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Kreis Görlitz: Jeder vierte Pflegeheimbewohner ist arm dran - wie reagiert die Politik?

In manchen Heimen ist der Eigenanteil von 3.000 Euro überschritten. Trotz Sozialleistung "Hilfe zur Pflege" belastet die Situation Bewohner und Angehörige. Jetzt gibt es Vorschläge zur Entlastung.

Von Marc Hörcher
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Eine Pflegerin (l.) und eine Heimbewohnerin schauen zusammen aus einem Fenster im Wohnbereich des Pflegeheims.
Eine Pflegerin (l.) und eine Heimbewohnerin schauen zusammen aus einem Fenster im Wohnbereich des Pflegeheims. ©  dpa / Symbolbild

2.667 Euro pro Monat aus eigener Tasche für das Leben im Pflegeheim. So viel zahlen Pflegebedürftige aktuell in sächsischen Heimen (Stand 1. Juli) 172 Euro mehr als Mitte 2023. Das ergab eine Auswertung des Verbands der Ersatzkassen. Die Pflegeheime im Landkreis Görlitz sind davon nicht ausgenommen, wie eine Abfrage der SZ bei vier großen Trägern von Einrichtungen im Landkreis Görlitz ergab. Die Kostensteigerung betrifft im Landkreis Görlitz die acht Heime der Diakonie St. Martin, die zwei Heime vom DRK-Kreisverband Görlitz sowie die fünf Pflegeeinrichtungen der Awo Oberlausitz sowie die Aiutanda Sachsen GmbH mit Sitz in Weißwasser, die mehrere Einrichtungen betreibt und unter anderem vor zwei Jahren das "Familienunternehmen Kunze" übernommen hatte.

Ein Rechenbeispiel:

  • Die Diakonie St. Martin unterhält im Landkreis Görlitz insgesamt acht Pflegeheime mit 415 Bewohnern. Der selbst zu zahlende Anteil für das erste Jahr im Heim betrug dort im Jahr 2023 zwischen 2.300 und 2.600 Euro, im Jahr 2024 sind es zwischen 2.700 und 3.200 Euro. Der Eigenanteil mit dem höchsten Entlastungszuschlag nach 36 Monaten betrug im Jahr 2023 zwischen 1.400 und 1.600 Euro, im Jahr 2024 zwischen 1.500 und 1.700 Euro.

Die Kosten für einen Heimplatz setzen sich zusammen aus Kosten für Pflege und Betreuung, Kosten für Unterkunft und Verpflegung, Investitionskosten einschließlich Instandhaltung und Kosten für generalistische Pflegeausbildung. Die Heimbetreiber selbst können nichts für die gestiegenen Kosten. Sie sind an die gesetzlichen Vorgaben gebunden. Neben ohnehin steigenden Kosten für Infrastruktur kommt für die Heimbetreiber hinzu, dass sie mehr Personal einstellen müssen und die Mindestlöhne der Mitarbeiter steigen.

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Die Bewohner können "Hilfe zur Pflege" beantragen, eine Sozialleistung, die hilft die Heimbeiträge zu bezahlen. Derzeit nehmen im Landkreis Görlitz 1.551 Personen diese Leistungen in Anspruch. Weitere Anträge stapeln sich in der Behörde - und die Tendenz sei steigend, heißt es vonseiten des Landratsamts-Sprechers Kevin Schlei. Geschuldet sei das den steigenden Kosten für die Pflege, aber es kämen noch weitere Faktoren hinzu: die demografische Entwicklung (also die Überalterung im Landkreis Görlitz) sowie die Einkommensstrukturen im Landkreis Görlitz. Die nach der Wende gebrochenen Erwerbsbiografien und daraus resultierende geringe Renten sind laut Landratsamt ein weiterer Grund dafür, dass Rentner im Kreis das Geld für den Heimplatz schwerer aufbringen können und verstärkt auf die "Hilfe zur Pflege" angewiesen sind. Aktuell sind es laut Landkreis etwas mehr als ein Viertel aller Pflegeheimbewohner. Im Jahr 2017 waren die Fallzahlen nach Umstellung der Pflegestufen auf die neuen Pflegegrade kurzzeitig gesunken. Seither steigen sowohl die Fallzahlen als auch die Kosten je Fall kontinuierlich jedes Jahr weiter an -mit einer kleinen Unterbrechung während der Coronapandemie.

Steigender Mindestlohn schlägt zu Buche

Dass diese Kostenspirale auch weiterhin stiegt, ist wohl zu erwarten - wegen mehrerer steigender Kosten, darunter der Mindestlohn. Momentan liegt dieser für gelernte Pflegekräfte bei 16,50 Euro pro Stunde, eine weitere Erhöhung auf 17,35 Euro ab 1. Juli steht an. Was aus Sicht der Pflegekräfte erfreulich ist - auch angesichts der hohen Arbeitsbelastung in diesem Job mit Schichtsystemen und hoher Burnout-Quote in dieser Branche - stellt die Heime als Arbeitgeber vor Probleme. Sie müssen die gestiegenen Kosten an die Bewohner beziehungsweise deren Angehörige weitergeben.

Bewohnerzimmer im neuen Wohnbereich im Altenpflegeheim "Hildegard Burjan" der Caritas im Elsternweg in Görlitz
Bewohnerzimmer im neuen Wohnbereich im Altenpflegeheim "Hildegard Burjan" der Caritas im Elsternweg in Görlitz © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Diese Lösungen schlagen Parteien, die im Freistaat Sachsen zur Landtagswahl antreten, in ihren Wahlprogrammen (und anderen öffentlichen Erklärungen) vor:

  • CDU: Geht es nach den Christdemokraten, soll eine Pflege-Vollversicherung eingeführt werden, bei der der Bund die pflegebedingten Kosten komplett übernimmt. Das Konzept zu diesem Systemwechsel haben Landesparteien in Sachsen und Nordrhein-Westfalen gemeinsam erarbeitet.
  • AfD: Die Partei fordert, dass der Freistaat Sachsen die Investitionskosten der Pflegeeinrichtungen übernimmt und die häusliche Pflege durch ein Landespflegegeld stärkt. Dies soll die finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen und ihrer Familien reduzieren.
  • Linke: Ein Pflegewohngeld soll her. Der Freistaat soll, ähnlich wie in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein auch, Menschen in Pflegeheimen diesen monatlichen Zuschuss gewähren - für die Investitionskosten und Betriebsausgaben, die ihnen als Eigenanteile berechnet werden.
  • Bündnisgrüne: Die Partei sieht eine Bürgerversicherung und die Ausweitung der Beitragspflicht auf alle Einnahmen als Grundstock für eine stabile Finanzierungsgrundlage der sozialen Pflegeversicherung. Eine solidarische Pflegeversicherung soll finanzielle Entlastung schaffen, unabhängig davon, ob ambulant oder stationär gepflegt wird.
  • SPD: Die Sozialdemokraten möchten mehr bezahlbare Pflegeangebote schaffen. Bei den gestiegenen Pflegeheimkosten wollen sie die Eigenanteile begrenzen, dafür werden im Bund alle Möglichkeiten auf den Tisch gebracht, bis hin zur Vollversicherung.
  • FDP: Die Freien Demokraten wollen gemeinsam mit den Partnern der Selbstverwaltung und medizinischen Leistungsanbietern Lösungen und innovative Versorgungskonzepte erarbeiten, um die medizinische Versorgung in Sachsen langfristig zu sichern.
  • Freie Wähler: Die Wählervereinigung erklärt: medizinisch notwendige Versorgung müsse für alle Bevölkerungsteile finanzierbar bleiben. „Polikliniken“ sollen eine gesundheitliche Basisversorgung auch in der Fläche sichern. Reformen müssten zuerst vom Bedarf der Patienten aus gedacht werden.
  • Wagenknecht-Partei: Das BSW verspricht den Wählern für einen Pflegekostendeckel einzustehen. Der Eigenanteil der Heimbewohner dürfe die Durchschnittsrente nicht übersteigen, fordert die Partei und fordert zudem ein sächsisches Landespflegegesetz.