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Vom Glück, letzte Wünsche zu erfüllen

Ein Mann will noch einmal mit seiner Frau und seinem Kind an den Berzdorfer See. Ein letzter Wunsch - den Jan Spiegel mit dem Wünschewagen erfüllte.

Von Susanne Sodan
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Jan Spiegel (li.) erfüllte im Oktober am Berzdorfer See einen letzten Wunsch.
Jan Spiegel (li.) erfüllte im Oktober am Berzdorfer See einen letzten Wunsch. © Foto: ASB Görlitz

Jan Spiegel spricht nie von Patienten. Der Wünschewagen ist zwar ein umgebauter Krankentransportwagen. Aber die Menschen, die einsteigen, sind Gäste. "Es ist einfach ein anderes Herangehen. An dem Tag geht es nur darum, dem Gast seinen Wunsch zu erfüllen." Es sind die letzten Wünsche von schwerkranken Menschen.

An seinen ersten Einsatz kann Jan Spiegel sich gut erinnern. Ein Gast aus Dresden wollte mit seiner Frau noch einmal in die Sächsische Schweiz, auf die Basteibrücke. „Die beiden hatten sich dort kennengelernt.“ Der Mann war im Wachkoma, auf einer Palliativstation. „Zuerst dachte ich, er wird vielleicht gar nicht mehr so viel mitbekommen“, erzählt Jan Spiegel. Aber so war es nicht. „Selbst wenn sich unsere Gäste nicht mehr artikulieren können, man sieht es in ihren Augen, am Ausdruck, wenn sie glücklich sind.“

Im Wachkoma auf die Basteibrücke

Spiegel kommt aus Malschwitz und arbeitet am Klinikum Bautzen, ist dort für Transportarbeiten zuständig. Ehrenamtlich engagiert er sich schon lange. Zeitweise lebte der 46-Jährige in München, war dort bei der Freiwilligen Feuerwehr. Heute setzt sich Spiegel beim ASB Bautzen für den Katastrophenschutz ein und beim ASB Görlitz für den Wünschewagen. Den lernte er 2015 bei einem Sanitätshelfer-Lehrgang, zufällig beim ASB, kennen. Zwei Jahre später absolvierte er die erste Einweisung. Von Technik, über Organisation bis Psychologie: Im Wünschewagen fahren Gäste, nicht Patienten – einer der wichtigsten Sätze.

15 Wünschefahrten haben Spiegel und seine Kollegen vom ASB-Regionalverband Zittau-Görlitz bislang durchgeführt, ebenso viele hat er organisiert. Deutschlandweit gibt es 24 Wünschewagen des ASB. Der sächsische Wagen ist in Leipzig stationiert. Für Wünsche aus der Görlitzer Region holen Spiegel oder seine Kollegen ihn dort ab.

Als Erstes steht ein Gespräch mit den Gästen und ihren Angehörigen an, erklärt Jan Spiegel. „Welche Vorstellungen haben sie. Wir prüfen dann zusammen mit der Zentrale in Leipzig, wie der Wunsch umsetzbar ist.“ Ist es finanzierbar – der Wünschewagen wird ausschließlich über Spenden finanziert. Ist es medizinisch möglich? Zum Beispiel wird mit Ärzten besprochen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Ausflug machbar ist. Manchmal fährt auch ein Arzt mit, auf jeden Fall aber ein Rettungsassistent und eine Pflegekraft, meistens ein Angehöriger. „Gerne haben wir auch eine Pflegekraft dabei, die sich im Alltag um den Gast kümmert, ihn also gut kennt.“ Gerade bei Menschen, die sich nicht mehr gut artikulieren können.

Ein endgültiger Abschied. Ein letztes Mal. Ein einziges Mal.

Manchmal ist das letzte Mal das einzige Mal. Ein Mann wollte einmal im Leben das Miniatur-Wunderland in Hamburg sehen. Ein letztes gemeinsames Weihnachten, dafür wollte ein Paar gerne einmal das große Weihnachtskonzert des Kreuzchores Dresden im Stadion hören. Als das Paar erfuhr, dass sein Wunsch in Erfüllung geht, schrieben die beiden Jan Spiegel. „Es bedeutet uns unheimlich viel, dieses Konzert einmal live zu erleben und für einige Stunden mal all das Schwere in unserem Leben zu vergessen. Und es zieht auch in unsere Herzen etwas von der Weihnachtsfreude ein.“

Die jüngste Fahrt führte im Oktober zum Berzdorfer See. Einmal noch wollte ein junger Mann mit seiner Frau am Strand verweilen, wo sie sich kennenlernten. Seinem Kind zuschauen, das auf dem Spielplatz spielen wollte. Der Mann war durch einen Stromschlag vor rund drei Jahren verletzt worden. Mit schweren neurologischen Folgen. „Er lebt zu Hause, braucht aber eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung.“ Aufgrund seines Zustandes waren Ausflüge auch in die nähere Umgebung seit dem Unfall nicht mehr möglich, erzählt Jan Spiegel. Der Ausflug zum See, er sollte auch die Möglichkeit sein, Freunde und Familie noch einmal zu sehen. „Wegen der Corona-Pandemie mussten wir diesen Teil leider etwas herunterschrauben. Aber es war ein wunderschöner Tag.“ Eine Stunde am See war geplant. Es wurden vier daraus. Es gibt einen Zeitplan. Aber manchmal ist er eben nicht einzuhalten. Der Tod hält sich ja auch an keinen Plan.

"Das Glück überwiegt meistens"

Ein endgültiger Abschied. Ein letztes Mal. Ein einziges Mal. Jan Spiegel sieht das anders. Er sieht die Freude. „In den meisten Fällen ist klar, dass es tatsächlich das letzte ganz besondere Ereignis sein wird“, erzählt er. „Meistens ist das auch unseren Gästen bewusst. Aber ich habe es bisher immer so erlebt, dass das Glück überwiegt.“ Einmal gehörte eine Hotelübernachtung zum Plan. Direkt am Hotel konnte der Wagen aber nicht parken, Spiegel wollte den Mann in seinem Rollstuhl zum Eingang fahren. „Aber er sagte, es gehe ihm so gut, er wolle laufen. Zurück mussten wir ihn dann zwar tragen.“ Aber solange er mit den Gästen unterwegs ist, versuche er nicht an die Krankheit, das Schicksal dahinter zu denken.

Wenn die Gäste wollen, werden Fotos gemacht. So für den Mann auf der Basteibrücke, die erste Wünschefahrt. „Ich habe später erfahren, dass er und seine Frau noch wochenlang von den Bildern gezehrt haben.“ Ihn und Rollstuhl auf die Basteibrücke zu bringen, war eine Herausforderung. Aber es klappte. „Viele wissen inzwischen, worum es beim Wünschewagen geht.“ Und viele seien bereit, zu helfen. Auch seine Kollegen im Klinikum. Jan Spiegel versucht sich die Fahrten einzurichten, wenn er freihat. Manchmal muss er Urlaub nehmen. „Aber meist ist es kein Problem, mit den Kollegen den Dienst zu tauschen. Da ist die Unterstützung sehr groß.“

Es ist egal, wie spät es ist. Wenn Jan Spiegel nach Wünschefahrten nach Hause kommt, setzt er sich immer erst noch mal hin, denkt an den Tag zurück. „Da kommt schon der Gedanke, das kann jeden betreffen, auch einen selbst.“ In der Malschwitzer Kirche zündet Jan Spiegel manchmal eine Kerze an. Wenn er erfährt, dass seine Gäste ihren letzten Weg gegangen sind, der letzte Wunsch erfüllt.