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Hochwasser in Görlitz: Erleichterung bei Anwohnern - Feuerwehr im Dauereinsatz

Berufs- und freiwillige Feuerwehr sind ständig auf Kontrollgang. Auch viele Neißeanwohner hatten eine unruhige Nacht.

Von Sebastian Beutler & Marc Hörcher & Susanne Sodan
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Die Kirche im Görlitzer Stadtteil Görlitz-Weinhübel ragt am Montagvormittag aus der Neiße heraus, die hier auch Grundstücke überschwemmt hat.
Die Kirche im Görlitzer Stadtteil Görlitz-Weinhübel ragt am Montagvormittag aus der Neiße heraus, die hier auch Grundstücke überschwemmt hat. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Zwischen Bangen und Erleichterung, so lässt sich die Lage im Görlitzer Stadtteil Weinhübel zusammenfassen. Beim Neiße-Hochwasser 2010 war Weinhübel heftig getroffen. "Man ist unruhig", sagt ein Mann um die 60, der mit seinem Fahrrad eine Tour zu den überschwemmten Neißewiesen macht. Er wohne in Weinhübel, ein ganzes Stück entfernt von der Neiße, aber 2010 habe auch sein Keller unter Wasser gestanden. "Aber dieses Mal scheinen wir ja glimpflich davon gekommen zu sein."

Das sagt auch eine Frau, die an der Seidenberger Straße wohnt. Ganz in der Nähe ihres Hauses ist das Weinhübler-Neißewehr. Wasser steht am Montagvormittag noch unmittelbar bis zum Haus. "Aber wir haben noch Glück gehabt", sagt sie. "Es ist schlimm, aber für uns noch nicht gefährlich." Und: "Wir sind es gewohnt." Ja, sie habe vorige Nacht ruhig schlafen können - wenn auch sicherheitshalber in der Wohnstube. Allerdings sei in der Nacht wohl der Strom ausgefallen, im Keller und im Bad sei er noch nicht zurück.

Anthony Orsakowsky unterwegs zur Kontrolle am neiße-Wehr Weinhübel. Hier entspannt sich die Lage seit dem Morgen langsam wieder.
Anthony Orsakowsky unterwegs zur Kontrolle am neiße-Wehr Weinhübel. Hier entspannt sich die Lage seit dem Morgen langsam wieder. © SZ/sdn

Tatsächlich fiel der Strom nicht aus, sondern die Stadtwerke Görlitz mussten in Weinhübel sicherheitshalber einige Stromanschlüsse in den Kellern kappen, um Kurzschlüsse zu verhindern. "In der Produktion beim Wasserwerk haben wir keine Einschränkungen, die Dämme haben gehalten", erklärt Lutz Neumann, Krisenmanager der Stadtwerke. Auch den Krisenmodus habe man nicht ausrufen müssen.

Gegen 8 Uhr am Montagmorgen hatte die Neiße an der Görlitzer Messstelle einen Höchstpunkt von 5,57 Metern erreicht - drei Zentimeter unter der Alarmstufe 4. Seither sinkt der Pegel langsam wieder. "Sieht ja fast schon wieder entspannt aus", sagt Anthony Orsakowsky von der Freiwilligen Feuerwehr. Mit seinen Kolleginnen und Kollegen kontrolliert er wichtige Punkte der Neiße - zu Beispiel das Weinhübler Wehr.

Hat sich irgendwo Geäst verfangen oder sonstige Materialien, die den Neißefluss behindern könnten? Seit sieben Uhr am Montagmorgen ist er im Einsatz, hat eine andere Feuerwehr-Gruppe abgelöst, "wir arbeiten mit einem rollenden System": Sowohl die Berufsfeuerwehr als auch die freiwilligen Wehren aus Hagenwerder, Kunnerwitz und Ludwigsdorf sind derzeit zu ständigen Kontrollgängen in Höhe des Hochwassers unterwegs.

An den Neißewiesen in Weinhübel ist am Montag einiges los. Viele wollen sehen, wie der Stand der Dinge ist.
An den Neißewiesen in Weinhübel ist am Montag einiges los. Viele wollen sehen, wie der Stand der Dinge ist. © SZ/sdn

Die Berufsfeuerwehr Görlitz musste in der Nacht zum Montag wegen des Hochwassers zu drei Einsätzen ausrücken. "Gegen 2.49 Uhr haben die Kollegen ein Schaf gerettet von den Neißewiesen", sagt der stellvertretende Wachabteilungsleiter Michael Stelzig. Das Tier hatte sich von seiner Herde entfernt, die Feuerwehrleute fingen es wieder ein und brachten es in seine sichere Umzäunung.

Eine gute Stunde später um 4.06 Uhr rückten die Kameraden erneut aus, um Anwohner mit 20 Sandsäcken zu versorgen. Diese hatten danach gefragt, weil Wasser drohte, in ihren Keller zu laufen. Das Gebäude befand sich an der Straße "In der Aue" in Weinhübel, die Übergabe erfolgte an der Kreuzung Zittauer Straße/Seidenberger Straße. Die Anwohner transportierten die Sandsäcke selbstständig mit dem Traktor ab und kümmerten sich selbst darum, sie zu platzieren.

Um das Absichern eines vollgelaufenen Kellers mussten sich die Kameraden gegen 6.08 Uhr an der Hotherstraße kümmern. Dort drückte das Wasser von unten in den Keller; auch hier hatten sich die Anwohner bereits um den Sandsack-Verbau gekümmert. Die Hotherstraße war zum Zeitpunkt des Einsatzes nicht überschwemmt.

In Weinhübel ist mehr los als an einem Montagvormittag üblich. Mit Fahrrädern und zu Fuß haben sich Schaulustige auf den Weg gemacht. Teils handelt es sich aber auch um Weinhübler, die vor allem besorgt sind. Anthony Orsakowsky jedenfalls warnt davor, dem Wasser zu nahezukommen, auch wenn der Pegel wieder sinkt. In der Nacht zum Montag war eine Frau am Neißeufer nahe dem Parkhotel in den Fluss gestürzt - rund 700 Meter weiter konnte sie sich retten. "Das war ein wahnsinniges Glück", sagt Orsakowsky. Mit seinem Trupp fährt er weiter zur Straße "In der Aue", wo in der Nacht die Sandsäcke gebraucht wurden.

Schon von Weitem hört man eine Wasserpumpe arbeiten. Auf einem Hof am unteren Ende der Straße, also der Neiße am nächsten, lebt Linda Spenke mit ihrer Familie. Alles in Ordnung, ruft ein Mann über den Hof, auf dem das Wasser noch immer einige Zentimeter hoch steht. Der Hof verfügt über Spundwände und Notstromaggregat, "gegen vier Uhr haben wir dann angefangen zu pumpen", erklärt Linda Spenke. "Jetzt geht es wieder", man sehe schon wieder Land - im wahrsten Sinne.

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In der Nacht waren auch Bogumila Rzidky und ihre Tochter auf den Beinen, räumten den Keller ihres Hauses aus - falls doch der Schlamm kommt. Auch sie wohnen "In der Aue", auch sie kennen Hochwasserlagen nur allzu gut. Bis zum ersten Geschoss ihres Hauses stand das Wasser 2010 ungefähr, erzählt Bogumila Rzidky. Die Neiße ist von ihrem Grundstück eigentlich locker 100 Meter entfernt, eher mehr. Vorige Nacht stand das Wasser bis weit aufs Grundstück - in den Keller drang es aber zum Glück nicht ein.

In Weinhübel wird auch Kritik an der Stadtverwaltung laut. Man sei ziemlich auf sich gestellt gewesen, sagen zwei Frauen unabhängig voneinander. "Die Feuerwehr hat es wieder gutgemacht", sagt eine von ihnen. Wenn man sie brauche, sei sie da. Allerdings bei der Prävention, "sah es früher schon mal besser aus". Die Weinhübler seien durchaus bereit, sich gegenseitig zu helfen, sagt die andere Frau. Aber zum Beispiel schon am Wochenende gemeinsam Sandsäcke zu füllen für jene, die sie dann brauchen. sei gar nicht möglich gewesen, weil das Material nicht zur Verfügung gestellt worden sei. "Polen hat das mit der Prävention hingekriegt, wir wieder nicht."

Kritisch war die Lage am Montag noch in Richtung Hagenwerder, die B99 musste gesperrt werden. Für Autofahrer war bereits an der B99-Kreuzung am Nordufer des Berzdorfer Sees Schluss. Die Görlitzer Verkehrsbetriebe (GVB) mussten aufgrund des Hochwassers ihre Linie E in Richtung Hagenwerder umleiten.

In Hagenwerder spaziert das Ehepaar Boß am Vormittag zur Pließnitz. Die führt noch viel Wasser. Vor 14 Jahren stand das damalige Hochwasser auch im Keller des Hauses von Elisabeth und Johannes Boß, mussten seinerzeit sogar den Urlaub verschieben, weil sie aus Hagenwerder nicht wegkamen. Sie kennen also aus nächster Nähe, wie unheimlich es ist, wenn Wasser nicht aufzuhalten ist. Das ganze Wochenende über haben sie die Pegelstände im Internet verfolgt. Viele Erinnerungen kamen wieder hoch, das Hochwasser von 2010 war wieder gegenwärtig.

Johannes Boß war ziemlich sicher, dass sich 2010 nicht wiederholt. Schließlich sei die Welle durch den Bruch des Witka-Staudamms erzeugt worden. Der ist aber mittlerweile erneuert worden. Ein zweites Mal wird er nicht brechen, erzählt Boß. Seine Frau war da etwas sorgenvoller. Umso größer ist nun am Montag die Erleichterung, dass es noch mal gut gegangen ist. So richtet sich der Blick schon wieder nach vorn. Am Nachmittag muss Frau Boß zum Augenarzt nach Görlitz. Sie wird wohl über Friedersdorf fahren, falls die B99 noch gesperrt ist.