Mystiker – so wird der große Denker Jacob Böhme genannt. Und mit einem Hauch von Mystik wird man in der neuen Ausstellung "Lilienzeit" im Schlesischen Museum auch empfangen, die am Abend des 30. August eröffnet wird.
Mit tiefroten Tüchern sind die Wände des hohen Raumes bespannt, darauf abgebildet sind Symbole, die Jacob Böhme wichtig waren – die Lilie, ein Kreis, die Sonne. Edles Gold und reines Weiß sind die Kontrastfarben zu diesem schönen Rot, gedämpft ist das Licht, damit die 300 Jahre alten wertvollen Bücher keinen Schaden nehmen, und eine Stimme spricht leise von Weltgrund, Geheimnis und Ewigkeit.
Nach Amsterdam und Coventry in Görlitz
Von Jacob Böhmes Gedankenwelt erzählt die Ausstellung und von der großen Reise seiner Schriften von Görlitz aus in die ganze Welt. Kuratorinnen sind die Religionswissenschaftlerin und Böhme-Forscherin Lucinda Martin und die Kunsthistorikerin Claudia Brink von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Schon seit mehreren Jahren sind die beiden Wissenschaftlerinnen mit der Ausstellung zu Jacob Böhme unterwegs.
In immer wieder anderer Gestalt und unter verschiedenen Titeln war die Schau 2017 in der Dresdner Schlosskapelle, 2019 in Coventry und Amsterdam sowie 2022 in Breslau (Wrocław) zu sehen. Nun ist sie anlässlich des 450. Geburtstages (1575) und des 400. Todestages (1624) von Jacob Böhme unter dem Titel "Lilienzeit" in Görlitz zu Gast.
"Lilienzeit" meint idealen Zustand
Als Lilienzeit bezeichnete Jacob Böhme einen idealen Zustand der Welt. In seinem ersten Werk "Aurora" schrieb er von einem mystischen Erlebnis in seiner Schusterwerkstatt, durch das er erkannt habe, dass Dunkelheit und Licht untrennbar zusammengehören und als zwei Kräfte in allen Dingen wirken – als ja und nein, gut und böse, Leben und Tod. Ohne diese Gegensätze stehe alles still, aus ihrem Kampf schöpfe die Natur ihre Kraft.
- Hier können Sie sich für unseren kostenlosen Görlitz-Niesky-Newsletter anmelden.
Auf dieser Erkenntnis baute Böhme eine ganze Gedankenwelt auf, die er über Jahre hinweg vertiefte und ausbaute. Er ging davon aus, dass sich in der Zukunft die Gegensätze in allen Dingen harmonisieren würden und sprach in diesem Zusammenhang von "Lilienzeit".
In der Ausstellung sind zum einen historische Ausgaben von Böhmes Schriften zu sehen, überwiegend Leihgaben aus der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften, aber auch so besondere Bücher wie eine kleine Ausgabe von Böhmes Briefen aus dem Privatbesitz von Lucinda Martin. Ein Kupferstich aus dem Graphischen Kabinett der Görlitzer Sammlungen zeigt Böhme in der Schusterwerkstatt, vertieft ins Schreiben, sein Werkzeug unaufgeräumt in der Ecke. Die Drucke von Böhmes Werken enthalten oftmals Darstellungen von Modellen, mit denen sich seine Anhänger seine Weltsicht verdeutlichen wollten.
Böhme-Tourismus gab es schon im 18. Jahrhundert
Diese Anhänger hatte Böhme nicht nur unter oberlausitzer Ärzten und Juristen oder schlesischen Adligen, die ihn unterstützten. Waren seine Schriften offiziell verboten, weil sie dem damaligen Verständnis von Gott widersprachen, eröffneten sie im Geheimen die Möglichkeit, frei zu diskutieren. In Lesekreisen gingen Böhmes Schriften von Hand zu Hand, wurden kopiert und weitergegeben. Bis in die Niederlande und nach England verbreiteten sie sich und wurden teilweise dort gedruckt.
In einem dieser Bücher ist am Ende der gefaltete Stadtplan von Görlitz aus dem Jahr 1714 enthalten. Weil dort Jacob Böhmes Wohnhaus und sein Grab auf dem Nikolaifriedhof in die Legende aufgenommen wurden, geht Lucinda Martin davon aus, dass es bereits im 18. Jahrhundert einen Böhme-Tourismus gab, der seine Anhänger nach Görlitz führte.
"Aurora"-Handschrift am Bildschirm lesen
Die Reichweite des Böhme-Netzwerks bis nach Nord- und Südamerika, nach Skandinavien oder Estland lässt sich in der Ausstellung auf einer Medienstation gut nachvollziehen. Auf anderen Bildschirmen kann man sich in Böhmes Symbolik vertiefen, ein historisches Pop-up-Buch erkunden oder in Böhmes "Aurora"-Handschrift lesen. Die Seiten lassen sich nach Themen wie Freiheit, Weisheit, Natur, Schöpfung oder Kosmos ansteuern und sind mit einer Übersetzung in heutiges Deutsch versehen.
Besonders spannend ist die Geschichte von 200 Jahre lang verschollen geglaubten Handschriften Jacob Böhmes. Ein Pfarrer aus Linz in Rheinland-Pfalz wandte sich 1941 an die Stadt Görlitz. In seiner Nachbarschaft gebe es eine Gruppierung, die im Besitz der originalen Schriften sei, aber die Gestapo habe sie beschlagnahmt, weil sie die Theosophie Jacob Böhmes mit der (damals) verbotenen Theosophie Rudolf Steiners verwechselt habe.
- Nachrichten per Push erhalten - hier können Sie sich anmelden.
Das Missverständnis klärte sich auf, die Werke kehrten zurück nach Görlitz, doch als gegen Kriegsende die Schätze der Stadt in umliegende Schlösser ausgelagert wurden, ging erneut ein Teil der Böhme-Schriften verloren – bis heute wird er in der Universitätsbibliothek Breslau (Wrocław) bewahrt.
Ort für Böhme-Dauerausstellung in Görlitz gesucht
"Lilienzeit" ist der Abschluss der Böhme-Ausstellungsreihe der Staatlichen Kunstsammlungen. Geplant war von Beginn an, dass daraus eine Dauerausstellung für Görlitz entstehen werde. Der ursprünglich dafür vorgesehene Ort, die gerade im Bau befindliche Dreifaltigkeitskirche, komme dafür vermutlich nicht mehr infrage, sagen Lucinda Martin und Claudia Brink. "Das dauert viel zu lange. Wir werden sicher einen anderen Ort in Görlitz finden."
Hinweis: Das Schlesische Museum bietet zur Ausstellung ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm, das am 31. August, um 18 Uhr mit dem Vortrag Lucinda Martins über die Verbreitung von Böhmes Schriften beginnt und bis zum 2. Februar Filme, Vorträge, ein Ferienprogramm, einen Stadtrundgang für Kinder, einen Papiertheaterworkshop und viele Führungen bietet.
Programm: www.schlesisches-museum.de