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Urteil zu Honorarkräften: Musikschulen bangen um ihre Existenz

Bundesweit sollen Musikschulen nur noch Festangestellte beschäftigen dürfen. Woher das Geld dafür kommen soll, ist in Görlitz noch völlig unklar.

Von Ines Eifler
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Viele Musiker der Musikschule "Johann Adam Hiller", die regelmäßig beim XXL-Podium auf dem Untermarkt auftreten, werden von Honorarkräften unterrichtet. Das soll bald nicht mehr so einfach sein.
Viele Musiker der Musikschule "Johann Adam Hiller", die regelmäßig beim XXL-Podium auf dem Untermarkt auftreten, werden von Honorarkräften unterrichtet. Das soll bald nicht mehr so einfach sein. © Paul Glaser / Archiv

Die Musikschullandschaft ist zurzeit in heller Aufregung. Die meisten Musikschulen beschäftigen neben festangestellten Lehrkräften auch viele, die freiberuflich auf Honorarbasis arbeiten. An der Görlitzer Musikschule am Fischmarkt decken rund 50 stundenweise beschäftigte Honorarkräfte die Hälfte aller Unterrichtsstunden ab. Matthias Hahn, Inhaber der privaten Musikschule time2groove, arbeitet ausschließlich mit einem guten Dutzend freiberuflicher Lehrer.

Das soll aber in Zukunft nicht mehr möglich sein – zumindest lesen sich so die Empfehlungen des Verbandes deutscher Musikschulen und so klingen viele Medienberichte: "Honorarkräfte bald arbeitslos?", "Musikschulen dürfen keine Honorarkräfte mehr beschäftigen", "Musikschullehrern droht Arbeitslosigkeit".

Bedingungen für Honorararbeit werden stärker geprüft

Grund für diese Sorgen ist das sogenannte "Herrenberg-Urteil" des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2022. Im vorausgegangenen Rechtsstreit ging es um das Arbeitsverhältnis einer Musikschullehrerin, die auf Honorarbasis die gleichen Arbeiten erledigte wie ihre angestellten Kollegen, in die Arbeitsabläufe der Musikschule fest eingebunden war und nicht so frei agieren konnte, wie die Bezeichnung einer "freien" Tätigkeit nahelegt. Sie galt deshalb als scheinselbstständig und hätte sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden müssen. Die Deutsche Rentenversicherung gewann diesen Prozess. Die Stadt Herrenberg, Trägerin der Musikschule, verlor ihn und musste rückwirkend die Beiträge an die Kassen nachzahlen.

Thomas Stapel, Leiter der Musikschule "Johann Adam Hiller" in Görlitz würde gern alle Lehrkräfte anstellen, doch dafür reichen die Zuschüsse und Einnahmen der Musikschule nicht.
Thomas Stapel, Leiter der Musikschule "Johann Adam Hiller" in Görlitz würde gern alle Lehrkräfte anstellen, doch dafür reichen die Zuschüsse und Einnahmen der Musikschule nicht. © Nikolai Schmidt / Archiv

Aufgrund dieses Urteils kündigten die Sozialversicherungen an, ab 1. Juli 2023 die Bedingungen stärker zu prüfen, unter denen Honorarkräfte an Musikschulen arbeiten. Jetzt ist ein Jahr vergangen, bestehende Honorarverträge sind oftmals ausgelaufen, viele Musikschullehrer müssten mit Beginn des neuen Schuljahres einen neuen Honorarvertrag bekommen.

Da der Verband deutscher Musikschulen die Überleitung solcher Verträge in Anstellungsverträge für "dringend erforderlich" hält, befürchten nun viele Musikschulen, dem folgen zu müssen oder sich andernfalls gesetzeswidrig zu verhalten. Einige haben bisherige Honorarlehrer bereits eingestellt wie etwa das Dresdner Heinrich-Schütz-Konservatorium, andere haben sich von ihnen getrennt, weil sie sich Festanstellungen nicht leisten können.

Festanstellung aller Lehrer kann niemand zahlen

"Wir würden liebend gern mehr Musikpädagogen fest anstellen!", sagt Thomas Stapel, Leiter der Musikschule Johann Adam Hiller am Görlitzer Fischmarkt. "Aber wie sollen wir das bezahlen?" Übernimmt im Moment meistens die Künstlersozialkasse die Arbeitgeberbeiträge für freie Musikpädagogen und sind diese selbst für die Zahlung ihrer Steuern verantwortlich, ist bei Festangestellten die Musikschule für diese Abgaben zuständig.

Matthias Hahn, Inhaber der privaten Musikschule time2groove, arbeitet ausschließlich mit freiberuflichen Musiklehrern zusammen.
Matthias Hahn, Inhaber der privaten Musikschule time2groove, arbeitet ausschließlich mit freiberuflichen Musiklehrern zusammen. © Martin Schneider

"Würden wir alle Honorarkräfte anstellen, hätten wir einen finanziellen Mehraufwand von jährlich 276.500 Euro", sagt Stapel. "Das ist eine Summe, um die wir die Stadt Görlitz unmöglich bitten können." Bereits 2023 hatte der Stadtrat einer Erhöhung des Zuschusses an die Musikschule um 60.000 Euro auf 400.000 Euro zugestimmt.

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Grund dafür war vor allem die Anhebung der Löhne und Honorare für die Lehrkräfte. Auch eine massive Erhöhung der Schülerbeiträge – um 40 Prozent – komme nicht infrage. "Würden wir aber mit unseren bisherigen finanziellen Mitteln nur noch mit Festangestellten arbeiten, müssten wir unser Angebot reduzieren und könnten rund 300 unserer 1.200 Schüler nicht weiter unterrichten."

Scheinselbstständigkeit ist nicht neu

Die Bedingungen, unter denen freie Musikpädagogen in Görlitz arbeiten, sind jedoch kaum mit denen der Lehrerin aus dem Herrenberg-Urteil zu vergleichen. Weder am Fischmarkt noch bei time2groove sind die Lehrer allein von ihrem Einkommen an der jeweiligen Schule abhängig, noch sind sie so in Arbeitsabläufe eingebunden, dass sie an Dienstbesprechungen teilnehmen oder Aufgaben abseits vom Unterricht übernehmen müssen.

"Das Thema Scheinselbstständigkeit ist ja nicht neu", sagt Matthias Hahn von time2groove. Seit Eröffnung seiner Schule vor 20 Jahren achte er darauf, dass seine Kollegen nicht nur bei ihm arbeiten, sondern weitere Einkünfte haben. Die meisten seiner Lehrer geben ihre Unterrichtsstunden nur an einem Tag pro Woche und sind ansonsten als Musiker oder als Lehrer an anderen Schulen und Musikschulen tätig.

"Sie sind nicht scheinselbstständig, sondern arbeiten wirklich frei", sagt Hahn. Bei der Raumverteilung im Haus müsse man sich natürlich abstimmen, aber von "weisungsgebunden" könne keine Rede sein. Deshalb lasse er sich von der Aufregung um die Anstellung von Honorarkräften nicht verrückt machen. "Falls es aber wirklich eine Pflicht für Musikschulen werden würde, könnte ich meine Schule in der Form nicht weiterführen."

Honorarkräfte am Fischmarkt werden weiter beschäftigt

Auch am Fischmarkt sind die freien Lehrer an mehreren Schulen tätig oder sind Musiker, zum Beispiel am Theater. "Unsere freiberuflichen Lehrkräfte nehmen nicht an Dienstversammlungen teil", sagt Stapel. Auch die Vorbereitung der Schüler auf Vorspiele und Prüfungen sei keine Pflicht. "Dennoch ist es unser Ziel, das Herrenberg-Urteil juristisch sauber umzusetzen." Die Musikschule werde weiter mit Honorarverträgen arbeiten, aber zunächst nur für das nächste Schulhalbjahr.

Denn mit der deutschlandweiten Unruhe und Rechtsunsicherheit der Musikschulen ist auch eine Hoffnung verbunden: Die Hoffnung, dass sich endlich etwas an der knappen Finanzierung der Musikschulen ändert. "Alle politischen Kräfte – Freistaat, Stadtrat, Bundespolitik – sind aufgefordert, Wege für die Schließung der Finanzierungslücken aufzuzeigen", sagt Stapel, "um Rechtssicherheit herzustellen und die Abwanderung von Musikschullehrkräften an Musikschulen finanzstärkerer Kommunen zu verhindern."