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Ukraine-Krieg: Was hilft jetzt gegen die Angst?

Zwei Jahre schlechte Nachrichten: Wie man jetzt nicht in ein Loch fällt und warum eine putzende Ukrainerin Vorbild ist, sagt der Görlitzer Psychologe Dr. Dirk Schmoll.

Von Susanne Sodan
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Es sind Bilder wie aus einer anderen Welt: zerstörte Gebäude und Fahrzeuge in der Nähe von Kiew nach einem Gefecht.
Es sind Bilder wie aus einer anderen Welt: zerstörte Gebäude und Fahrzeuge in der Nähe von Kiew nach einem Gefecht. © Efrem Lukatsky/AP/dpa (Symbolbild)

Dirk Schmoll ist Facharzt für Psychiatrie. Anfang des Jahres war er von der Schlosspark-Klinik in Berlin nach Görlitz gewechselt und leitet die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Städtischen Klinikums. In keiner einfachen Zeit. Anfang des Jahres traf die vierte Corona-Welle den Landkreis Görlitz hart. Nun zeichnete sich Entspannung ab, viele sind von zwei Jahren Leben in der Pandemie auch müde. Da kommt mit dem Ukraine-Krieg eine weitere Katastrophe. Was tun, um nicht den Mut zu verlieren? Helfen hilft, sagt Dirk Schmoll.

Herr Dr. Schmoll, bereits die vergangenen zwei Jahre waren für viele Menschen durch die Corona-Pandemie eine belastende Zeit. Nun folgt mit dem Ukraine-Krieg eine weitere Katastrophe. Inwiefern machen sich diese Belastungen, die schlechten Nachrichten über lange Zeit in Ihrer Arbeit bemerkbar?

In unserer Ambulanz, also bei nicht-stationären Patienten, fällt es schon auf, dass sie den Krieg in der Ukraine ansprechen, dass sie unruhig und besorgt sind. Bei den Patienten, die stationär bei uns in der Klinik behandelt werden, stellt es sich anders dar. Häufig überwiegt bei ihnen die eigene, persönliche Symptomatik, sie sprechen von sich aus das Thema Ukraine kaum an.

Welche Ängste konkret treiben die Patienten um, die mit Ihnen über den Ukraine-Krieg sprechen wollen?

Manchmal sind es konkrete Ängste, etwa, dass der Krieg sich ausbreiten könnte. Häufig aber sind es keine konkreten Befürchtungen, sondern eher eine allgemeine Unruhe.

Wie geht man damit um? Die Menschen sind unterschiedlich - aber was kann man tun, um nicht in ein Loch zu fallen?

Kurz nach Beginn des Angriffs auf die Ukraine habe ich eine Berichterstattung gesehen, in der eine Frau interviewt wurde. Sie lebt in einer der umkämpften Städte, ich glaube in Charkiw. Es gab bereits Bombeneinschläge. Und was hat sie getan? Sie hat ihre Wohnung geputzt. Danach sei es ihr besser gegangen. Das hat mir eingeleuchtet. Sie hat an einer Routine festgehalten, hat etwas getan, um zumindest eine äußere Ordnung zu erhalten und sich damit beruhigt. Die Situation dieser Frau ist mit unserer nicht vergleichbar. Aber auch für uns halte ich es jetzt für wichtig, unsere Aufgaben nicht zu vernachlässigen. Man sollte nicht in die Einstellung verfallen "Ach, nun ist sowieso alles gleichgültig", und sich aus allem herausnehmen.

Der Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Städtischen Klinikum, Dr. med. Dirk Schmoll.
Der Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Städtischen Klinikum, Dr. med. Dirk Schmoll. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Welche Strategien gibt es noch?

Das Zweite ist, man sollte sich schützen vor zu vielen Nachrichten, einer Nachrichtenflut. Man könnte den ganzen Tag vor dem Fernseher oder dem Internet verbringen, davon rate ich aber ab. Verschafft man sich ein- oder zweimal am Tag einen Überblick, reicht das für unsere Aufnahmefähigkeit aus. Und dann sollte man auch anderes tun, Dinge, die man gerne macht. Wir sollten uns vor der Einstellung hüten: Ich darf mich jetzt gar nicht freuen, ich darf jetzt nichts genießen, weil die Menschen im Kriegsgebiet das auch nicht können. Man tut den Betroffenen damit keinen Gefallen und sich selbst auch nicht.

Dennoch fällt vielen das Lachen derzeit schwer. Man ist doch viel in Gedanken, fühlt sich ohnmächtig.

Ja, diese Hilflosigkeit, die man erlebt, ist sehr verständlich. Auch hier kann es helfen, tätig zu werden - dort zu helfen, wo man helfen kann. Es gibt so viele kleinere Initiativen vor der Haustür, wo zum Beispiel Spenden gesammelt werden, und ebenso Aktionen im größeren Stil. Sachsenweit sind jetzt Webseiten freigeschaltet, wo man sich mit seinen Hilfsangeboten eintragen kann. Alle diese Dinge sind wichtig - auch für das eigene Wohlbefinden.

Noch hält sich der Flüchtlingsstrom bei uns in Grenzen. Es ist aber anzunehmen, dass es noch eine stärkere Welle geben wird, mit Menschen, die womöglich mehr vom Krieg gesehen haben. Nehmen Sie an, dass auch Sie und Ihre Kollegen in der Psychiatrie dann mehr gefragt sein werden?

Ja, das nehmen wir an. Ich habe am Montag mit der Psychiatrie-Koordinatorin des Landkreises telefoniert. Wir bereiten uns vor, überlegen, was wir anbieten können. Jetzt gibt es bereits in Görlitz auf der Jakobstraße eine Beratungsstelle für Flüchtlinge, wo zumindest einmal pro Woche ein ukrainischer Übersetzer vor Ort ist. Es muss noch Weiteres organisiert werden.

Erinnerungen an den jugoslawischen Exodus: Bilder wie diese sah der Görlitzer Enrico Deege, als er am Wochenende Hilfsmittel in die Ukraine brachte.
Erinnerungen an den jugoslawischen Exodus: Bilder wie diese sah der Görlitzer Enrico Deege, als er am Wochenende Hilfsmittel in die Ukraine brachte. ©  privat

Viele Menschen haben sich bereiterklärt, Flüchtlinge aufzunehmen, knapp 1.700 Betten haben Privatpersonen im Landkreis angeboten. Vielleicht stellen manche sich das zu einfach vor. Worauf ist zu achten, nimmt man Flüchtende auf?

Man sollte sich vorher Fragen stellen wie: Kann ich damit umgehen, plötzlich mit Menschen das Badezimmer zu teilen, die mir erstmal fremd sind? Es bedarf eines großen Vertrauensvorschusses und man sollte sich wirklich überlegen, ob man sich ein Zusammenleben mit einem fremden Menschen vorstellen kann. Ich halte es auch für wichtig, eine solche Aufnahme nicht rein privat zu organisieren, sondern zum Beispiel über das Koordinationsbüro in Görlitz oder andere Stellen. Denn es sollte schon die Möglichkeit gegeben sein, sich zu melden, kommt es zu Konflikten. Anders als bei einer rein privaten Initiative besteht dann vielleicht die Möglichkeit eines Tausches.

Welche Ihrer Tipps setzen Sie selbst gerade um?

Ich höre grundsätzlich morgens nur die Kurznachrichten, um grob informiert zu sein. Dann gehe ich zur Arbeit. Abends setze ich mir eine bestimmte Zeit, um mich ausführlicher zu informieren, Nachrichten zu sehen, die Tagesthemen. Gut, ich schaue schon zwischendurch noch mal in die Zeitung. Aber ich hüte mich davor, immer und immer wieder auf die gleichen, furchtbaren Bilder zu blicken. Denn das macht etwas mit einem. Zerstörte Häuser, flüchtende Menschen, weinende Kinder - das ist nicht leicht auszuhalten. Es macht traurig und verstärkt eher die Hilflosigkeit, als dass es helfen könnte. Vor allem auch, weil wir nicht sehen, wie sich dieser Konflikt in absehbarer Zeit lösen lässt.

Gibt es Anzeichen, an denen man merkt, dass es zu viel wird, dass eine Grenze zwischen Mitgefühl und Bedrohung der eigenen psychischen Gesundheit erreicht ist?

Wenn man nicht mehr abschalten kann, sich auf anderes nicht mehr konzentrieren kann. Wenn man nur noch Bilder dieses Krieges vor dem inneren Auge sieht. Womöglich auch vor dem Hintergrund eigener Fluchterfahrungen kann es sein, dass man sich überhaupt nicht mehr freuen kann, und letztlich seinen eigenen Aufgaben nicht mehr nachgehen kann. Halten solche Empfindungen über zwei Wochen an, können womöglich erste Kriterien einer Depression erfüllt sein. Dann spätestens sollte man Hilfe aufsuchen.