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Letzte Ausnahme: Görlitzer Kunsthalle verabschiedet sich mit Ausstellung

Die Kunsthalle in der Jakobstraße 2 muss schließen. Seit 2022 war sie ein Ort für zeitgenössische Kunst in der Stadt. Doch jetzt muss dringend etwas an dem Haus getan werden.

Von Ines Eifler
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Felix Schuster von der Görlitzer Kunsthalle und Agnieszka Bormann, Kulturreferentin für Schlesien und Organisatorin der aktuellen Ausstellung „Immer noch | Nadal“.
Felix Schuster von der Görlitzer Kunsthalle und Agnieszka Bormann, Kulturreferentin für Schlesien und Organisatorin der aktuellen Ausstellung „Immer noch | Nadal“. © Martin Schneider

Wenn sich Künstler mit einer Region beschäftigen, deren Bevölkerung nach 1945 ausgetauscht wurde, dann kommen dabei ganz verschiedene, faszinierende Werke des Erinnerns heraus: Ein überdimensionierter Zollstock, der viel zu groß ist, um die Görlitzer Kunsthalle mit ihren rohen Mauern zu vermessen, dafür symbolisch für die Absurdität von auf der Landkarte abgemessener Grenzziehungen steht.

Ein Schiffstau, das zusammengerollt von der Decke hängt, aber so lang ist wie die Oder breit, in der Menschen 1945 oder später auf der Flucht ertranken. Oder das Foto eines frisch ausgehobenen Grabes inmitten blühender Gräser im deutsch-polnischen Grenzraum, zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus, gleich welcher Nationalität und Herkunft. Diese Installation ist von Lisa Maria Baier, deren "Kulisse" 2021 an der Stadthalle zu einem Kunststreit führte.

Marmelade aus deutsch-polnischen Kirschen

Doch nicht nur den Schmerz, der in die Geschichte Niederschlesiens östlich des Grenzflusses eingeschrieben ist, thematisieren die Künstlerinnen und Künstler, die sich mit der komplizierten Geschichte der deutsch-polnischen Grenzregion auseinandergesetzt haben. In der Ausstellung "Immer noch" – der letzten in der Kunsthalle auf der Görlitzer Jakobstraße – gibt es auch Marmelade von Früchten früher deutscher, heute polnischer Kirschbäume. Oder Tischtücher, die eine Künstlerin verschenkt, damit die Erinnerungen an ihre Großmutter nicht verloren gehen.

Die Künstler vor zu verschenkenden Tischtüchern mit Organisatorin Agnieszka Bormann (2. v. l.), Kuratorin Jagna Domżalska (5. v. r.) und der in Görlitz bekannten Künstlerin Lisa Maria Baier (3. v. r.).
Die Künstler vor zu verschenkenden Tischtüchern mit Organisatorin Agnieszka Bormann (2. v. l.), Kuratorin Jagna Domżalska (5. v. r.) und der in Görlitz bekannten Künstlerin Lisa Maria Baier (3. v. r.). © Sascha Röhricht

Viele Werke erzählen auf andere Weise vom Verbindenden durch die Natur, die Generationen von Menschen überdauert. Und viele Menschen interessierte der Start dieser Ausstellung. Rund 100 Besucher kamen vergangene Woche zur Vernissage, außerdem etwa 40 am Tag darauf zur Kuratorenführung mit Jagna Domżalska und Künstlergesprächen.

Doch so groß der Andrang bei der Eröffnung war, so groß ist die Trauer darüber, dass die Kunsthalle schließen wird. "Wir finden es gerade jetzt besonders schade, dass unsere Zeit in diesen Räumen endet", sagt Felix Schuster von der Kunsthalle. Denn das Interesse an der aktuellen deutsch-polnischen Ausstellung zeige, wie sich die Kunsthalle in den vergangenen drei Jahren im Kulturleben der Stadt etabliert hat.

Schließung kommt nicht überraschend

In der Jakobstraße 2 befindet sich seit 2022 die Görlitzer Kunsthalle. Jetzt steht das Haus zum Verkauf.
In der Jakobstraße 2 befindet sich seit 2022 die Görlitzer Kunsthalle. Jetzt steht das Haus zum Verkauf. © Martin Schneider

Die ideale Lage in der Innenstadt habe immer wieder Publikum angezogen. Der Versuch, einen Ort für zeitgenössische Kunst in Görlitz zu schaffen, sei geglückt. Dabei habe der Trägerverein der Kunsthalle, Neisse Centre for Contemporary Arts (NCCA), nicht nur eigene Ausstellungen gezeigt, sondern sei auch Gastgeber gewesen: etwa für den Oberlausitzer Kunstverein oder – wie jetzt – für die Kulturreferentin für Schlesien Agnieszka Bormann, die "Immer noch" organisiert hat.

Der Schriftsteller Lukas Rietzschel gehört zum Team der Kunsthalle Görlitz. 2022 stellte er hier eigene Gemälde aus.
Der Schriftsteller Lukas Rietzschel gehört zum Team der Kunsthalle Görlitz. 2022 stellte er hier eigene Gemälde aus. © Martin Schneider

Dass die Kunsthalle schließen muss, kommt nicht überraschend. Als sie im Sommer 2022 eröffnete, war klar, dass die Nutzungsvereinbarung nicht von Dauer sein würde. "Wir waren damals froh, nach den jährlich wechselnden Orten für die 'Zukunftsvisionen' einen vorerst festen Ort gefunden zu haben", sagt Felix Schuster, der in Görlitz Kultur und Management studiert hat, Projektleiter der zeitgenössischen Kunstausstellung "Zukunftsvisionen" war und die Jugendkunstschule Oberlausitz-Niederschlesien leitet.

Blick zurück: Felix Schuster steht vor der ehemaligen Strumpffabrik im Hinterhof des Gebäudes Jakobstraße 2 in der Görlitzer Innenstadt. Hier organisierte er Ausstellungen über zeitgenössische Kunst.
Blick zurück: Felix Schuster steht vor der ehemaligen Strumpffabrik im Hinterhof des Gebäudes Jakobstraße 2 in der Görlitzer Innenstadt. Hier organisierte er Ausstellungen über zeitgenössische Kunst. © Martin Schneider

Vor zwei Jahren bekam der NCCA eine temporäre Sondergenehmigung für die Nutzung des unsanierten früheren Ladenlokals in der Jakobstraße 2. Sowohl für 2023 als auch 2024 wurde diese erneut erteilt. "Wir sind dafür der Stadt Görlitz genau wie dem Hausbesitzer sehr dankbar", sagt Felix Schuster, "auch für die großzügige Auslegung der Begrenzung der Nutzungsdauer und die unkomplizierte Zusammenarbeit mit dem Bauamt und der Feuerwehr."

Nach drei Jahren keine Sondernutzung mehr

Nun, nach drei Jahren, kann der Verein keine weitere Genehmigung einer Sondernutzung mehr bekommen, sondern hätte für 2025 und weitere Jahre eine Umnutzung beantragen müssen. Doch das Gebäude steht zum Verkauf, die Zukunft ist ungewiss. Da der ehrenamtlich arbeitende Verein das Haus mangels Kapital nicht selbst kaufen kann, ist es jederzeit möglich, dass jemand das Haus erwirbt und eigene Pläne hat. "Deshalb kommt es für uns nicht infrage, uns hier intensiver zu engagieren", sagt Felix Schuster.

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Bis in den Sommer kann der NCCA die Räume noch nutzen. Bis zum 23. Juni läuft die Ausstellung "Immer noch". An diesem Sonntag, 12. Mai, findet um 14 Uhr ein Künstlergespräch mit Viktor Witkowski statt, der 1979 in Niederschlesien geboren wurde, heute in den USA lebt und in der Kunsthalle Gemälde zeigt.

Am Sonnabend, 22. Juni, feiert die Ausstellung von 12 bis 21 Uhr ihre Finissage als Kunstfest, erneut mit den Künstlern und der Kuratorin sowie Daniel Breutmann, der über die Geschichte der früheren Strumpffabrik im Hinterhaus des Gebäudes spricht.

"Wir sind nun auf der Suche nach einem neuen Ort für unsere Kunsthalle", sagt Felix Schuster, "aber nach einem, an dem wir dauerhaft bleiben können."

Kunsthalle geöffnet: Do bis So, 12 bis18 Uhr, Kontakt: https://kunsthalle-goerlitz.de