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Hat die Görlitzer Innenstadt West künftig nur noch zwei Hausärztinnen?

Nach der Wende gab es in dem Viertel acht Hausärzte. Derzeit sind es noch drei. Doch einer von ihnen wechselt nun in eine bekannte Praxis im Stadtzentrum.

Von Ingo Kramer
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Sie bleiben in der Landeskronstraße 29: Die Arzthelferinnen Yvonne Nitschke (links) und Ulrike Kirbis.
Sie bleiben in der Landeskronstraße 29: Die Arzthelferinnen Yvonne Nitschke (links) und Ulrike Kirbis. © Martin Schneider

Für Ulrike Kirbis kam die Nachricht aus heiterem Himmel: Ihr Chef, der Görlitzer Internist und Hausarzt Dariusz Chraniuk, verlässt zum 1. Januar seine Praxis in der Landeskronstraße 29 und wechselt in die internistische Hausarztpraxis von Przemysław Samborski in der Joliot-Curie-Straße 1. "Für ihn ist das finanziell günstiger, dort können sich zwei Hausärzte die Miete teilen", sagt Ulrike Kirbis.

Die 69-Jährige hat bisher eine sehr ungewöhnliche Doppelrolle: Einerseits ist sie die Besitzerin des Hauses Landeskronstraße 29 und somit die Vermieterin von Chraniuk. Andererseits ist sie auch seine Angestellte: Ulrike Kirbis ist Arzthelferin. Sie hat die Praxis 1993 gemeinsam mit ihrem Mann Ullrich eröffnet. Er war Arzt. "Wir waren vorher beide im Klinikum tätig und haben uns hier nach der Wende selbstständig gemacht", berichtet sie.

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Doch 2011 starb ihr Mann im Alter von nur 60 Jahren. Sie machte sich auf die Suche nach einem Arzt, der die Praxis weiterführt – und war erfolgreich. Zum 1. Januar 2012 übernahm der aus Polen stammende Internist und Hausarzt Dariusz Chraniuk Praxis und Personal. Exakt 13 Jahre später hört er nun Ende des Jahres auf.

Die Patienten wissen davon bisher nichts, sie werden es nun aus der Sächsischen Zeitung erfahren. Doch Ulrike Kirbis hat eine sehr gute Nachricht für die Patienten: Sie müssen sich keinen neuen Hausarzt suchen. Ganz im Gegenteil: Sie können sogar zwischen zwei Hausärzten auswählen. "Wer möchte, der kann mit Dariusz Chraniuk in die Joliot-Curie-Straße wechseln", erklärt die Arzthelferin.

Wer das nicht möchte, kann auch in der Landeskronstraße 29 bleiben. Für die Räume im ersten Stock hat sich nämlich ganz kurzfristig eine Nachfolgerin gefunden. Es ist die Internistin und Hausärztin Anna Aljanowicz. Sie stammt ebenfalls aus Polen und ist jetzt schon im gleichen Gebäude zu finden – im Parterre. Vor drei Jahren hat sie dort die Hausarztpraxis von Anne-Kathrin Schöbel übernommen. Jetzt zieht die 48-Jährige einfach nur eine Etage nach oben und übernimmt die Räume von Chraniuk.

Alle Patienten können bleiben

Ihre Patienten müssen sich ebenfalls keine Sorgen machen: Sie können alle bei ihr bleiben, müssen nur hoch in den ersten Stock gehen. Für Anna Aljanowicz ist das eine Verbesserung: Sie hat künftig 120 statt knapp 90 Quadratmeter Praxisfläche zur Verfügung. So kann sie mehr Patienten behandeln. Bisher hat sie 800 bis 900 Patienten, die Chraniuk-Praxis hat rund 1.200. Aljanowicz kann künftig all ihre bisherigen Patienten behalten und zusätzlich noch die Chraniuk-Patienten aufnehmen, die nicht mit dem Arzt ins Stadtzentrum mitgehen wollen. Zudem kann sie seine gesamte Ausstattung übernehmen, denn Chraniuk nimmt nichts mit.

Ein bisschen was aber ändert sich doch. "Die Praxisräume im ersten Stock werden auf jeden Fall neu gestrichen", sagt Ulrike Kirbis. Chraniuk zieht dort zum 31. Dezember aus, Aljanowicz zum 1. Februar ein. Im Januar hängt aber niemand in der Luft. "Der Umzug von Frau Aljanowicz geschieht mehr oder weniger bei laufendem Betrieb, die Praxis wird höchstens für eine Woche geschlossen sein", sagt Ulrike Kirbis. Im Frühling will sie auch die Fassade und das Treppenhaus neu streichen lassen.

Schwestern gehen in den Ruhestand

Ein paar Veränderungen gibt es auch beim Personal: Chraniuk nimmt keine Schwestern mit. Ulrike Kirbis und auch eine zweite Schwester, die 45-jährige Yvonne Nitschke, wechseln in die Praxis Aljanowicz, die dritte Chraniuk-Schwester geht in den Ruhestand. Von den drei Aljanowicz-Schwestern werden zwei im nächsten April und Oktober in Rente gehen, die dritte bleibt. "Ab nächstem Jahr wollen wir auch wieder ausbilden", sagt Ulrike Kirbis, die mit ihren 69 Jahren noch nicht an einen Ruhestand denkt: "Ich arbeite gern und mache weiter, solange ich gebraucht werde." Ausbildung sei sehr wichtig, denn Personal sei knapp. Ihr Mann habe früher viel ausgebildet. Yvonne Nitschke hat von 1998 bis 2001 ebenfalls in der Praxis gelernt – und ist bis heute geblieben.

Als Hausbesitzerin hat sie jetzt aber noch eine ganz andere Aufgabe: "Ich suche einen Nachfolger für die Praxis im Erdgeschoss." Die ist ebenfalls komplett eingerichtet und kann sofort übernommen werden. Dort könnte eine Physiotherapie- oder Osteopathie-Praxis einziehen. Am liebsten wäre Ulrike Kirbis aber, wenn sich ein Hausarzt oder eine Hausärztin dort niederlassen würde. Er oder sie würde am dringendsten gebraucht. Denn: "Findet sich kein Arzt, dann wäre Frau Aljanowicz künftig fast die einzige Hausärztin der kompletten Innenstadt West", berichtet Ulrike Kirbis. Neben ihr gäbe es dann nur noch Ines Sperling, die kürzlich eine Praxis im Gebäude der Humboldt-Apotheke am Demianiplatz neu eröffnet hat.

Sie kann sich noch gut an die Zeiten nach der Wende erinnern, als es in dem Viertel acht Hausärzte gab. Manche davon sind mittlerweile tot, andere ohne Nachfolger in den Ruhestand gegangen. Manche hätten auch genau das getan, was Chraniuk nun plant: Sie sind in ein anderes Viertel umgezogen, zum Beispiel in die östliche Innenstadt oder ans Carolus-Krankenhaus nach Rauschwalde.

Ulrike Kirbis bedauert sehr, dass es für keine dieser Praxen einen Nachfolger gab. Umso mehr hofft sie nun, dass sich für die Parterre-Praxis bis zum Jahresende jemand findet, der die komplett eingerichteten Räume übernimmt. Vor allem aber gebe es in dem Viertel so viele Menschen, die auf der Suche nach einem Hausarzt seien. Und Aljanowicz könne außer den Chraniuk-Patienten keine weiteren Patienten mehr aufnehmen.