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Hochwasser an der Neiße: "Wir haben einfach Glück gehabt"

Die Pegel sinken, die Schäden an Gebäuden sind überschaubar, Personen blieben unverletzt. Und doch richtet sich der Blick des Innenministers schon auf das nächste Hochwasser.

Von Sebastian Beutler
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Das Bild zeigt links die überfluteten Neißewiesen an der B 99 am Ortsausgang Görlitz und rechts oben den Berzdorfer See.
Das Bild zeigt links die überfluteten Neißewiesen an der B 99 am Ortsausgang Görlitz und rechts oben den Berzdorfer See. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

"Wir haben einfach Glück gehabt." Mit diesen wenigen Worten umreißt der Görlitzer Landrat Stephan Meyer am Montag, wie knapp der Kreis Görlitz am Wochenende an einer Katastrophe vorbeigeschlittert ist. Hätte die V-b-Wetterlage einen etwas anderen Kurs genommen, wäre so viel Regen über dem westlichen Isergebirge und der Oberlausitz gefallen, dass es ähnlich Bilder gegeben hätte wie jetzt aus dem Glatzer Bergland, aus Niederösterreich und Rumänien.

So ist aber im Kreis Görlitz bei dem Hochwasser am Wochenende alles noch mal gut gegangen. Am Montagmorgen, gegen 8 Uhr, passierte der Hochwasserscheitel der Neiße den Görlitzer Pegel mit 5,57 Metern - das waren drei Zentimeter unter der Alarmstufe 4. In der Nacht zuvor war der Wasserstand in der Neiße sehr schnell angestiegen und hatte kurz vor Mitternacht den Richtwert der Alarmstufe zwei, drei Stunden später auch den Richtwert der Alarmstufe drei überschritten.

Nächtliches Telefonat zwischen Rathauschefs von Görlitz und Zgorzelec

Es war der Moment, als der Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu zum Telefonhörer griff und seinen Zgorzelecer Amtskollegen Rafal Gronicz anrief. Der hatte nicht nur mit dem Hochwasser der Neiße zu kämpfen, sondern auch mit dem des Czerwona Woda (Rothwasser). Das ist ein kleiner Fluss im Normalfall, doch am Wochenende schwoll er auf mehr als 2,70 Meter an. In der Kleinstadt Sulikow - rund zehn Kilometer südöstlich von Zgorzelec - trat der Fluss über die Ufer, auch in anderen Dörfern hielt die Fluten nichts mehr auf. Ein Gesamtbild der Überschwemmungen war aber am Montag noch nicht zu erhalten, die meisten Straßen waren befahrbar. Häufig kamen viele Anrainer mit einem blauen Auge davon, beispielsweise das Hotel "Pstrag" in Tylice (Thielitz/Gemeinde Zgorzelec), einem beliebten Ausflugsziel. Das Hotel liegt unmittelbar an dem Fluss, der noch am Montag unmittelbar unter dem Erdgeschoss vorbeifloss.

Das Flüsschen Czerwona Woda in Zgorzelec am Montagvormittag, noch immer läuft es aus seinem Bett.
Das Flüsschen Czerwona Woda in Zgorzelec am Montagvormittag, noch immer läuft es aus seinem Bett. © SZ/Sebastian Beutler
Das Hotel "Pstrag" in Tylice bei Zgorzelec ist von der Czerwone Woda umtost.
Das Hotel "Pstrag" in Tylice bei Zgorzelec ist von der Czerwone Woda umtost. © SZ/Sebastian Beutler
Der Witka-Stausee bei Niedow ist am Mittwochvormittag randvoll.
Der Witka-Stausee bei Niedow ist am Mittwochvormittag randvoll. © SZ/Sebastian Beutler
Der neue Witka-Staudamm in Niedow hielt dieses Mal.
Der neue Witka-Staudamm in Niedow hielt dieses Mal. © SZ/Sebastian Beutler

Das Wochenende über hatte das Hochwasser die Region in Atem gehalten. Ein erster Anstieg - vor allem der kleinen Neiße-Zuflüsse dies- und jenseits der Grenze - war in der Nacht zu Sonnabend schnell erfolgt, doch der nachlassende Regen ließ die Pegel später wieder sinken. Im Laufe des Sonnabends zeichnete sich ab, dass vor allem die Lage an der Neiße zwischen Görlitz und Ostritz schwierig werden könnte. Später stieg dann auch noch der Neiße-Pegel in Zittau bis über die Alarmstufe 3.

Das ganze Wochenende waren es die starken Niederschläge im Isergebirge sowie in der gesamten Oberlausitz, die das Hochwasser bestimmten. In Görlitz selbst kamen in den vergangenen Tagen hohe Regenmengen zusammen. So waren es am Freitag laut Deutschem Wetterdienst über 95 Liter pro Quadratmeter, am Sonnabend kamen fast 80 Liter Niederschlag pro Quadratmeter zusammen.

Witka-Staudamm hält diesmal und schützt vor Schlimmerem

Diese Regenmengen wurden zum einen von der Neiße selbst, zum anderen von kleinen Zuflüssen aus Tschechien und Polen wie der Smeda, der Witka oder der Miedzianka, die teilweise ebenso mit Wasser aus dem Isergebirge versorgt werden, zu Tal gebracht. Gerade über die Smeda und die Witka floss viel Wasser in den Stausee Niedow. Der hatte beim Hochwasser 2010 für traurige Berühmtheit gesorgt, als die Staumauer brach und sich eine Flutwelle über die Witka zur Neiße und Görlitz ergoss. Die inzwischen erneuerte Staumauer hielt diesmal den Fluten stand. Allerdings war der Stausee auch noch am Montagvormittag sehr gut gefüllt.

In den nächsten Tagen wird dieses Wasser kontrolliert abgelassen und in die Neiße fließen. Das führt dazu, dass die Pegel in Görlitz und nördlich der Stadt nicht schnell sinken werden und der Druck auf den Dämmen hoch bleibt. So hielt sich der Wasserstand in Görlitz noch am Montagnachmittag über fünf Meter und damit in der Alarmstufe 3. Erst gegen 19 Uhr rechnete das Landeshochwasserzentrum mit einem Unterschreiten dieser Alarmstufe. Die Behörde prognostiziert für den späten Dienstagabend, gegen 22 Uhr, ein Ende der Alarmstufen in Görlitz.

Dagegen wappnete sich der Kreisnorden auf die Hochwasserwelle der Neiße. Sie sollte Dienstagmorgen Podrosche erreichen. Doch wurde hier nicht mehr mit Problemen gerechnet. Insgesamt erreichten die Wasserstände in den Flüssen nicht die Werte des Hochwassers von 2010.

Keine Personen kamen zu Schaden, kaum Gebäudeschäden

Die gute Nachricht des Wochenendes: Personen kamen nicht zu Schaden. Das ist ein nicht hoch genug zu schätzender Wert angesichts der Toten, die die Überschwemmungen in Rumänien und Polen forderten. Zwar musste die Feuerwehr in Görlitz einige Keller auspumpen, auch stand das Wasser in manchen neiße-nahen Gärten, und natürlich bildeten die Wassermassen in den Neißeauen zwischen Görlitz und Hagenwerder große Seen. Doch darüber hinaus gibt es kaum Berichte über Schäden. Auch die Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser und Strom war ohne Unterbrechung im Kreis Görlitz gesichert. Straßen sind frei passierbar. Nur die Bundesstraße B 99 musste wegen Überflutung am Ortsausgang Görlitz-Weinhübel zwischen Görlitz und Hagenwerder Montagfrüh gesperrt werden. Diese Vorsichtsmaßnahme hielt der Kreis auch am Montagnachmittag aufrecht.

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Die Görlitzer Stadtwerke betonten in einer Mitteilung, dass "trotz der angespannten Lage derzeit keine Gefährdung in der Trinkwasserversorgung" bestehe. Um möglichen Beeinträchtigungen der Wasserqualität vorzubeugen, haben die Stadtwerke vorsorglich die Chlorung des Trinkwassers erhöht. Diese Maßnahme zielt darauf ab, etwaige mikrobiologische Verunreinigungen, die durch das Hochwasser in die Wasserschutzzone eingetragen werden könnten, zu neutralisieren.

Kreis bittet weiter um Vorsicht an den Flüssen

Auch wenn die akute Gefahr jetzt überstanden ist, so bittet das Landratsamt alle Einwohner, "wachsam zu bleiben, um auf mögliche Veränderungen reagieren zu können." Ufergebiete sollten nicht betreten werden, weil sie möglicherweise durchweicht und nicht mehr trittsicher sind.

Sachsens Innenminister Armin Schuster kündigte bei einem Blitzbesuch in Görlitz an, Unwettermodelle noch einmal simulieren zu lassen. Zwar habe der Hochwasserschutz bestens funktioniert, vor allem auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Doch die bisherigen Modelle beruhen auf Erwartungen von Hochwassern von vor 20 Jahren. Möglicherweise aber habe der Klimawandel den Charakter der Unwetter unterdessen so stark verändert, dass der Hochwasserschutz erhöht werden müsse.