbetrieb in Hasbergen-Gaste angegliedert.

Ein Mitarbeiter der Niederschlesischen Wurstmanufaktur Görlitz hängt die frisch hergestellten Salami in einen speziellen Wagen, mit dem es in die Reifekammer geht.
Ein Mitarbeiter der Niederschlesischen Wurstmanufaktur Görlitz hängt die frisch hergestellten Salami in einen speziellen Wagen, mit dem es in die Reifekammer geht. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Während der Corona-Pause neue Wurst entwickelt

"Von einigen Mitarbeitern mussten wir uns leider trennen, aber sie fanden mit unserer Hilfe schnell neue Arbeitsplätze", erklärt Claus Hein. Denn ein völlig neues Konzept sah vor, sich auf zwei Produktionslinien zu beschränken: auf Salami-Rohwurst und Rohschinken, beides nach alten schlesischen Rezepturen hergestellt. Diese Umstellung erforderte Investitionen in moderne, neue Technik und einen Umbau. "Das haben wir sozusagen bei laufender Produktion gestemmt", erklärt Claus Hein. Dass er dabei selbst mit auf der Baustelle Hand anlegte, war für den 54-Jährigen selbstverständlich.

Denn der Mann ist ein Macher. Ausreden, warum etwas nicht geht, lässt er nicht gelten. Er ist zwar gelernter Fleischer, aber seine Sache ist vor allem der Vertrieb der Produkte. Und so übertrug er seinen Mitarbeitern in Görlitz nicht nur viel Arbeit, sondern auch viel Verantwortung. "Gemeinsam haben wir erreicht, wo wir heute stehen", sagt er. Die Mitarbeiter ziehen mit, das Betriebsklima ist freundlich, und das nicht nur, weil man sich untereinander und mit dem Chef duzt.

Als mit der Corona-Pandemie der Wurstmanufaktur plötzlich die Kunden wegbrachen - Hotels und Gaststätten waren geschlossen, Kantinen ebenso - stand Kurzarbeit für das Unternehmen in Görlitz an. Doch weder der Chef noch die Belegschaft wollten untätig bleiben. So wurde einerseits die Zeit genutzt, um sämtliche Betriebsabläufe genauestens zu prüfen und Ressourcen zu erschließen. Andererseits ging der Chef - der Vertriebsspezialist - auf die Suche nach neuen Kunden. In Zusammenarbeit mit Lebensmitteltechnologen und dem Mutterbetrieb wurde eine Salami für Pizzen entwickelt. Dass das nur wenige Wochen dauerte und Hein vier Wochen später bereits die ersten Kunden für die neue Wurst hatte, freut ihn mächtig. Mittlerweile ist die Pizza-Salami ein Standbein in der Produktion.

Bis zu drei Monate reift der Schinken in der Niederschlesischen Wurstmanufaktur.
Bis zu drei Monate reift der Schinken in der Niederschlesischen Wurstmanufaktur. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Reifung erfolgt computergesteuert

Das Erreichte kann sich sehen lassen. Etwa 20 Tonnen Salami und Rohschinken stellen die 22 Mitarbeiter jede Woche in Görlitz her. In einem Naturreife-Verfahren werden die Produkte haltbar gemacht. Der Wurst und dem Schinken wird dabei nach dem Räuchern in speziellen Kammern Feuchtigkeit entzogen. Ein leiser Windhauch weht dabei durch die Räume, in denen die etwa 70 Zentimeter langen Würste dicht an dicht in Wagen hängen und reifen. Wie lange das dauert, hängt von der Wurstsorte ab. Bei Schinken sind das schon mal drei Monate. Claus Hein schätzt dabei die Görlitzer Luft besonders, die computergesteuert mit konstant 18 Grad Celsius die Würste umweht. Das transkontinentale Görlitzer Klima sei gut für die natürliche Reifung der Salami, sagt Hein.

Dass man in unmittelbarer Umgebung der Wurstmanufaktur kaum etwas von frisch geräucherter Wurst riecht, ist übrigens einem Bio-Abluft-Filter zu verdanken.

Lehrlinge zu finden, ist schwer

Zwar werden die Wurstwaren in Görlitz industriell hergestellt, aber eine ganze Menge Handarbeit über einzelne Stufen der Herstellung steckt trotzdem in den Produkten. Dafür wird Fleisch verarbeitet, das aus dem Fleischereieinkauf Leipzig, aus der Fleischzerlegung in Hasbergen-Gaste und von Produzenten aus dem ganzen Bundesgebiet kommt. Um das zu verarbeiten, bildet die Wurstmanufaktur auch aus - Fleischer und Fachkräfte für Lebensmitteltechnologie. Gute Lehrlinge zu bekommen, sei aber schwer, sagt der Geschäftsführer.

Denn Lehrlinge müssten flexibel sein und beispielsweise einen dreimonatigen Kurs im Mutterbetrieb bei Osnabrück in Kauf nehmen. Eine Unterkunft stellt die Firma. Heins Einsatz für die Fleischerausbildung an der Berufsschule in Görlitz war nicht erfolgreich, Fleischerlehrlinge müssen in die Berufsschule nach Dresden. Doch: Aufgeben ist Claus Heins Sache nicht.