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Görlitz: Private Ukraine-Hilfsaktion wird Riesenerfolg

Eine Familie aus Kunnerwitz und Klein Neundorf ruft auf – und bekommt Hilfe von allen Seiten. Dieses Wochenende fahren zwölf randvolle Transporter gen Osten.

Von Ingo Kramer
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Simone (links) und Katrin Drescher sortieren in der Unterkirche in Kunnerwitz Spenden für die Ukraine. Am Freitag wurden alle Pakete in zwölf Transporter verladen, die sich am Abend in Richtung Osten in Bewegung setzten.
Simone (links) und Katrin Drescher sortieren in der Unterkirche in Kunnerwitz Spenden für die Ukraine. Am Freitag wurden alle Pakete in zwölf Transporter verladen, die sich am Abend in Richtung Osten in Bewegung setzten. © Martin Schneider

Simone und Katrin Drescher sind völlig überwältigt. Nach zwei Jahren Pandemie, sagt Katrin Drescher aus dem Görlitzer Ortsteil Klein Neundorf, sei viel Zerrüttung spürbar gewesen. „Aber jetzt, wo es um Hilfe für die Ukraine geht, werden alle auf einen Schlag wieder aktiv, helfen, wo sie können – und müssen nicht gebettelt werden“, sagt die 35-jährige Krankenschwester. Ihre Schwiegermutter Simone aus Kunnerwitz erlebt das genauso: „Mir fallen schon gar nicht mehr alle ein, die uns geholfen haben. Es sind so viele.“

Die beiden Frauen und ihre Männer Thomas und Nico waren es, die vor zwei Wochen bei einem Familienausflug nach Jonsdorf gesagt haben: Wir müssen helfen. Privat, als Familie. Nicht einfach nur Geld- oder Sachspenden an eine große Organisation geben, sondern selbst etwas auf die Beine stellen. Einerseits Dinge sammeln, die wirklich gebraucht werden, und andererseits Flüchtlinge herholen.

Linus Pohl gehört zu den vielen freiwilligen Helfern, die gepackte Kisten mit Spenden für den Transport aus der Unterkirche in Kunnerwitz tragen.
Linus Pohl gehört zu den vielen freiwilligen Helfern, die gepackte Kisten mit Spenden für den Transport aus der Unterkirche in Kunnerwitz tragen. © Martin Schneider

Die Dreschers streuten die Info im Familien- und Freundeskreis, in der Kirchgemeinde und an ihren Arbeitsstellen. Jetzt sind sie überwältigt von den Reaktionen. „In Kunnerwitz und Klein Neundorf gibt es wohl kaum jemanden, der nicht geholfen hat“, sagt Simone Drescher, die bis voriges Jahr das Kochstudio Regenbogen in Kunnerwitz leitete und jetzt bei der Medizintechnik-Firma Paramedi in Markersdorf für die Personalführung zuständig ist.

Doch nicht nur die Kunnerwitzer und Klein Neundorfer unterstützten, sondern auch Menschen aus den umliegenden Dörfern, aus der Stadt und von weiter weg. Bis aus Suhl trafen Spenden ein. Viel Unterstützung erhielten alle vier Dreschers auch von ihren jeweiligen Arbeitgebern, die ihnen für die Aktion teilweise freigaben, ansonsten auch mit Geld- oder Sachspenden beteiligt sind oder Transporter beisteuern. Auch viele Kollegen haben geholfen. Damit ist es bisher eine der größten Ukraine-Hilfsaktionen im gesamten Kreis Görlitz.

Warum es so gut lief? Simone Drescher hat dafür eine einfache Erklärung: „Viele Leute haben uns gesagt, dass sie bei uns spenden, weil sie wissen, dass wir die Sachen selbst in Richtung Ukraine fahren und die Spenden wirklich an Ort und Stelle ankommen.“ Das eingegangene Geld haben die Dreschers noch gar nicht gezählt. „Ein paar Tausend Euro“, sagt Simone Drescher. Die 54-Jährige hat einen Teil davon schon ausgegeben – für Großbestellungen von Medikamenten und Verbandsmaterial.

Die ganze Unterkirche ist belegt

An Sachspenden kam so viel zusammen, dass die komplette Kunnerwitzer Unterkirche belegt ist. Kleidung, Nahrung, Schlafsäcke und vieles mehr – alles, wonach die Dreschers suchten, wurde tatsächlich abgegeben. Freiwillige Helfer haben die Dinge sortiert und alle Kisten beschriftet – mithilfe einer Dolmetscherin sogar zweisprachig. Am Freitag ging es ans Verladen. Zwölf Transporter standen zur Verfügung – allesamt von Freunden, Bekannten und Sponsoren. Bis zum Freitagnachmittag stand noch nicht fest, ob es gelingen wird, alle Spenden in den zwölf Fahrzeugen unterzubringen.

Für Freitagabend hat die Kunnerwitzer Gaststätte „Zur Windmühle“ alle, die mitfahren, zum Essen eingeladen. Anschließend setzt sich der Konvoi um 20 Uhr in Bewegung gen Osten. Ziel ist eine Caritas-Station in Polen, etwa 60 Kilometer vor der ukrainischen Grenze. „Unser Sohn Nico hat den Kontakt zur Caritas-Station über ,Komm mit Reisen’ vermittelt bekommen“, sagt Simone Drescher. Dort wird alles abgeladen, die Caritas bringt die Spenden über die Grenze in die Ukraine.

Auch Janet Nitsche fasste am Freitag tatkräftig mit an.
Auch Janet Nitsche fasste am Freitag tatkräftig mit an. © Martin Schneider

Danach fahren die zwölf Transporter weiter – an die ukrainische Grenze. Dort wollen sie 46 Flüchtlinge abholen, überwiegend Frauen und Kinder aus dem Ostteil des Landes. Der Kontakt entstand über die Josua-Gemeinde in Bautzen. 46 deshalb, weil es in den Transportern 46 freie Sitzplätze gibt. Die Dreschers können noch nicht sagen, wer die Flüchtlinge sind. „Die Informationen ändern sich stündlich“, so Katrin Drescher: „Immer wieder werden neue Übergabepunkte mitgeteilt.“

Genug Betten stehen bereit

Was schon sicherer ist: Für die Flüchtlinge, die in der Region bleiben wollen, stehen genug Betten bereit. Die meisten davon bei Privatpersonen, die dem Aufruf der Dreschers gefolgt sind und sich bereit erklären, Flüchtlinge aufzunehmen. Die letzten zehn, für die es noch keine Betten gibt, kommen erst einmal in den St.-Wenzeslaus-Stift nach Jauernick-Buschbach.

Simone Drescher hofft, dass der Konvoi bereits Sonnabendnacht in Kunnerwitz eintrifft. Ihre Schwiegertochter bleibt als Einzige vom Drescher-Quartett zu Hause – und bereitet den Empfang vor. Der Kindergarten wird kochen, sodass alle bei der Ankunft eine warme Mahlzeit bekommen.

Eine Görlitzer Kinderärztin steht bereit, ankommende Kinder bei Bedarf am Sonntag zu untersuchen. Manche Helfer haben sich sogar bereiterklärt, Flüchtlinge zu jeder Tages- und Nachtzeit aufzunehmen. Für die anderen wird für die erste Nacht ein Schlaflager vorbereitet. Sie werden dann am Sonntag verteilt. Doch auch dann endet die Aktion nicht. Keiner weiß ja, wie lange die Flüchtlinge bei den Gastfamilien bleiben. Die Dreschers wollen zu allen den Kontakt halten – und bei Bedarf da sein. „Man muss in einer solchen Situation ja etwas tun“, sagt Simone Drescher.