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Görlitz: Senckenberg holt renommierten Regenwaldforscher

Hjalmar Kühl ist Experte für große Menschenaffen. Seine Erkenntnisse übers Zusammenleben von Mensch und Tier können auch für die Lausitz hilfreich sein.

Von Ines Eifler
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Der Zoologe Hjalmar Kühl in der Regenwald-Ausstellung des Senckenberg Museums für Naturkunde in Görlitz. Zu Gorillas (links) und Schimpansen (Mitte) forscht er seit vielen Jahren.
Der Zoologe Hjalmar Kühl in der Regenwald-Ausstellung des Senckenberg Museums für Naturkunde in Görlitz. Zu Gorillas (links) und Schimpansen (Mitte) forscht er seit vielen Jahren. © Martin Schneider

Es gab Zeiten, da war Hjalmar Kühl mehrere Monate lang oder auch mal ein ganzes Jahr am Stück in Afrika. Zahlreiche Tage und Nächte verbrachte er zusammen mit Ortskundigen in der Wildnis. In den Nationalparks der Elfenbeinküste, Gabuns oder der Republik Kongo hat er im tropischen Regenwald und in Baumsavannen Menschenaffen beobachtet, ihre Schlafplätze untersucht, ihre Wanderungsbewegungen verfolgt und zahlreiche Kamerafallen installiert.

"Jetzt schaffe ich es nicht mehr so häufig und für so lange Zeiträume dahin", sagt der 50-jährige Biologe. Nicht nur wegen der Familie – Hjalmar Kühl hat drei Kinder zwischen acht und zwölf Jahren in Leipzig –, auch wegen der vielfältigen beruflichen Aufgaben und Verantwortungen, zu der heute die Betreuung von Doktoranden oder die Schulung junger afrikanischer Wissenschaftler in der Erforschung von Menschenaffen und Auswertung der erfassten Daten zählen.

Nach 20 Jahren am Max-Planck-Institut zu Senckenberg

Nach zwei Jahrzehnten am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, wo Hjalmar Kühl vom Forschungsassistenten bis zum leitenden Wissenschaftler aufstieg, wurde er vor einem Jahr als Leiter der Zoologischen Abteilung am Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz berufen. Damit verbunden ist eine Professur für Diversität der Säugetiere an der TU Dresden, in wenigen Tagen hält der Primatologe dort seine öffentliche Antrittsvorlesung "Auf den Spuren der Menschenaffen".

Hjalmar Kühl beim Anbringen einer Kamerafalle im Regenwald.
Hjalmar Kühl beim Anbringen einer Kamerafalle im Regenwald. © privat

Hatte sein Vorgänger Hermann Ansorge, der mit dem Eintritt in den Ruhestand 2021 vom Haupt- ins Ehrenamt wechselte, unter anderem in der Mongolei geforscht und zum Beispiel die Wiederansiedlung von Wildpferden wissenschaftlich begleitet, bringt Hjalmar Kühl seine Expertise zu Gorillas, Schimpansen, Bonobos und Orang-Utans sowie zu deren Monitoring und Schutz mit nach Görlitz. Seine Erfahrungen kann er auch einbringen, wenn es um das Sammeln und Auswerten der Daten aus dem Monitoring der Wolfspopulationen in den einzelnen Bundesländern geht, mit dem Senckenberg beauftragt ist.

In den vergangenen Jahren hat der gebürtige Bochumer unter anderem Verfahren zur Bestimmung der Zahl von Menschenaffen entwickelt und Monitoring-Programme entworfen, die Lücken im Wissen über diese Tiere schließen sollen. Ebenso ist er Mitentwickler und Projektmanager der Datenbank A.P.E.S. der Weltnaturschutzunion, in der Informationen über Menschenaffen, ihre Verbreitung und ihre Bedrohung gesammelt werden.

Schwinden des Regenwaldes bedroht unsere Zugvögel

Ziel der Forschungen Hjalmar Kühls und seiner Doktoranden ist der Schutz der Menschenaffen, der Erhalt ihrer Lebensräume und letztlich die weltweite Sensibilisierung dafür, wofür der Rückgang der gefährdeten Arten global noch steht: Schwinden die Lebensräume der Menschenaffen, verlieren auch viele in Europa heimische Zugvögel ihre Winterquartiere. Und mit jedem Kubikmeter Wald, der verloren geht, kann weniger CO₂ aus der Atmosphäre gespeichert werden.

"Große Teile des Regenwaldes existieren bereits nicht mehr", sagt der Biologe. In der Elfenbeinküste etwa seien 95 Prozent davon verschwunden und die Zahl der Schimpansen von einst 100.000 auf 2.000 geschrumpft. Intensive Landwirtschaft, Holzernte, der Abbau von Mineralien – all dies sind Gründe dafür, dass die Lebensräume der Menschenaffen schwinden. "In Zentralafrika gibt es noch große Waldflächen, doch der Einfluss des Menschen ist überall spürbar", sagt Hjalmar Kühl.

Konflikte zwischen Mensch und Tier dort wie hier

Die Konflikte zwischen Mensch und Tier seien hier wie dort vergleichbar. Genau wie in der Lausitz, wenn Wölfe Schafe reißen, sei auch in afrikanischen Ländern der Ärger groß, wenn Landwirte ganze Ernten verlieren, weil Elefanten in ihre Plantagen einfallen. "In Gegenden, wo es immer Wildtiere gab, kommen Menschen aber häufig besser im Zusammenleben mit ihnen zurecht als dort, wo sie neu einwandern."

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Der Kampf gegen den Untergang der Natur, die Rodung der Regenwälder und den Verlust der Artenvielfalt wirkt aus der Distanz häufig wie eine Sisyphosarbeit. "Doch hätte ich keine Hoffnung, könnte ich diese Arbeit nicht machen", sagt Hjalmar Kühl. Immerhin sei auch schon viel erreicht worden.

Erfolge machen neue Hoffnung

Die Zahl der Berggorillas in Zentralafrika etwa, von denen der Film "Gorillas im Nebel" seit 1988 erzählt, seien aufgrund der Schutzmaßnahmen von etwa 200 auf über 1.000 gewachsen. In den Ländern selbst seien die Bestrebungen groß, Regenwaldgebiete zu Nationalparks zu erheben. "Auch die große Motivation und das Engagement vieler junger Studierender, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor Ort, die sich für den Umwelt- und Tierschutz einsetzen, stimmen mich zuversichtlich", sagt Hjalmar Kühl. "Es ist längst nicht mehr üblich, dass Schutzprojekte von außerhalb initiiert werden. Das wird auch gar nicht mehr toleriert, es sind immer Partnerschaften."

Ebenso sieht er Erfolge in Deutschland: Auch hier stehen Seeadler, Fischadler, Wanderfalke, Wolf und Luchs für einen gelingenden Erhalt von Artenvielfalt – trotz mancher Konflikte im Zusammenleben mit dem Menschen. "Wir müssen lernen, diese Konflikte auszuhalten, und können dafür auch von Afrika lernen", sagt Hjalmar Kühl. "Wenn wir nämlich unsere eigenen Wildtiere nicht schützen und nicht aufzeigen, dass eine für beide Seiten gelingende Koexistenz von Mensch und Tier möglich ist, verlieren wir auch unsere Glaubwürdigkeit zur Beteiligung an Schutzprogrammen in anderen Ländern."

Die Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Hjalmar Kühl am 16. November, 16.40 Uhr, im Heinz-Schönfeld-Hörsaal der TU Dresden, wird live übertragen, zur Anmeldung geht es hier.