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Warum passt Gerhart Hauptmann auf einmal nicht mehr zum Theater Görlitz/Zittau?

Die Namensdebatte um das Theater im Kreis Görlitz dreht weitere Pirouetten. Dabei ist es zu ernst, um sie einfach als Scherz abzutun. Ein Zwischenruf in einer absurden Identitätsdebatte.

Von Sebastian Beutler
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Wer will, wer will, wer hat noch nicht: Theaterintendant Daniel Morgenroth gibt gern Hauptmann auf - nur wofür?
Wer will, wer will, wer hat noch nicht: Theaterintendant Daniel Morgenroth gibt gern Hauptmann auf - nur wofür? © Pawel Sosnowski

Wie schmal der Grat zwischen Zustimmung und Ablehnung sein kann, hat die Neue Lausitzer Philharmonie erst beim Altstadtfest in Görlitz erlebt. Groß angekündigt war in Kooperation mit dem Lausitz Festival das Konzert "Freude schöner Lausitzfunken" auf dem Görlitzer Obermarkt. Alle freuten sich auf Beethovens vierten Satz aus dessen neunter Sinfonie mit der Ode an die Freude, doch das Orchester spielte zunächst einen Mix aus elektronischer Musik und Durchsagen. Der war nur verklausuliert angekündigt worden, auf der Internetseite des Festivals ist das immer noch nur schwer zu erkennen.

Bei den Leuten war Beethoven und Ode an die Freude hängen geblieben. Nichts weiter. Es kam, wie es kommen musste: Das Erwartungsmanagement versagte, statt Applaus gab es Buh-Rufe und Unmutsbekundungen. Niemand rühmte danach, dass es ein wirklich überraschender Marketing-Gag gewesen sei.

Nun hat der Intendant des Gerhart-Hauptmann-Theaters etwas Vergleichbares losgelassen. Er gibt den Namen Gerhart Hauptmann preis. Stattdessen können sich Unternehmen und Privatpersonen beim Theater Görlitz/Zittau melden und für ein Jahr lang und gegen einen Obolus die Namensrechte erwerben. Seitdem rätseln alle, denen das Theater noch etwas bedeutet, ob es ein Gag war, ein letzter verzweifelter Schritt angesichts fehlender Gelder oder eine ernst gemeinte Marketingmaßnahme, die sich alljährlich wiederholt. Oder die verklausulierte Bitte des Intendanten, endlich abgelöst zu werden.

Um etwas mehr Licht in die Sache zu bekommen, sollte man Morgenroth und die Veröffentlichungen des Theaters zunächst einmal beim Worte nehmen. Von einem Scherz ist jedenfalls nicht die Rede in der Pressemitteilung des Theaters, statt dessen davon, dass es Vorreiter für die gesamte Theaterlandschaft in Deutschland sein könne. Und Morgenroth hat auch gegenüber dem MDR nochmals betont, es sei ihm sehr ernst damit. Dass er damit Schlagzeilen machen würde, war ihm sehr bewusst. Denn die Pressemitteilung wurde am Donnerstag vor der Landtagswahl verschickt mit der dringenden Bitte, die Nachricht erst am Dienstag nach der Wahl zu veröffentlichen. Später wurde eine Sperrfrist nachgeschoben.

Buhrufe statt Applaus: Das verunglückte Konzert der Neuen Lausitzer Philharmonie und des Lausitz Festivals zum Altstadtfest vor wenigen Tagen in Görlitz.
Buhrufe statt Applaus: Das verunglückte Konzert der Neuen Lausitzer Philharmonie und des Lausitz Festivals zum Altstadtfest vor wenigen Tagen in Görlitz. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Wo ist der Mehrwert, wenn es eine gelungene Marketingaktion sein soll?

Viele halten das Ganze für eine gelungene Marketingaktion oder Provokation, heißt das Spielzeitmotto doch "Kapital". Doch Marketingmaßnahmen, die erst erklärt werden müssen, tragen nicht weit. Die Namensfreigabe erscheint als Zuspitzung des Spielzeitmottos. Schon im Spielzeitheft noch vor der Sommerpause hatte das Theater Unternehmen angeboten, deren Logos auf Kostüme zu nähen oder zu drucken oder Firmenjingles vor der Aufführung abzuspielen - gegen ein verhandelbares Entgelt natürlich. Damals gab es überhaupt keine Aufregung, weil es vermutlich niemand wahrgenommen hat, der durch das Heft blätterte. War die Hausleitung dadurch ermutigt worden, nun einen weiteren Schritt der Eskalation zu gehen?

Sogar die Gesellschafter waren zuvor informiert, halten das alles für eine Marketingmaßnahme, was bedeuten würde, nach dem einen Jahr kehrt der alte Name Gerhart Hauptmann wieder zurück. Ansonsten wäre es ja eine grundsätzliche Entscheidung: Und da würde man schon gern wissen, was Landrat Meyer sowie die Oberbürgermeister Zenker und Ursu zu der Namensänderung sagen. Andere wie der frühere Intendant Wieler glauben gar, dass sich kein Sponsor meldet und die ganze Aufregung umsonst sei.

Ist sie das wirklich? Vielleicht benötigt man etwas mehr Abstand zum Gegenstand, als Wieler ihn hat. NDR-Redakteur Stefan Forth jedenfalls schreibt: "Geld gegen Moral wäre allerdings ein schlechter Tausch für eine Institution, deren Wert für die Gesellschaft gerade darin besteht, offene Denkräume zu bieten, Imagination zum Fliegen zu bringen - und mögliche Gegenentwürfe zur Welt, in der wir leben, erspielbar und erfühlbar zu machen. Wer ein Theater wahllos zum wirtschaftlichen Werbeträger macht, verrät dessen Markenkern."

Linkspartei sieht rote Linie überschritten

Genau darum geht es. Und passt Gerhart Hauptmann mit seinen Werken nicht bestens zu dem Motto "Kapital". Hauptmann war es, der ganz neues Personal auf die Bühne stellte: Weber, Bahnwärter, Arbeiter. Keine Fürsten. Er schrieb über die Nöte, die sozialen und finanziellen, von Menschen, die mit der Entwicklung nicht Schritt halten konnten oder deren Fähigkeiten durch die technische Revolution entwertet wurden. Kommt das manchem vielleicht beim Stichwort Strukturwandel bekannt vor?

Auch Morgenroths Konzentration auf das Buch "Kapital des 21. Jahrhunderts" des französischen Wirtschaftswissenschaftlers Thomas Piketty trägt nicht weit. Dessen Buch ist in Teilen widerlegt, mindestens aber kritisiert worden. Zudem gibt es viel mehr Bücher, die dazu passen könnten und wichtige Anregungen enthielten zur provokativen Auseinandersetzung. Ein paar Beispiele: Ludwig Erhard "Wohlstand für alle" oder Karl Poppers "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" oder Karl Marx "Das Kapital" oder Thomas Manns „Buddenbrooks“ oder die "Bibel". Wer es etwas moderner mag, greife zu Lukas Rietzschel "Mit der Faust in die Welt schlagen", Jonathan Franzens „27ste Stadt“, Michael Sandels „Gerechtigkeit“ oder "Triggerpunkte" von Steffen Maus.

Bislang hat im politischen Raum nur die Linkspartei die Sprengwirkung erkannt, die Morgenroths fragwürdige Aktion besitzt. Zwar erkennt deren kulturpolitischer Sprecher Franz Sodann in dieser Entwicklung vor allem die Folge der Sparpolitik des Freistaates. Doch Kreis- und Stadtrat Mirko Schultze sieht mit dem Namensverkauf eine rote Linie überschritten und fordert daher die Gesellschafter des Theaters auf, die "Versuche der Intendanz zu stoppen, den Namen unseres Theaters zu kommerzialisieren und an den Werbemarkt zu bringen". Zugleich startete die Linke eine Petition im Internet, die in den ersten Tagen aber nur rund 100 Unterschriften erhielt.

Das Theater wiederum hat übers Wochenende die Diskussion auf die Spitze getrieben, und mit Künstlicher Intelligenz erzeugte Ansichten des Hauses mit Coca-Cola-Namenszug, Apple-Logo und McDonalds-Werbung in den sozialen Netzwerken veröffentlicht. Der Zittauer Rechtsanwalt Thomas Schwitzky hat darunter notiert: "Die selbst losgetretene Diskussion selbst so zu befeuern - das wirft Fragen auf. Und führt zu Antworten: So verliert man bisher uneingeschränkte Unterstützer unseres Theaters".

Was, wenn die Theaterfreunde lieber nach Cottbus, Dresden oder Bautzen künftig fahren?

Das ist in der Tat die größte Gefahr. Was hat das Theater gewonnen, wenn sich seine Stammgäste abwenden und einfach in die Semper-Oper oder ins Cottbuser Theater oder gar ins Deutsch-Sorbische Volkstheater Bautzen fahren, die gewiss ihren Namen behalten werden? Diese Gefahr ist realistischer als Tausende Euro, die über die Namensrechte eingenommen werden sollen, oder die kurzfristige Aufmerksamkeit, die auch schnell wieder verebbt. Dann ist Morgenroth mit seinen Problemen sowieso wieder allein.

Zumal viele Beispiele, die jetzt genannt werden, bei genauerem Hinschauen nicht wirklich tragen. Die Red-Bull-Arena in Leipzig heißt so, weil sie dem Red-Bull-Konzern gehört. Die Lanxess-Arena in Köln ist in privatem Eigentum und kein Theater. In Dresden hielten sich "Glücksgas"- und "DDV-"Stadion nicht lange, jetzt heißt es nach Rudolf Harbig, einem der wichtigsten Vertreter aus der Dresdner Sportgeschichte. Könnte man noch nach Cottbus schauen. Da heißt das Energie-Stadion mindestens bis 2026 "Leag-Energie-Stadion". Doch gibt es hier wenigstens einen inneren Zusammenhang zwischen Leag und Energie - und Cottbus ist auch noch Sitz der Leag. Welches Görlitzer Unternehmen aber will seine Produkte und seinen Namen am Theater sehen: Liebesperlen von Hoinkis?, Reinräume von Skan?, Schuhe von Birkenstock? Bratwürste der Fleischerei Gruske? Fenster der Tischlerei Rothe?

Bleibt noch die Finanzdebatte um die deutschen Theater. Morgenroth hatte schon im vergangenen Jahr in dieser Diskussion zur ultimativen Keule gegriffen, indem er sein Haus auf dem Weg in die Insolvenz sah. Nichts dergleichen trat ein, der Kreis sah die Gefahr zu keinem Zeitpunkt. Unklar ist, ob das Hilfspaket des Freistaates am Ende durch diese Notbremsung Morgenroths beeinflusst wurde. Doch, was soll für eine GmbH nach der Insolvenzdrohung kommen? Eine Steigerung ist nicht möglich. Musste auch deswegen jetzt etwas Neues, Anderes zurate gezogen werden, um auf die zugegebenermaßen schwierige Lage hinzuweisen? Nur: alles Hinweisen ist ja noch keine Lösung. Vielleicht wäre es besser gewesen, genau darin Kreativität zu investieren und auf diesem Weg Solidarität und Unterstützung und womöglich darüber auch zusätzliche Gelder zu gewinnen. Stattdessen stecken wir in einer völlig unnötigen Identitätsdebatte.

Die Petition ist unter folgenden Link aufrufbar. Wir freuen uns über jede Unterstützung.
https://openpetition.de/!hbnhd