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SZ + Görlitz

"Viele Görlitzer Helfer sind an ihre Grenzen gekommen"

Der sechste Hilfstransport war der vorerst letzte von Görlitz in die Ukraine. Helfer Enrico Deege spricht mit der SZ über die Gründe - und warum er Plauen beneidet.

Von Susanne Sodan
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Enrico Deege hat sechs Hilfstransporte in die Ukraine organisiert. Jetzt legen die Helfer eine Pause ein, aus mehreren Gründen.
Enrico Deege hat sechs Hilfstransporte in die Ukraine organisiert. Jetzt legen die Helfer eine Pause ein, aus mehreren Gründen. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Sechs Hilfstransporte haben Enrico Deege und andere Ehrenamtliche in die Ukraine gebracht. Deege leitet das Jugendhaus Ca-Tee-Drale, war einst auch an Hilfsaktionen in den Jugoslawienkriegen von 1991 bis 2001 beteiligt. An den Transporten für die Ukraine beteiligten sich viele Görlitzer und Nieskyer mit Spenden. Nun startete der letzte Hilfstransport. Im SZ-Interview erklärt Deege, warum die Hilfsbereitschaft sinkt, was jetzt nötig ist, und warum Helfer unglücklich sind.

Herr Deege, am Donnerstag ist der vorerst letzte Hilfstransport gestartet. Warum machen Sie Pause?

Zum einen ist unser Lager leer. Wir haben mit insgesamt sechs Transporten Spenden in die Ukraine gebracht, die dort konkret benötigt werden. Wir arbeiten dafür unter anderem mit der Stadt Ternopil zusammen. Die bislang angefragten Spenden sind raus.

Was waren das für Spenden?

Die Görlitzer haben über die Crowdfunding-Aktion „Görlitz hilft“ sehr viel Geld gespendet, fast 29.000 Euro, 10.000 Euro kamen über direkte Spenden. Dafür haben wir Medikamente und Verbandsmaterial, Lebensmittel und Schutzausrüstung gekauft, die Transportkosten bezahlt. Beim fünften Transport hatten wir auch Leichensäcke und Gasmasken dabei. Darum hatte Ternopil gebeten. Wir haben jetzt noch etwa 9.000 Euro. Vielleicht kann das Geld jetzt hier vor Ort eingesetzt werden.

Einer der Görlitzer Transporte wird am Klinikum Ternopil ausgeladen.
Einer der Görlitzer Transporte wird am Klinikum Ternopil ausgeladen. ©  privat

Was ist das für ein Gefühl, Dinge wie Leichensäcke einzukaufen und einzuladen?

Ich hatte erst mal einen Kloß im Hals, als ich die Anfrage des stellvertretenden Bürgermeisters von Ternopil bekam. Es wirkte auch etwas irreal, das Massaker von Butscha bei Kiew war noch nicht bekannt. Andererseits war es ein pragmatischer Wunsch. Deshalb habe ich auch versucht, es pragmatisch zu sehen. Wir haben die Sachen besorgt, sie sind dann zur Feuerwehr Ternopil gebracht worden, die Teil eines Netzwerkes ist. Sie gab die Dinge an die Feuerwehr in Kiew weiter.

Was war beim letzten Transport am Donnerstag dabei?

Diesmal sind wir in den Norden der Ukraine gefahren, nach Volodymyr. Dort wird der Zivilschutz für die nordwestliche Ukraine koordiniert. Wir haben ein Auto, einen Skoda, mitgenommen. Das war ein großer Zufall. Eine ältere Dame aus Görlitz hat es gespendet, die nicht mehr Auto fährt und ihr Fahrzeug für eine gute Sache verwendet wissen möchte. Zu der Zeit hatten wir erfahren, dass der Zivilschutz in Volodymyr ein Fahrzeug benötigt, um ältere Menschen in der Umgebung zu versorgen.

Vor und während der Crowdfunding-Aktion gingen auch Spenden von Institutionen wie Krankenhäusern, Apotheken, Privatpersonen ein. Läuft das weiter?

Zum einen ist es so, wie ich am Anfang vermutet hatte. Die erste Reaktion bei solchen Katastrophen ist immer sehr intensiv. Jetzt merken wir, dass erste Helfer wegbrechen. Als der Krieg begann, war das Entsetzen riesig. Das flaut mit der Zeit ab. Ich verurteile das nicht. Wir kennen das aus der Zeit der Jugoslawienkriege vor 30 Jahren, wo wir ebenfalls Hilfstransporte gefahren sind. Ich will nicht von einer Normalisierung sprechen, sondern es ist eher eine Schutzfunktion, die dazu dient, auch in einer Katastrophensituation einen gewissen Alltag aufrechtzuerhalten. Zum anderen brauchen wird jetzt einen langen Atem und müssen mit unseren Kräften etwas haushalten, falls eine zweite Welle kommt.

Sind Sie enttäuscht über die nachlassende Hilfsbereitschaft?

Nein. Ich merke, dass viele engagierte Görlitzer an ihre Grenzen gekommen sind. Sie sind in die Vollen gegangen, haben sich nicht geschont. Helfer sind nahe dran am Geschehen und müssen auf ihre psychische Gesundheit achten. Zum Beispiel haben wir vorletzte Woche die Nachrichten vom Angriff auf den Bahnhof Krematorsk gelesen, die Bilder gesehen. Und Montag kam eine Frau aus der Ukraine mit ihrer Mutter zu uns und erzählte, dass sie kurz zuvor genau dort war, am Bahnhof Krematorsk. Durch solche persönlichen Berichte ist man stärker betroffen und kann sich dem als Helfer auch nicht entziehen.

Was kann man tun, um psychisch gesund zu bleiben?

Ich halte es für wichtig, dass auch Helfer die Möglichkeit haben, ihre Erfahrungen aufzuarbeiten, um psychisch nicht selbst gegen die Wand zu fahren. Das muss nicht unbedingt eine professionelle psychologische Begleitung sein, aber vielleicht ein Gesprächskreis, wo man über das Erlebte sprechen kann.

Das Foto entstand bei einem der ersten Transporte nahe der ukrainisch-polnischen Grenze. Hunderte Menschen waren zu Fuß unterwegs, im Auto kam man auch nicht schneller voran.
Das Foto entstand bei einem der ersten Transporte nahe der ukrainisch-polnischen Grenze. Hunderte Menschen waren zu Fuß unterwegs, im Auto kam man auch nicht schneller voran. © privat

Ca-Tee-Drale-Vereins-Chef Edwin Schneider hatte mit dem Wichernhaus die Essensversorgung für Geflüchtete übernommen, auch er soll nun an die Grenzen gekommen sein. Machen inzwischen mehr Anbieter mit, wie Sie sich gewünscht hatten?

Das war eine spontane Idee, als die Registrierung schleppend verlief und noch keine Zahlungen an Flüchtlinge möglich waren. Es gibt Flüchtlinge, die sich relativ schnell in die neue Umgebung einfinden. Andere kamen mit ihren ukrainischen Hrywny an, verstanden die Welt nicht mehr, als sie mit ihrer Währung nichts anfangen konnten, und waren sehr hilflos. Für sie und auch zur Entlastung der Gastfamilien entstand die Idee mit der Essensversorgung. Wir dachten, das würde ein, zwei Wochen nötig sein, dann würde bestimmt der Landkreis übernehmen, zum Beispiel mit der Hochschulmensa.

Aber?

Edwin Schneider hat gern geholfen, aber irgendwann litt sein Kerngeschäft, seine regulären Mittagsgäste mussten mitunter eine halbe Stunde warten. Deshalb zog die Essensversorgung zunächst in die Wartburg, jetzt findet sie im Fränkelsaal der Evangelischen Innenstadtgemeinde an der Jakobstraße statt, sodass im Wichernhaus wieder etwas Normalität eingekehrt ist.

Viele Helfer beklagten zu wenig Unterstützung durch Verwaltungen wie den Landkreis. Etwa, dass die Registrierung zu schleppend vorangeht. Wie ist die Lage?

Ich habe vor Ostern mit einem Helfer gesprochen, der seit über einem Monat Flüchtlinge beherbergt. Er hat immer wieder versucht, einen Registrierungstermin zu erhalten, wurde aber laufend vertröstet. Er ist ziemlich gefrustet. Einige Flüchtlinge haben auch resigniert und gesagt: „Hier funktioniert es nicht, dann gehen wir rüber nach Zgorzelec.“ Dort haben sie sehr schnell einen Termin und einen Schulplatz für die Kinder bekommen. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber die Zgorzelecer waren von Beginn an sehr fit. Ich denke, die Lage entspannt sich langsam. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass weniger Menschen eintreffen.

Was muss jetzt passieren?

Ich glaube, ein großes Problem war, dass der Kreis nur einen einzigen Zugang zur Flüchtlings-Registrierung hatte und nicht parallel gearbeitet werden konnte. Dafür kann man dem Kreis nicht die Schuld geben. Auf der anderen Seite sieht man, wie es in Plauen läuft, wo als Pilotprojekt ein Informationszentrum für Geflüchtete eingerichtet wurde, gewissermaßen ein Amt für alles von der Registrierung über ALG-II-Antrag und Jobsuche bis zur Kitaplatzsuche. An diese eine Stelle können sich die Geflüchteten in ganz vielen Fragen wenden. Ich hätte mir so etwas auch für Görlitz gewünscht, zumal bei uns in Grenznähe natürlich mehr Menschen ankommen.

Wie ist jetzt die Lage in Ternopil? Wie war die Reaktion darauf, dass sie nun nicht mehr kommen?

Es ist eine Wartestellung. Das Krankenhaus in Ternopil ist erst mal gut versorgt, nicht nur durch uns. Man weiß eben nicht, wie sich die Lage entwickelt, wo wann was benötigt wird. Einerseits greift das russische Militär massiv die Donbass-Region in der Ost-Ukraine an, andererseits sind in Lwiw, also im Westen, am Sonntag mehrere Raketen eingeschlagen. Ich habe etwas Sorge, dass uns Ternopil aus Anstand keine Wunschliste mehr schickt, aber ich werde jedenfalls weiter fragen. Bis dahin ist es wichtig, dass wir alle etwas durchatmen, weil wir eben nicht wissen, was passiert.