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Görlitz
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Rückkehr eines Görlitzer Juden

Der Firmenname "Müller & Kaufmann", die "Kaufmannsche Villa" - Siegfried Kaufmanns Wirken ist noch immer ein Begriff in Görlitz. Vor 86 Jahren musste seine Familie Görlitz verlassen.

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Das Foto zeigt eine  Büste von Siegfried Kaufmann im Görlitzer Kaisertrutz.
Das Foto zeigt eine Büste von Siegfried Kaufmann im Görlitzer Kaisertrutz. © Görlitzer Sammlungen

Von Ines Haaser

Erst jüngst gelangte ein außergewöhnliches Objekt nicht nur als Dauerleihgabe in die Görlitzer Sammlungen, sondern auch in die ständige Ausstellung zur Stadtgeschichte im Kaisertrutz. Die aus Marmor gefertigte Büste entstand um 1890 und zeigt den Kaufmann und Unternehmer Siegfried Kaufmann. Er reiht sich ein in die Porträtgalerie bemerkenswerter Görlitzer Industrieller, hochrangiger Beamter und großzügiger Mäzene um 1900 im ersten Obergeschoss, das sich der Industrialisierung bis 1990 widmet.

Der Firmenname „Müller & Kaufmann“ und die „Kaufmannsche Villa“ sind vielen Görlitzern ein Begriff. Beim Besuch des Städtischen Friedhofes kann noch immer das beeindruckende Grabmal von Siegfried Kaufmann betrachtet werden. Im letzten Jahr besuchten Nachfahren der Familie, die Urenkeltochter Philippa John-Cook und ihr Mann, die Stadt Görlitz. Sie übergaben außer der Büste auch zahlreiche Fotos, Alben, private Dokumente und einige kleinere Erinnerungsstücke dem Museum.

1938 musste die Familie Görlitz verlassen. Sie waren jüdischer Abstammung. Ursprünglich kam der Großvater von Siegfried Kaufmann aus Drossen in der Neumark/Ośno Lubiskie. Der Vater hatte in Berlin mit einem Engländer die Textilhandelsfirma „Müller & Kaufmann“ gegründet. Etwa 1873 kam Siegfried Kaufmann in das wirtschaftlich prosperierende Görlitz und übernahm zunächst die Zuchthausweberei und wenig später die in Konkurs befindliche Weberei, Färberei und Appretur Wallach & Hertz in der Kahle 11-13, die den Namen „Müller & Kaufmann“ erhielt.

Firma hatte 700 Mitarbeiter

Siegfried heiratete in Görlitz Rosa Franck, mit der er fünf Kinder hatte. Die Firma blühte und erwarb weitere Grundstücke im Umkreis. Vor dem Ersten Weltkrieg war die Firma mit 700 Arbeitern und Angestellten einer der größten Arbeitgeber in der Stadt. 1898 war mit nicht einmal 52 Jahren Siegfried Kaufmann verstorben. Seine Witwe Rosa führte bis 1911 die Geschäfte, danach der älteste Sohn. Rosa Kaufmann ist eine der wenigen Frauen, die als Unternehmerinnen in Görlitz hervortraten.

Im Jahr 1900 veranlasste Frau Kaufmann zwei großzügige Stiftungen auf den Namen ihres Mannes. Die Zinsen von insgesamt 20.000 Mark standen für hilfsbedürftige ehemalige Arbeiter und Arbeiterinnen der Firma „Müller &Kaufmann“ zur Verfügung und für erholungsbedürftige Kinder aus einfachen Familien, die in Ferienkolonien untergebracht wurden.

Nachdem schon in der Zeit der Weimarer Republik die Textilindustrie angeschlagen war, liefen unmittelbar nach 1933 die Geschäfte scheinbar so schlecht, dass Immobilien verkauft beziehungsweise anderweitig genutzt wurden. 1936 verließen alle Familienmitglieder Deutschland, auch Rosa Kaufmann. Als letzter war Siegfrieds Sohn Ulrich geblieben, der mit seiner Frau Ruth äußerst erfolgreich ein Rittergut in Hartmannsdorf/Miłaszów bei Marklissa /Leśna bewirtschaftete. Noch 1936 und 1937 hatte er auf den Reichsnährausstellungen Medaillen für Milchproduktion erhalten. 1938 verließ auch er mit seiner Familie das Land. Die Firma „Müller & Kaufmann“ fand keine arischen Nachfolger. Auch deshalb wurde in einem Teil der alten Werkshallen im Jahr 1952 der VEB Kondensatorenwerk Görlitz untergebracht.

Nach über 85 Jahren kam nun ein Teil des Nachlasses in die Heimatstadt der Familie Kaufmann zurück. Die Büste von Siegfried Kaufmann steht für eine Zeit des industriellen Aufbruchs, an dem jüdische Familien mit ihrem Können und ihrem Unternehmergeist großen Anteil hatten. Der Nationalsozialismus beendet dies.

Autorin Ines Haaser ist Historikerin und Kuratorin für Stadtgeschichte an den Görlitzer Sammlungen für Geschichte und Kultur.