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Was hat Senckenberg in Görlitz vor?

Noch ist der neue Standort des Instituts eine Großbaustelle. Bei der Vorstellung des Neubaus räumte der Chef jetzt mit einem Montagsdemo-Gerücht auf.

Von Susanne Sodan
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Blick von der Jakobstraße aus. Auf die Baustelle kann man nun nicht mehr schauen. Was drinnen vorgeht, wurde jetzt im Humboldthaus erzählt.
Blick von der Jakobstraße aus. Auf die Baustelle kann man nun nicht mehr schauen. Was drinnen vorgeht, wurde jetzt im Humboldthaus erzählt. © Martin Schneider

Wie ist es, wenn man sechs Millionen Insekten, größere Tiere wie Vögel, Pflanzen, Pilze, Mineralien und Fossilfunde hat? Eng, fasst Biologe und Botaniker Karsten Wesche zusammen. Seit Jahresbeginn ist er der neue Senckenberg-Institutsleiter. Über nun zwei Jahrhunderte ist das heutige Senckenberg-Institut in Görlitz von der Ornithologischen Gesellschaft zu einem Institut mit sieben Standorten in der Stadt gewachsen, dazu gehört auch das Museum für Naturkunde am Marienplatz.

Doch genauso gehören Forschung und Sammlung dazu. Im Herbst 2020 war der erste Spatenstich für den neuen Senckenberg-Campus auf dem Gelände zwischen Bahnhof- und Jakobstraße. Was dort gerade passiert und wie der Campus in rund zwei Jahren aussehen wird, erzählten Karsten Wesche und Jaroslaw Golaszewski, Leiter des Sächsischen Immobilien- und Baumanagement (SIB) in Bautzen, jetzt im Humboldthaus.

Karsten Wesche (links), Direktor des Senckenberg-Instituts in Görlitz, und Jaroslaw Golaszewski, Leiter des Sächsischen Immobilien- und Baumanagement (SIB) in Bautzen, im Görlitzer Humboldthaus.
Karsten Wesche (links), Direktor des Senckenberg-Instituts in Görlitz, und Jaroslaw Golaszewski, Leiter des Sächsischen Immobilien- und Baumanagement (SIB) in Bautzen, im Görlitzer Humboldthaus. © Martin Schneider

Was ist wo geplant auf dem Campus?

Der Campus besteht aus historischen Gebäuden aber auch - wie Haus A an der Bahnhofstraße, aus Neubauten. „Wir haben versucht, den historischen Charakter zu erhalten“, erklärt Golaszewski. In Haus A werden der Hauptzugang zum Campus und die Dinge zu finden sein, die für Görlitzer und Besucher die Wichtigsten sind: die Bibliothek, die Verwaltung und ein Teil der Zoologie - der Bereich, zu dem die Wolfsforschung zählt. In den Campus hinein entsteht außerdem ein Hörsaal. Direkt an der Jakobstraße, Haus C, wird der größte Teil der Sammlungen aus Bodenzoologie, Zoologie und Botanik zu finden sein und zugehörige Arbeitsbereiche. Verbunden werden Haus A und C durch Haus B mit seinen Arbeits- und Laborräumen. Das Präparatorium und die Mykologie werden hier unter anderem zu finden sein, Boden- und Molekularlabore. Der sogenannte Speicher an der Nordgrenze des Areals wird beispielsweise Pausenräume für die Mitarbeiter beinhalten. Ein ganz kleines historisches Gebäude, die „alte Schmiede“, wird als Ersatzstromversorgung eingerichtet. Draußen ist beispielsweise ein Versuchsgarten für die Botaniker vorgesehen und Platz für Veranstaltungen.

So wird der Senckenberg-Campus aussehen.
So wird der Senckenberg-Campus aussehen. © Freistaat Sachsen/SIB

Wie weit sind die Arbeiten?

Eigentlich wollte der langjährige Görlitzer Institutschef Willi Xylander die ersten Kartons in den neuen Campus tragen. Doch in den Planungsphasen kam es immer wieder zu Verzögerungen, etwa durch die langwierige Bedarfsklärung, später den schwierigen Baugrund, Sicherungsarbeiten an den historischen Gebäuden, Finanzierungsfragen. Jetzt scheint es aber recht planmäßig voranzugehen. Derzeit steht der Ausbau der Gebäude an, nachdem der Rohbau nahezu abgeschlossen ist, erklärt Golaszewski. „Nur Haus E kommt später.“ Das ist der ehemalige Pferdestall, der nicht erhalten werden konnte, aber wieder aufgebaut wird. Hinein kommt der Geologie-Bereich, Werkstätten, Großgeräte und Räume für Gastwissenschaftler. Aktuell aber wird der Platz des neuen Pferdestalls noch für die Bautätigkeit an den anderen Gebäuden gebraucht. In der zweiten Jahreshälfte 2025 soll der Campus öffnen.

Gibt es ein Untergeschoss?

Bis vor Kurzem konnte man von der Jakobstraße aus noch einen Blick auf die Baustelle erhaschen - etwa auf die Tiefbauarbeiten. Ob es Tiefgeschosse geben werde, wollte bei der Vorstellung der Pläne Sebastian Wippel, Stadtrat und Landtagsabgeordneter der AfD, wissen. „und was soll da stattfinden?“ Wie bei seiner Chemtrail-Anfrage kürzlich: Er wolle nur Gerüchten vorbeugen, so Wippel. Bei der Montagsdemo in Görlitz hatte eine der Hauptakteurinnen zuletzt mehrfach behauptet, im Senckenberg-Neubau entstehe ein „Biolabor mitten in Görlitz“ - etwa wie in Wuhan. Der Vorstellungsabend des künftigen Campus war schon lange geplant, erzählt Karsten Wesche gegenüber der SZ, vor den Montagsdemos mit den Gerüchten. Anlass seien diese für die Veranstaltung also nicht gewesen, aber, ja, gehört hatte er davon. Es gibt bekanntermaßen ein Untergeschoss. Für Technik, Trafo, Lüftung, Anschlüsse für die Fernwärme, mit der der Campus versorgt wird, erklärt Wesche. Auch das Elektronenrastermikroskop wird im Keller sein. Doch das ist nicht zur Virenuntersuchung, sondern beispielsweise für die Bildgebung von Insektenfühlern. „Wir arbeiten nicht an Viren“, so Wesche, „das dürfen wir gar nicht. Sonst bräuchten wir ganz andere Sicherheitsstandards.“

Was macht Senckenberg stattdessen?

Der Görlitzer Standort ist der zweitgrößte von bundesweit elf der Forschungsgesellschaft. Rund 110 Mitarbeiter arbeiten hier, etwa drei Viertel von ihnen in den wissenschaftlichen Bereichen. In Görlitz sind das die Bodenzoologie, die Zoologie und die Botanik. Beispielsweise untersuchen die Wissenschaftler, welche Pflanzen und Tiere wo zu finden sind und arbeiten an den Roten Listen bedrohter Arten mit. Aber es werden nicht nur Daten gesammelt, sondern auch viel geforscht. Ein Projekt, das die Oberlausitz betrifft: Welche Bodentiere können helfen, aus Bergbaufolge-Landschaften wieder fruchtbare Böden zu machen? Am bekanntesten ist sicher die Infostelle Wolf. Aus manchen Projekten entstehen Ausstellungen für das Museum wie zum Bodenleben, die man mit VR-Brille erkunden konnte. Ein Schwerpunkt für Karsten Wesche ist auch die Zusammenarbeit mit internationalen Projekten, darunter in der Mongolei, Tibet, Ostafrika, im Kongobecken oder Namibia. Und Studenten sind regelmäßig in Görlitz bei Senckenberg: In Kooperation mit der TU Dresden bietet das Institut zwei Masterstudiengänge an.

Wie teuer wird der Campus?

Erst diese Woche wurde klar: Die Kosten sind noch einmal gestiegen, auf 72,6 Millionen Euro. Der Bund fördert das Projekt mit rund 17,2 Millionen. Hintergrund der Steigerung, schildert Jaroslaw Golaszewski, seien die Kostenerhöhungen bei im Grunde allen Ausbaugewerken. „Der Rohbau fand ja großteils nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges statt“, so waren auch Stahl und Beton teurer geworden. Kostengründe sind es auch, warum aktuell auf die Flachdächer keine Photovoltaikanlagen gebaut werden. Aber: Sie können nachgerüstet werden.

Was passiert mit den bisherigen Gebäuden?

Das Museum wird am Marienplatz bleiben. Ansonsten werden die anderen Gebäude, in denen Senckenberg bisher eingemietet ist, aufgegeben. Zum Teil gebe es bereits Interessenten. Doch was beispielsweise mit dem Humboldthaus wird, ist aktuell noch unklar. Karsten Wesche hofft auf keinen langen Leerstand des historischen Gebäudes, durch den es womöglich zum städtebaulichen Problem werden könnte.