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Stimmungswechsel in Görlitz: "Viele Ukrainer halten sich heute sehr bedeckt"

Riesig war die Hilfsbereitschaft in Görlitz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Inzwischen scheint sich die Stimmung gedreht zu haben. Wie geht es Ukrainerinnen und Helfern heute?

Von Susanne Sodan
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Viktoria Sheliia und Joachim Trauboth kennen sich schon lange, sie waren der Beginn von einem Aushängeschild der Görlitzer Ukraine-Hilfe.
Viktoria Sheliia und Joachim Trauboth kennen sich schon lange, sie waren der Beginn von einem Aushängeschild der Görlitzer Ukraine-Hilfe. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Normalerweise hält sich Viktoria Sheliia von der Montagsdemo, die es in Görlitz bis heute gibt, lieber fern. Diesmal nicht. Zusammen mit Joachim Trauboth, Integrationsbeauftragter der SPD, ging sie zur Gegendemo - für ein kleines, ukrainisches Zeichen gegen die Montagsdemo, deren vier Organisatoren als extremistisch eingestuft wurden, auch wegen der Verbreitung gängiger russischer Narrative über den Ukraine-Krieg.

Die Psychologin Viktoria Sheliia und Joachim Trauboth kennen sich gut: Sie waren der Beginn der psychologischen Beratungsstelle für ukrainische Frauen und Kinder in Görlitz: Ukrainische Psychologinnen, Therapeutinnen, Pädagoginnen halfen anderen geflohenen Ukrainerinnen - ein Aushängeschild für die Ukraine-Hilfe in Görlitz. Ein Teil des "Wunders" von Görlitz, wie es die "Zeit" beschrieb.

Auch die Russlandfahne war schon auf der Görlitzer Montagsdemo zu sehen.
Auch die Russlandfahne war schon auf der Görlitzer Montagsdemo zu sehen. © Martin Schneider

Nach Beginn des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine kamen vergleichsweise viele Geflüchtete in Görlitz an. Sheliia war mit ihren zwei Kindern aus Charkiw geflohen, ihr Zuhause ist inzwischen zerstört, das einstige Leben vorbei, die Angst um ihren Mann an der Front täglicher Begleiter. Riesig war die Hilfsbereitschaft bei Kirchen, Firmen, Vereinen, Krankenhäusern und auch in der Bevölkerung. Für viele Ukrainer wurde das Büro der Bündnisgrünen in der Jakobstraße zum ersten Anlaufpunkt. Hier wurden die zig privaten Unterkunfts- und Hilfsangebote von Görlitzern gesammelt. Das war erstaunlich, weil die AfD in der Oberlausitz schon 2022 hohe Zustimmungswerte fand.

Montagsdemo statt Hilfsbereitschaft

Was ist heute geblieben vom „Wunder“? „Frieden schaffen ohne Waffen“ steht auf einem der Banner, das regelmäßig bei der Montagsdemo zu sehen ist. Über Waffenlieferungen wurde gestritten und kann man streiten. Doch inzwischen stehen die Worte, die aus der Friedensbewegung stammten, für viele vielmehr für die Forderung, Unterstützung für die Ukraine generell einzustellen, sich aus einem Krieg herauszuhalten, der Deutschland nichts angehe. Als sie der Montagsdemo doch mal begegnete, erzählt Viktoriia Sheliia, sah sie, dass eine ehemalige Kindergärtnerin von einem ihrer Kinder mitlief. Eine Frau, die mit den ukrainischen Kindern Geburtstagskarten auf Kyrillisch geschrieben habe. „Ich war so enttäuscht.“

Dass sich die Stimmung in der Bevölkerung gewandelt hat, sagt auch Joachim Trauboth. Für die einstige psychologische Beratungsstelle, inzwischen die deutsch-ukrainische Begegnungsstätte in der Konsulstraße, hat heute ein Trägerverein den Hut auf. Dennoch steht Trauboth in Kontakt zu vielen Geflüchteten. Erst vor Kurzem etwa erfuhr er von einem jungen Ukrainer, der am Bahnhof von der Polizei kontrolliert wurde, vielleicht wegen des Verdachts illegaler Einreise. Als einer der Beamten die Dokumente sah, soll er den Jugendlichen gefragt haben, was er als Ukrainer in Deutschland mache, warum er nicht an der Front sei. „Der Junge ist gerade 18 Jahre alt geworden“, erzählt Trauboth.

Viele Menschen, sagt er, seien zunächst wirklich berührt gewesen vom Schicksal der Ukrainer, „und haben empathisch reagiert. Aber dann haben die Leute gemerkt, dass der Krieg auch Einfluss auf ihr Leben nimmt.“ Höhere Preise für Energie, steigende Kosten in der Land- und Lebensmittelwirtschaft. „Und dann waren Gruppierungen wie AfD und Freie Sachsen zur Stelle, die permanent Ängste schüren.“

„Frieden schaffen ohne Waffen“, die Worte hat sich längst auch die AfD auf die Fahnen geschrieben. Die Partei versucht sich als Friedenspartei darzustellen, die ein Ende der Waffenlieferungen und Verhandlungen mit Russland fordert - und ein Ende des Bürgergeldes für Ukrainer. Stimmen, die zumindest Kürzungen fordern, gibt es inzwischen auch in der CDU und FDP.

"Niemand wünscht sich mehr Frieden, als die Ukrainer selbst", sagt Trauboth. "Und natürlich wünscht man sich Verhandlungen, aber mit wem denn und mit welchem Ziel? Welche Abstriche soll die Ukraine machen? Das können wir doch nicht einer selbstständigen Nation vorgeben."

"Werde die Stadt immer im Herzen tragen"

Die andere Seite: Wenig hilfreich für das Verständnis ist es, wenn Ukrainer sich zum Beispiel immer wieder als Schleuser betätigen - aus welchen Gründen auch immer. Es gibt solche und solche Menschen, überall, sagt Natalia Tarasova. Sie war mit ihrer damals zehnjährigen Tochter aus Charkiw geflohen. Auch sie kann sich an all die Helfer, die ihr zur Seite standen, gut erinnern. Sie wisse nicht, wie lange sie in Görlitz bleibe, "aber die Stadt werde ich immer im Herzen tragen".

Enrico Deege von der Ca-Tee-Drale in Görlitz fuhr zahlreiche Hilfstransporte mit Spenden aus Görlitz in die Ukraine.
Enrico Deege von der Ca-Tee-Drale in Görlitz fuhr zahlreiche Hilfstransporte mit Spenden aus Görlitz in die Ukraine. © Martin Schneider

Es dauerte 2022 nicht lange, bis viele Ukrainerinnen sich selbst engagierten, so auch Natalia Tarasova. "Ich musste etwas tun." So bietet sie bis heute einen Zeichenkurs für Kinder im Jugendzentrum Ca-Tee-Drale an. Den Hut auf für die Ukraine-Hilfe der Ca-Tee-Drale hat Enrico Deege. Über 23.000 Euro sammelte er 2022 zusammen mit den Görlitzer Stadtwerken, zahlreiche Hilfstransporte fuhr er in die Ukraine. "Der Kriegsausbruch war eine Katastrophensituation." Ähnlich wie beim Elbehochwasser habe für einige Wochen voller Einsatz in der Gesellschaft geherrscht, "bis man dann eben gemerkt hat: Das ist nicht nach ein paar Wochen vorbei."

Enrico Deege hat den Eindruck, dass viele Ukrainer sich inzwischen sehr bedeckt halten, auch aus Angst. "Die Familien, die ich kenne, bleiben viel zu Hause, sprechen nicht laut Ukrainisch in der Öffentlichkeit." In der Ca-Tee-Drale gibt es bis heute Sprachkurse von und für Ukrainer, Sachspenden sammelt Deege auch noch, aber zusammen mit einer Berliner Organisation. In Görlitz alleine ist das Interesse nicht mehr groß genug, "und unsere eigene Energie war auch irgendwann aufgebraucht". Die Hilfe nahm andere Form an. So sind derzeit Jugendliche aus Ternopil in Görlitz, arbeiten in ihren Ferien zusammen mit polnischen und deutschen Jugendlichen an einem Filmprojekt über das jüdische Görlitzer Mädchen Eva Goldberg. Die Jugendlichen sollen spüren, was Normalität ist, sagt Deege. "Für sie ist es ganz wichtig, das Gefühl zu haben, zu Europa zu gehören."

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Doch er kann auch manche Kritik nachvollziehen: "Spanien, England, Norwegen - andere Länder haben es durch eine einfachere Anerkennung von Ausbildungen besser hinbekommen, Geflüchtete in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Warum können nicht auch wir, je nach Beruf, sagen: Okay, ein Jahr Ausbildung machst du jetzt noch mal, und dann geht es los. Dann wäre die gesellschaftliche Akzeptanz vielleicht besser." Doch nach all der Zeit ohne echte Perspektive verpuffe inzwischen auch auf ukrainischer Seite das Engagement.

Nicht so bei Psychologin Viktoriia Sheliia, sie sich zusammen mit anderen Ukrainerinnen bis heute in der Begegnungsstätte engagiert. Rund 15.000 Besuche von Frauen und Kindern wurden bislang gezählt. Vorige Woche hat der Trägerverein einen Antrag auf Förderung der Begegnungsstätte für 2025 an den Freistaat gestellt. Vielleicht, sagt Viktoriia Sheliia, brauche es diesen Ort, an dem Ukrainerinnen weiter ein offenes Ohr finden, jetzt sogar mehr als vor zwei Jahren: Bei vielen kommt der Zusammenbruch jetzt erst.