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Wie drei Görlitzer ihren Kampfsportverein trotz aller Hürden am Leben halten

Massiver Wegzug, weniger Ehrenamtliche, Corona-Nachwehen: Der Kampfsportverein Görlitz hat das alles mitgemacht. Aufgeben wollen ihn drei Görlitzer dennoch nicht.

Von Susanne Sodan
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Hatte oft zu kämpfen: der Kampfsportverein Görlitz in der Turnhalle des BSZ.
Hatte oft zu kämpfen: der Kampfsportverein Görlitz in der Turnhalle des BSZ. © Martin Schneider

Taekwondo-Trainer Dimitar Stoykow hält ein Schlagkissen vor sich. Mit einem raschen, harten Kick tritt Elena dagegen. "Ha!", schallt es durch die Halle, zeitgleich mit einem lauten Knall. Die Kicks, eine der ersten Übungen dieser Trainingsstunde beim Kampfsportverein Görlitz, der zweimal pro Woche in der Turnhalle im alten Teil des Berufsschulzentrums Görlitz zusammenkommt.

Elena, die Tochter von Dimitar Stoykow, hat offenkundig schon eine Menge Können. So präzise und hart mancher Tritt wirkt, "die Leute sind extrem nett", sagt Heidi. Die 15-Jährige ist ein ganz neues Mitglied. Schon ein paar Jahre, erzählt sie, habe sie nach einem Kampfsportverein Ausschau gehalten. Dann spielte der Zufall mit. Auf den Kampfsportverein Görlitz wurde sie bei der "Görlitzer Vielfalt" aufmerksam.

Der Front-Kick von Elena Stoykow saß.
Der Front-Kick von Elena Stoykow saß. © Martin Schneider

Die "Görlitzer Vielfalt", ein Zwischending von Familienfest und Demo, fand am Tag vor der Landtagswahl auf dem Obermarkt statt, organisiert von der Initiative "Görlitz bleibt bunt". Bands spielten auf der Bühne, verschiedene Vereine präsentierten sich. Eine letzte Gelegenheit vor der Wahl, in Görlitz Gesicht zu zeigen gegen den Rechtsruck in der Region.

Den Kampfsportverein Görlitz leitet seit rund drei Jahren Johannes Schmidt. Tatsächlich, erzählt er, habe er zweimal überlegt, ob er und der Verein teilnehmen sollten. Gesicht zeigen war bei der "Görlitzer Vielfalt" keine Plattitüde, und zur Zielscheibe für die rechtsextreme Szene wollen selbst Taekwondo-Sportler nicht werden.

Schmidt entschied sich aber doch für die Teilnahme. Schließlich sei der Verein vielfältig, es trainieren Kinder aus Deutschland, Syrien und der Ukraine zusammen. Außerdem, erzählt Schmidt, wollte er auch ein kleines Zeichen gegen die Vereinnahmung von Kampfsportvereinen durch die rechte Szene setzen.

Johannes Schmidt (Mitte) und Dimitar Stoykow (re.) leiten den Kampfsportverein Görlitz.
Johannes Schmidt (Mitte) und Dimitar Stoykow (re.) leiten den Kampfsportverein Görlitz. © Martin Schneider

Musik und Kampfsport - seit jeher zwei bedeutsame, identitätsstiftende Dinge im Rechtsextremismus. "Dabei geht es bei uns vor allem darum, bei Kindern und Jugendlichen den Spaß an Bewegung, am Sport zu wecken", sagt Schmidt.

Nicht nur Heidi, auch ein zweites Mädchen, Marta, wurde bei der "Görlitzer Vielfalt" auf den Verein aufmerksam. Auch auf diesen Effekt hatte Schmidt ein bisschen gehofft, "wir wollen sehr gerne wieder ein bisschen wachsen". Ungefähr zwölf Kinder und Jugendliche trainieren Taekwondo in Görlitz. Außerdem gibt es eine Erwachsenengruppe - die Schmidt ob der Zahlen noch mehr Sorgen macht. Das war nicht immer so. Der Kampfsportverein Görlitz ist 30 Jahre alt und hatte einst mehrere hundert Mitglieder.

Warum das heute nicht mehr so ist, dafür gibt es viele Gründe. Und trotzdem halten Johannes Schmidt, Dimitar und sein Bruder Nikolay Stoykow den Verein seit Jahrzehnten am Leben. Nikolay Stoykow ist fast von Beginn an dabei: 1994 wurde der Verein gegründet - und wuchs. Bis zu 400 Mitglieder hatte er in der Spitze. "Das hatte aber auch damit zu tun, dass der Verein damals mehr Sparten angeboten hatte", zum Beispiel auch Aerobic, erzählt Nikolay Stoykow. Halbe Schulkassen und auch Erwachsene waren damals Mitglied in den verschiedenen Sparten. Doch zunehmend zogen in den 1990er und 2000er Jahren viele Familien fort aus der Oberlausitz.

Auch Dimitar Stoykow, Lehrer, war nach seinem Studium zunächst für die Arbeit nach Stuttgart gegangen. Mitte der 2000er Jahre kehrte er nach Görlitz zurück. Etwa zu der Zeit, als der Verein auf der Kippe stand, erzählen die Brüder Stoykow. Der damalige Vorstand konnte nicht weitermachen, wohl auch wegen Wegzügen. Nikolay Stoykow war bis dahin "einfaches Mitglied" gewesen, Dimitar Stoykow gerade erst zurückgekehrt. Doch sie übernahmen den Vorstand, "einfach, weil wir nicht wollten, dass der Verein stirbt", sagt Dimitar Stoykow.

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Seit rund zwei Jahren ist der Wegzug aus Görlitz gestoppt, oder besser: Das Wegzug-Zuzug-Verhältnis ist relativ ausgeglichen. Dennoch verliert der Kreis Einwohner durch Geburtenrückgang. Und gerade Jugendliche, sagt Johannes Schmidt, verlassen für Ausbildung oder Studium auch heute oft Görlitz, fallen damit nicht nur als Mitglieder weg, sondern auch als potenzielle Trainer. Nun kann man es jungen Menschen schwerlich verübeln, über den Tellerrand der Oberlausitz blicken zu wollen. Schmidt sieht aber noch ein anderes, bundesweites Problem: Ob Verein, Kirche oder andere Organisationen - die Zahl der ehrenamtlich Engagierten ist in den zurückliegenden Jahren gesunken, laut einer Allensbach-Analyse alleine in den Corona-Jahren 2020 bis 2022 um 8,2 Prozent.

Johannes Schmidt, Dimitar und Nikolay Stoykow wissen selbst, wie schwer ehrenamtliches Engagement sein kann. Sie alle haben Familie, sie alle sind berufstätig, Nikolay Stoykow ist mit seinem Bildungsinstitut Görlitz selbstständig tätig. Alle drei sagen selbst: Eigentlich müssten sie viel mehr Werbung machen für den Kampfsportverein. Schaukastenaushänge oder Instagram - Ideen gibt es viele, aber dann fehlt doch immer wieder die Zeit. Es hatte aber nicht nur damit zu tun, dass Nikolay Stoykow den Vereinsvorsitz aufgab: Corona sorgte auch im Verein für Auseinandersetzungen. Manche erwachsenen Mitglieder kamen mit seinen Corona-Maßnahmen nicht zurecht, ein paar verließen gar den Verein.

Johannes Schmidt kennt die Brüder Stoykow seit Jahrzehnten. In den Kampfsportverein kam er aber erst vor etwa drei Jahren - durch seinen Sohn, der Taekwondo lernen wollte. Er erklärte sich schließlich bereit, den Vorsitz zu übernehmen. Vor allem für ihre Kinder, sagen die Drei, wollen sie weitermachen. Auch wenn es nach Corona nicht leichter wurde. "Die Corona-Krise hat uns ein bisschen den Rest gegeben", sagt Nikolay Stoykow. Laut einer Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BIB) sind die Folgen der Corona-Jahre für die mentale Gesundheit und die körperliche Aktivität von Kindern und Jugendlichen teils bis heute spürbar. Zum Beispiel bewegten sich Kinder und Jugendliche während der Corona-Pandemie im Schnitt 48 Minuten weniger am Tag als zuvor - die Werte hätten sich bis heute nicht ganz erholt.

Und das, sagt Johannes Schmidt, sei auch in den Sportvereinen spürbar. "Man merkt einfach, dass es den Kindern heute schwerer fällt, sich darauf einzulassen, regelmäßig zwei Stunden in der Woche das Handy beiseite zu lassen und aktiv zu werden." Einen Vorwurf will er den Jugendlichen keinesfalls machen. Sondern auch deshalb wollen Schmidt und die Brüder Stoykow ihr Dojo weiter offen halten: um einen leichten Weg zu bieten zum Sport, zu einer Gruppe, vielleicht zu neuen Freunden. Heidi und Marta jedenfalls haben sich vorige Woche als Mitglieder angemeldet.