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Diese Schulabschlüsse haben die Menschen im Kreis Görlitz

Menschen auf dem Land sind nicht dümmer als in der Stadt. Trotzdem hat im Kreis Görlitz nur knapp jeder Vierte Abitur. Die Gründe reichen weit zurück.

Von Susanne Sodan
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Weniger Bevölkerung, weniger Schulen - längere Fahrwege für Schüler. Das ist ein Grund, warum viele Eltern ihre Kinder lieber an eine Oberschule schicken.
Weniger Bevölkerung, weniger Schulen - längere Fahrwege für Schüler. Das ist ein Grund, warum viele Eltern ihre Kinder lieber an eine Oberschule schicken. © Symbolbild: dpa-Zentralbild

Der Sommer ist endgültig vorbei, die ersten Wochen des neuen Schuljahres sind geschafft. Für die rund 2.200 Viertklässler im Kreis Görlitz ist dieses das letzte Schuljahr an einer Grundschule. Soll es danach an ein Gymnasium oder eine Oberschule gehen - diese Entscheidung fällt den Kindern und Eltern oft schwer. Das Kind hat gute Noten - aber das nächste Gymnasium würde lange Busfahrten bedeuten? Und welche weiterführende Schule werden die Freunde besuchen? Fest steht, in den vergangenen Jahren entschieden die meisten Eltern im Kreis Görlitz für eine Oberschule. Warum das so ist und wie der Bildungsstand im Kreis Görlitz aussieht.

Welche Schulabschlüsse haben die Menschen im Kreis?

Laut Mikrozensus 2022, eine bundesweite groß angelegte Umfrage, haben im Kreis Görlitz 22,9 Prozent der erwachsenen Einwohner Abitur oder Fachabitur. 54,5 Prozent haben einen Realschulabschluss, 17,8 Prozent einen Hauptschulabschluss und 4,8 Prozent keinen Abschluss. Die Abschlüsse der Erweiterten und der Polytechnischen Oberschule sowie der Volksschule zu DDR-Zeiten sind eingerechnet.

Wie steht der Kreis Görlitz im bundesweiten Vergleich da?

Bundesweit haben 24,2 Prozent der nicht mehr schulpflichtigen Menschen einen Hauptschulabschluss, 30,6 Prozent einen Realschul- oder vergleichbaren mittleren Abschluss und 36,5 Prozent Abitur oder Fachabitur. Die höchste Abi-Quote in Sachsen ergibt sich in Dresden mit 47 Prozent, am niedrigsten ist sie im Erzgebirgskreis mit 20,5 Prozent. Dafür haben dort aber fast 58 Prozent einen Realschulabschluss und der Anteil der Menschen ohne Schulabschluss ist mit nur 3,8 Prozent sehr gering. Deutlich wird: In den ländlich geprägten Regionen haben mehr Menschen einen Real- oder Hauptschulabschluss, in den Städten ist der Abi-Anteil höher.

Wie ist die Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren?

Bundesweit sind die Zahl als auch der Anteil der Bevölkerung mit Abitur deutlich gestiegen. Nicht so stark, aber ebenfalls gestiegen ist der Anteil der Menschen mit einem mittleren Abschluss, gesunken dagegen die Zahl der Hauptschulabschlüsse. Ebenfalls gestiegen ist allerdings die Zahl der Menschen ohne einen Schulabschluss.

Machen auch im Kreis Görlitz mehr Schüler Abi?

Nein. Laut Daten des Statistischen Landesamtes Sachsen und der des Landeschulamtes (Lasub) ist im Kreis Görlitz die Zahl der Schulabsolventen seit Mitte der 90er Jahre insgesamt deutlich gesunken - nach der politischen Wende haben zahlreiche Familien und auch viele junge Frauen Ostsachsen verlassen. Gab es 1993/94 noch über 51.600 Schüler im Kreis Görlitz, waren es voriges Schuljahr über 24.500. Die Stadt Görlitz machte immer eine Ausnahme, hier steigen die Schülerzahlen seit 2010/11 langsam wieder an.

Das Verhältnis von Oberschülern und Gymnasiasten ist dabei in den vergangenen 30 Jahren kreisweit weitgehend gleich geblieben: Heute verlassen 57 Prozent der Schülerinnen und Schüler im Kreis die Schule mit Realabschluss, minimal mehr als damals, und rund 24 Prozent mit Abi, minimal weniger als damals. Etwas gestiegen ist in die Zahl der Hauptschulabsolventen. Warum, ist aus den Daten schwer zu ermitteln, es könnte mit mehr Abschlüssen an den Förderschulen zu tun haben.

Was ist dran am Vorwurf einer "Überakademisierung"?

Besonders das Handwerk klagt seit Jahren über Personalmangel, auch, weil es zu wenige Auszubildende gebe. Immer wieder kam auch der Vorwurf einer "Überakademisierung" auf, Jugendliche würden zunehmend lieber Abi machen und studieren. Im Kreis Görlitz trifft das offenbar nicht zu. Bundesweit ist der Anteil junger Menschen mit Abitur aber tatsächlich gestiegen, jedoch hat eine von der Berthelsmann-Stiftung beauftragte Studie vor zwei Jahren auch ergeben, dass Abiturienten zunehmend statt eines Studiums eine Ausbildung aufnehmen - allerdings nicht im Handwerk.

Welche Gründe gibt es für die geringe Abi-Quote im Kreis?

Dass Menschen auf dem Land weniger schlau sind als in der Stadt, ist kaum anzunehmen. Einen Grund für die höhere Realschulabschluss-Quote im ländlichen Raum sieht Clemens Arndt, Sprecher des Landesschulamtes, in den oft längeren Fahrtzeiten zum nächstgelegenen Gymnasium. Im Kreis Görlitz gibt es 22 staatliche Oberschulen - sieben Gymnasien. Und: "Eltern entscheiden oftmals aufgrund eigener Bildungserfahrung", erklärt er, "das heißt, es könnte durchaus sein, dass Eltern, welche keinen akademischen Abschluss besitzen die Entscheidung zugunsten der Oberschule treffen." Mit dem Hintergedanken, dass man als Eltern dem Kind vielleicht auch besser helfen kann. Die Bildungsempfehlung in der vierten Klasse habe seit 2017 übrigens keinen verbindlichen Charakter mehr. Tatsächlich mache sich das bei der Schülerzahl an den Gymnasien bemerkbar - die langsam ansteige.

Hängt der Bildungsstand also vom Wohnort ab?

Zu einem gewissen Teil, ja. Vor allem zwischen Städten und ländlichen Regionen zeigen sich deutliche Unterschiede im Bildungsstand. Das ist nicht nur in Sachsen zu beobachten, sondern etwa auch in Bayern. Gegenüber "Zeit online" hatte Kai Maaz vom Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation erklärt: In den Metropolen gibt es mindestens eine, oft mehrere Hochschulen, die junge Menschen mit Abitur anziehen. Nicht selten bleiben Studierende nach ihrem Abschluss auch in der Stadt, in der sie studierten. Und: In Großstädten haben meist große Unternehmen ihren Sitz, die hoch qualifiziertes Personal suchen. Andersherum: In Regionen, die beispielsweise mehr von Handwerk, mittelständischen Betrieben, Landwirtschaft geprägt sind, habe man auch mit einem mittleren Schulabschluss gute Chancen auf eine Ausbildung.

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Ähnliche Faktoren nannte bereits vor einigen Jahren der Soziologe Raj Kollmorgen, Professor an der Hochschule Zittau/Görlitz: Als einen Grund für den niedrigeren Abiturienten-Anteil in der Bevölkerung Ostsachsens nannte er die Abwanderung in den 1990er und 2000er Jahren, bei der auch viele akademisch geprägte Familien wegzogen, um andernorts Arbeit zu finden. Punkt zwei sei die Wirtschafts- und Sozialstruktur. Auch der Kreis Görlitz hat eine Hochschule, mehrere Forschungseinrichtungen haben sich angesiedelt, mit dem Deutschen Zentrum für Astrophysik entsteht ein Großforschungszentrum. Blickt aber man zurück, gab es östlich von Dresden keine großen Bildungsträger wie Universitäten. Und die Wirtschaft ist eher mittelständisch geprägt. Auch dafür brauche es Akademiker, aber ihre Schicht sei weniger stark ausgeprägt wie in Regionen mit mehr wirtschaftlicher Forschung und Entwicklung, erklärte Kollmorgen. Das übertrage sich auf nachkommende Generationen: „Wir tendieren dazu, unsere Kinder auf eine ähnliche Schullaufbahn zu schicken, wie wir sie selbst genommen haben.“ Mit Intelligenz habe das nichts zu tun, sagte auch er, sondern mit Erfahrungswerten.