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Nach der Wahl: Schluss mit dem Lebensverdruss

Der Verlust an Zuversicht ist im Kreis Görlitz erstaunlich und erschreckend zugleich. Wie konnte es dazu kommen und wie kann das Ruder wieder herumgerissen werden? Ein Kommentar.

Von Sebastian Beutler
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Ein bisschen mehr Lebensfreude würde dem Kreis Görlitz gut zu Gesicht stehen.
Ein bisschen mehr Lebensfreude würde dem Kreis Görlitz gut zu Gesicht stehen. © Foto: Paul Glaser, Montage: Newsdesk

Dieses Wahlergebnis ist eines mit Ansage. Wer aufmerksam die Stimmungslage unter den Bürgern im Kreis Görlitz verfolgte, konnte seit Monaten feststellen, wie sie sich verdüstert hatte mit Sorgen und Ängsten. Manch einer findet nicht mehr den Ausgang aus dieser Düsternis und sieht die Zukunft nur Schwarz in Schwarz. Mein Arzt erzählte mir folgende Anekdote: Sein typischer Patient hätte ein Häuschen, zwei Autos davor, seine Kinder hätten studiert oder einen guten Job erlernt. Wenn er dann diesen Patienten fragt, wie so die Lage ist, bekäme er zur Antwort: "Wie soll es schon sein. Alles ist Mist."

Gewiss: Nicht alles ist Einbildung. Es gibt zu wenige junge Leute im Kreis, zu wenige gut bezahlte Jobs, zu wenig Vermögen, zu wenige Ärzte, zu wenige Lehrer, und das ist mit Blick auf viele Firmen erst der Anfang des demografischen Wandels. Und doch ist der Verlust an Lebenszuversicht in diesem Ausmaß erstaunlich und erschreckend zugleich. Wo kein Vertrauen in die Zukunft als Grundmelodie des Lebens zu finden ist, da wird es auch keine Entwicklung zum Guten geben. Beides hängt zusammen. Doch wie konnte es so weit kommen?

Der Urknall war die Abwanderung. Das begann schon zu DDR-Zeiten. Zwischen dem 17. Juni 1953 und dem 13. August 1961 verließen kluge Köpfe die Oberlausitz. In den 1980er-Jahren schwoll die Ausreise in die Bundesrepublik wieder an. Schließlich die Welle in den 1990er-Jahren. Damals waren es vor allem auch junge Mädchen und Frauen, die anderswo ihr Lebensglück suchten und fanden. Das führt dazu, dass nun der zweite demografische Knick festzustellen ist: Es gibt einfach zu wenige Frauen an der Neiße, die eine Familie gründen oder Kinder gebären könnten. Das berühmteste Beispiel ist die Mutter des Vizeolympiasiegers Leo Neugebauer. Sie verließ Görlitz, als sie ihn gerade geboren hatte, auch aus beruflichen Gründen. Sonst würde er womöglich heute eine Identifikationsfigur für den gesamten Kreis Görlitz sein.

Was in der Vergangenheit geschah, hat also einschneidende Folgen bis heute. Aber es ist kein Himmelsgesetz, dass dagegen kein Kraut gewachsen ist. Dafür aber wird es weniger wichtig sein, zu schauen, wie Deutschland unter den Kanzlern Kohl oder Brandt funktionierte oder sich an Marx und dem Realsozialismus zu orientieren. Das alles bringt nichts, sondern Thema um Thema muss konkret sondiert werden, um dann bessere Lösungen auf den Weg zu bringen.

Bei der Migration wären Abweisungen an der Grenze ein probates Mittel, um den Druck auf Deutschlands Nachbarländer zu erhöhen, resoluter gegen die illegale Einwanderung vorzugehen. Solange sie sicher sein können, dass die durchgewinkten Flüchtlinge in Deutschland Aufnahme finden, werden sie selbst nicht handeln. Also wäre es vernünftig, die Abweisungen jetzt rechtlich zu prüfen und, wenn machbar, auch umzusetzen.

Bei den Pflegekosten ist für jeden zu erkennen, dass ein Heimaufenthalt über kurz oder lang für Rentner zum Sozialamt führt, weil sie die hohen monatlichen Beiträge nicht lange aus Rente und Gespartem bezahlen können. Hier einen Deckel einzuziehen, ist sinnvoll, auch wenn das vermutlich weitere Kosten dem Staat oder der Pflegeversicherung aufdrückt. Das Thema hat aber im Kreis Görlitz eine besondere Brisanz. Erstens, weil jeder zehnte Einwohner älter als 80 Jahre ist und zum Zweiten, weil eben die Kinder der Alten meist im Westen leben und sich nicht bei Pflegebedürftigkeit selbst um die Eltern kümmern können.

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Schließlich könnten mehr Assistenzstellen und Schulsozialarbeiter Lehrer entlasten. Das bringt zunächst keinen einzigen Lehrer mehr, aber könnte eine Brücke sein, bis dann eben doch mehr Lehrer zur Verfügung stehen.

Ein Kompromiss also. Ohne diese wird es nicht gehen. Man kann nicht alles von heute auf morgen ändern. Aber wenn man nicht anfängt, bewegt sich nie etwas. So ist das eben auch beim Strukturwandel. Und je mehr man sieht, dass sich etwas zum Guten wandelt, umso mehr wächst das Vertrauen in die eigene Kraft. Machen wir uns also alle jetzt auf den Weg. Und geben der Zuversicht mehr Raum.