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Was eine Bibel in Görlitz mit dem Tod eines Diplomaten in Minsk zu tun hat

2017 besuchte Belarus-Botschafter Denis Sidorenko die Görlitzer Bibliothek. Jetzt ist er tot. Und alle fragen sich: Wie kam es dazu? Und hat der Fall etwas mit dem vom Tode bedrohten Rico K. in Belarus zu tun?

Von Sebastian Beutler
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Blick zurück auf den Dezember 2017: Damals besuchte der weißrussische Botschafter Denis Sidorenko (r.) Görlitz und die Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften, wo Mitarbeiterin Karin Stichel (M.) ihm die Skaryna-Bibel zeigte.
Blick zurück auf den Dezember 2017: Damals besuchte der weißrussische Botschafter Denis Sidorenko (r.) Görlitz und die Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften, wo Mitarbeiterin Karin Stichel (M.) ihm die Skaryna-Bibel zeigte. © Pawel Sosnowski

Als Weißrusslands Botschafter Denis Sidorenko Görlitz einen Besuch abstattete, war das der SZ eine Nachricht wert. Für mehr Aufmerksamkeit schaffte es der junge Diplomat damals nicht. Jetzt aber sind Bilder von Sidorenko in der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften in Görlitz in großen deutschen Tageszeitungen auf prominentem Platz erschienen. Sie illustrieren Berichte über den Tod Sidorenkos. Was ist geschehen?

Denis Sidorenko ist tot. Der 48 Jahre alte Diplomat, der fließend Deutsch, Englisch und Französisch sprach, soll sich am 23. Juni von einem Hochhaus in Minsk gestürzt haben. Das melden Online-Agenturen aus Weißrussland, die von Machthaber Lukaschenko zwar verboten sind, aber über sehr verlässliche Quellen in Belarus verfügen. Das Außenministerium in Minsk macht gar keine Angaben zu Sidorenkos Todesursache. Sidorenko war nach mehr als sieben Jahren im März dieses Jahres als Botschafter abberufen worden und zu seiner Familie nach Minsk zurückgekehrt.

Das beredsame Schweigen offizieller Stellen heizt die Spekulationen über die Todesumstände im Ausland und insbesondere in Deutschland an, zumal es nicht der erste plötzliche Tod in der belarussischen Elite ist, seit sich das Land ganz von Europa ab- und wieder seinem großen Nachbarn Russland zugewandt hat. Ex-Außenminister Makej starb im November 2022 plötzlich, ein Transportminister vor gut einem Jahr. Ob Sidorenkos Tod auch im Zusammenhang mit der Verhaftung und der Verurteilung zum Tode des Deutschen Rico K. steht, ist offen. Dass der Botschafter zumindest von der Verhaftung erfuhr, ist sicher.

Als Sidorenko Ende 2016 als Botschafter nach Deutschland kam, galt er als europäisch orientiert und eines der Gesichter für Lukaschenkos kurzzeitige Zuwendung zu Europa. Das erfuhr auch die Görlitzer Seite bei Sidorenkos Besuch, dessen Ziel ein Buch in der Görlitzer Wissenschaftsbibliothek war, das für die weißrussische Kultur besondere Bedeutung hat: die sogenannte Skaryna-Bibel. Empfangen wurde er damals von der Mitarbeiterin der Bibliothek Karin Stichel und Stadtrat Rolf Weidle, in Vertretung des Oberbürgermeisters Siegfried Deinege.

Sidorenko hatte Karin Stichel eines Tages angerufen und den Besuch selbst ausgemacht. Sie erinnert sich gegenüber der SZ an einen sehr angenehmen, gut vorbereiteten, europäisch gesinnten und absolut fähigen Diplomaten. "Die Berichte jetzt über seinen Tod haben mich unglaublich betroffen gemacht".

Die Skaryna-Bibel ist die einzige in Deutschland. Francysk Skaryna übersetzte sie Anfang des 16. Jahrhunderts, anschließend wurden die Bibel 1517 bis 1519 in Prag gedruckt. Die Görlitzer ist eines von noch 258 bekannten Exemplaren. In Görlitz wurde sie 2005 wieder entdeckt, als der frühere evangelische Superintendent und Russland-Kenner Peter Lobers sie zufällig in einer Ausstellung sah. Ein eingeschalteter Experte bestätigte schließlich die Herkunft. Die Skaryna-Bibeln sind deswegen so bedeutsam für Belarus, weil es das erste jemals in einer ostslawischen Sprache gedruckte Buch ist.

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Dass der weißrussische Botschafter im Dezember 2017 nach Görlitz kam, war seinerzeit eine Besonderheit. 2014 war sogar das Görlitzer Exemplar der Bibel in Minsk ausgestellt worden. Sidorenko überreichte bei seinem Besuch eine vollständige Faksimile-Ausgabe „Das Bucherbe von Francysk Skaryna“ an die Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften. "Im Rathaus", so heißt es in der Pressemitteilung nach dem Besuch, "besprach er mit Vertretern der Stadtverwaltung die Möglichkeiten der Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Görlitz und Belarus." Noch heute ist diese Nachricht auf der Internetseite der belarussischen Botschaft zu lesen. Sie ist gerade erst sieben Jahre alt.

Die Skaryna-Bibel hütet die Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften in Görlitz weiter wie ihren Augapfel. Noch bis diesen Mittwoch ist sie in der Bibel-Ausstellung des Museums zu sehen. Und erinnert so auch an einen Mann, der seine Botschaftszeit in Deutschland nur wenige Monate überlebte.