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Warum ein Görlitzer Bürgermeister Totenurnen sammelte

Lateinisch beschriftete Gefäße aus der Sammlung des Bürgermeisters Johann Wilhelm Gehler gehören zu den Schätzen der Görlitzer Sammlungen. Gehler war ein Universalgenie.

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Das sind die beschrifteten Gefäße aus der Sammlung des Johann Wilhelm Gehler (1696-1765) der Görlitzer Sammlungen für Geschichte und Kultur. Leider gibt es keine Zeichnung von Johann Wilhelm Gehler.
Das sind die beschrifteten Gefäße aus der Sammlung des Johann Wilhelm Gehler (1696-1765) der Görlitzer Sammlungen für Geschichte und Kultur. Leider gibt es keine Zeichnung von Johann Wilhelm Gehler. © Jasper von Richthofen

Von Jasper von Richthofen

Der Beginn der archäologischen Forschung in der Lausitz und in Schlesien ist unmittelbar mit dem Namen eines Görlitzer Bürgermeisters verknüpft: Johann Wilhelm Gehler (1696-1765). Der Universalgelehrte führte neben seinem Görlitzer Amt optische Versuche durch, machte Messungen mit Thermometer und Barometer, widmete sich seiner Elektrisiermaschine und legte wissenschaftliche Sammlungen an.

Überliefert ist unter anderem eine Serie antiker Keramikgefäße, von denen drei in See bei Niesky, eines im schlesischen Großendorf (Dłużyce) und zwei in der Görlitzer Altstadt gefunden wurden. Mit Ausnahme der beiden Görlitzer Stücke, die im 13. oder 14. Jahrhundert angefertigt wurden, datieren die übrigen Funde in die Eisen- und Bronzezeit zwischen 1000 und 600 v. Chr. Dies allein macht die Fundstücke noch nicht zur Besonderheit.

Es ist die lateinische Beschriftung, die die Fundumstände zwischen 1722 und 1733, den Fundort, die Schenker und den Zeitpunkt der Übernahme in die Sammlung dokumentiert. Bemerkenswert ist die Deutung Gehlers, der in den Tongefäßen "Totenurnen“ erkennt, "in denen die Heiden die Aschereste der verbrannten Toten bargen und aus einzigartiger Frömmigkeit heraus im Sand begruben“.

Nur im Hinblick auf die mittelalterlichen Gefäße aus Görlitz lag Gehler falsch. Sie wurden als Gebrauchskeramik verwendet. Dennoch handelt es sich unstrittig um die ältesten archäologischen Fundberichte in Sachsen und in Schlesien. Das Ensemble ist damit die älteste Sammlung solcher Fundstücke, die offensichtlich bereits mit einem modernen wissenschaftlichen Anspruch zusammengestellt wurde. Johann Wilhelm Gehler darf somit als ein Pionier der einheimischen archäologischen Forschung betrachtet werden.

Geboren wurde er am 29. April 1696 auf dem elterlichen Herrensitz in Sohr-Neundorf (Żarska Wieś) bei Görlitz. Seine erste Ausbildung erhielt Gehler durch einen Privatlehrer. Ab 1706 besuchte er das Görlitzer Gymnasium Augustum und studierte ab 1714 an der Friedrichs-Universität in Halle Rechtswissenschaften. Maßgebliche Prägung erhielt er durch das Studium der Mathematik und Philosophie beim bedeutenden Philosophen der Aufklärung, Christian Wolff (1679-1754).

Der Eingang zum Gymnasium Augustum zu Görlitz, gezeichnet 1797 von Johann Gottfried Schultz. Johann Wilhelm Gehler besuchte ab 1706 das Görlitzer Gymnasium Augustum. Das Gymnasium Augustum zu Görlitz war ein wichtiger Kristallisationspunkt für die frühe B
Der Eingang zum Gymnasium Augustum zu Görlitz, gezeichnet 1797 von Johann Gottfried Schultz. Johann Wilhelm Gehler besuchte ab 1706 das Görlitzer Gymnasium Augustum. Das Gymnasium Augustum zu Görlitz war ein wichtiger Kristallisationspunkt für die frühe B © Stadtverwaltung Görlitz Görlit

1718 setzte Gehler sein Studium in Leipzig bei dem Physiker und Philosophen Andreas Rüdiger (1673-1731) fort. Er verließ bereits im Oktober 1718 Leipzig und kehrte nach Görlitz zurück. Zeitgleich wurde er in Helmstedt zum Doktor der Rechte promoviert. Seit 1723 war Gehler als Senator für das "Rathscollegium“ tätig und bekleidete verschiedene Ämter. Unter anderem war er für Steuern, das Bauwesen, die Stadtwaage und den Marstall als Inspektor zuständig.

Eines seiner besonderen Verdienste war 1728 die bis heute im historischen Ratsarchiv aufbewahrte Dokumentation des mittelalterlichen Görlitzer Wasserleitungsnetzes. Im Jahr 1731 wurde Johann Wilhelm Gehler Stadthauptmann und 1738 zum ersten Mal Bürgermeister. Letzteres Amt wurde jährlich neu vergeben und versah Gehler mit diversen Unterbrechungen bis er 1760 krankheitsbedingt aus dem Dienst entlassen wurde. Im Jahr 1765 verstarb Johann Wilhelm Gehler mit 69 Jahren.

Teile seiner Bibliothek und seiner Sammlungen gelangten an die Milichsche Bibliothek zu Görlitz und befinden sich in den Beständen der Görlitzer Sammlungen für Geschichte und Kultur. Vier seiner beschrifteten Tongefäße sind im Barockhaus, Neißstraße 30, zu besichtigen. Eine weitere Keramik befindet sich heute im smac, dem Staatlichen Museum für Archäologie Chemnitz.

Jasper von Richthofen ist der Autor dieses Beitrages und Leiter des Kulturhistorischen Museums Görlitz. Hier ist er in einer Ausstellung im Kaisertrutz über die Zeit des Nationalsozialismus in Görlitz. zu sehen.
Jasper von Richthofen ist der Autor dieses Beitrages und Leiter des Kulturhistorischen Museums Görlitz. Hier ist er in einer Ausstellung im Kaisertrutz über die Zeit des Nationalsozialismus in Görlitz. zu sehen. © Martin Schneider

Unser Autor Dr. Jasper von Richthofen ist Archäologe und Direktor der Görlitzer Sammlungen für Geschichte und Kultur.