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Bildung hinter dem Durchgang

Vor 125 Jahren entstand die Görlitzer Fischmarktschule. Das Gebäude ist markant, der Baugrund eher unbekannt.

Von Ralph Schermann
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Der Bau für den vor 125 Jahren eingeweihten Gebäudekomplex am Fischmarkt begann 1896 nach dem Abriss vorher dort stehender Häuser.
Der Bau für den vor 125 Jahren eingeweihten Gebäudekomplex am Fischmarkt begann 1896 nach dem Abriss vorher dort stehender Häuser. © Repros: Sammlung Ralph Schermann (Foto Robert Scholz)

Regierungsbaumeister Paul Schröder entwarf 1896 einen Häuserkomplex in der damals noch wenig verbreiteten Backsteinbauweise in Görlitz. Er entstand auf einem bis dahin düsteren Gelände. Dort nämlich befanden sich im 16. Jahrhundert die Scharfrichterei und das Stockhaus. Das waren jene Gebäude, von denen aus man Gefangene auf kurzem Wege durch die Schwarze Gasse in den Gerichtssaal des Rathauses brachte.

Genau an diesem Ort, heute als Fischmarkt bekannt, baute Paul Schröder nach Abriss früherer Häuser die katholische Gemeindeschule Nummer 6. Eingeweiht am 1. Oktober des Jahres 1897 lernten in ihr dort über tausend Mädchen und Jungen. Es wechselten die Zeiten, die Bildungsformen, die Schulnamen – der Standort Fischmarktschule indes kann jetzt das 125. Jubiläum feiern.

Der Anlass für diese Schule ist jedoch noch älter. Anfang des 19. Jahrhunderts gab es rund 12.000 Einwohner in Görlitz, und trotz der seit der Reformation bestimmenden evangelischen Glaubensausrichtung gab es noch ein paar hundert Katholiken. Nach den damaligen Bildungsregeln waren alle Schulen aber noch konfessionell gebunden. Also besuchten katholische Kinder evangelische Schulen, mussten in den letzten Schuljahren aber nach Jauernick, um in der dortigen katholischen Einrichtung auf ihre Kommunion vorbereitet zu werden.

Für die Einladungen zur 100-Jahr-Feier 1997 wurde diese stimmungsvolle Ansicht vom Durchgang aus gezeichnet.
Für die Einladungen zur 100-Jahr-Feier 1997 wurde diese stimmungsvolle Ansicht vom Durchgang aus gezeichnet. © Repros: Sammlung Ralph Schermann (Foto Robert Scholz)

Um das zu vereinfachen, entstand 1829 mit einem Lehrer und 25 Schülern eine einklassige katholische Schule auf der Krischelstraße 1 und 2. 1835 folgte die Widmung zur öffentlichen katholischen Schule, die Gebäude wechselten, die Schülerzahl stieg auf 140, so dass 1857 eine zweite Klasse geschaffen wurde. Diese erhielt ein Zimmer auf dem Fischmarkt 10. Als die Schülerzahl die 200 überschritt, wechselte die Schule auf das Handwerk 18, wo ein drittes Klassenzimmer möglich war. 1862 übernahm die Stadtverwaltung die Einrichtung unter dem Namen „Katholische Volksschule“ und erweiterte sie auf vier Klassen, 1880 schließlich auf sechs.

1876 bekamen alle Görlitzer Schulen Nummern, und die katholische Lehranstalt hieß nun „VI. katholische Gemeindeschule“. 1896 wurde dann an allen Görlitzer Gemeindeschulen ein siebenklassiges Schulsystem wirksam. Damit war das katholische Schulhaus überfordert, ein Neubau musste her. Der Stadtrat fasste den Beschluss, dafür die alten Häuser Fischmarkt 11 bis 15 abzureißen. Die Grundmauern wurden bereits mit Dynamit gesprengt, und der Neubau verschlang insgesamt 380.000 Mark. Die Bauausführung oblag der Görlitzer Maurer- und Zimmererfirma Adalbert Rothenburger.

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Es wurde Rothenburgers bedeutendster Bau, und er schuf überdies mit dem Durchgang auch noch eine gassenähnliche Anbindung der Elisabethstraße, die zum Fischmarkt durch einen prächtigen vier-jochigen Gebäudeflur verläuft. Im Hof hinter der Schule fanden dann auch noch eine Turnhalle sowie die städtische Freibankstelle ihre Plätze. Das vierstöckige Schulhaus mit seinen anfangs 22 Klassenzimmern und zahlreichen Nebenräumen selbst misst 52 Meter am Fischmarkt und ist 17 Meter tief. Da diese Schule von vornherein für alle Kinder konzipiert wurde, bekam sie auch einen Mädchen- und einen Knaben-Eingang. Der Keller wurde neben der Niederdruckdampfheizung schon 1897 mit einem Baderaum ausgestattet.

Die erste markante Änderung erfolgte am 1. Oktober 1903. Da wurde das Objekt geteilt in eine VI. Gemeindeschule für Knaben und eine VII. Gemeindeschule für Mädchen. 1906 wurde die achtklassige Schulpflicht eingeführt, bei den Mädchen reichte der Platz nicht aus, so dass einige Klassen auf den Fischmarkt 6 auswichen (heutige Musikschule). Erste Elternaktive und -beiräte waren übrigens keine DDR-Erfindung, sie sind für die Fischmarktschulen bereits ab 1924 nachgewiesen. Als fortschrittlich vermerkt die Schulchronik auch, dass hier im Herzen Görlitzer Schulen ab 1925 wöchentlich ein hausaufgabenfreier Tag gewährt wurde.

Über viele Jahrzehnte tummelten sich die Schüler vor und nach dem Unterricht auf dem Fischmarktgelände gegenüber der Schule, hier ein Bild von 1968.
Über viele Jahrzehnte tummelten sich die Schüler vor und nach dem Unterricht auf dem Fischmarktgelände gegenüber der Schule, hier ein Bild von 1968. © Foto: Rainer Kitte

Eine 1937 eingeführte Regel allerdings, für das Abstellen von Fahrrädern 20 Pfennig pro Jahr in die Schulkasse zahlen zu müssen, wurde schnell wieder aufgegeben. Ab 1942 nutzte die Wehrmacht die Fischmarktschulen als Lazarett, die Schüler mussten sich mit in die Räume von Jahn- und Nikolaischule quetschen. Im November 1945 konnte dann der Schulbetrieb wieder aufgenommen werden.

1948 kam die nächste umfassende Schuländerung: Im Juni zog die nun Grundschule heißende Nummer 7 auf die Elisabethstraße 13 um. Dadurch standen der am Fischmarkt verbliebenen Grundschule 6 wieder mehr Räume zur Verfügung. Außer am 25. und 26. Juni 1948, da diente diese Schule als Görlitzer Geldumtauschstelle bei der damaligen Währungsänderung. Und im Sommer 1948 blieben Klassenzimmer leerer. Nicht, weil man den gerade erst neu eingeführten Russisch-Unterricht nicht mochte oder weil die Prügelstrafe erst 1951 abgeschafft wurde, sondern weil viele Schüler unentschuldigt fehlten – sie mussten Ähren lesen, Blaubeeren stoppeln und weitere Aufgaben der Nahrungsbeschaffung in jener kargen Zeit erledigen. Damals gab es an dieser Schule 29 Klassen, 28 Lehrer und 1.180 Schulkinder. 1959 wurde das Haus zur 6. Polytechnischen Oberschule (POS) Görlitz, also Unterricht von Klasse eins bis zehn.

Im Wendejahr 1989/90 waren es noch 269 Schüler, die von 37 Lehrerinnen und Lehrern betreut wurden. Aus der 6. POS wurde die Mittelschule 1 (Klassen 5 bis 10), aus der 7. POS (Elisabethstraße) die Mittelschule 2. Mit der bislang letzten Strukturänderung wurde das Objekt Elisabethstraße 13 zur Görlitzer Oberschule Innenstadt und das Schulhaus Fischmarkt 11/12 zur Grundschule Innenstadt, in der heute rund 250 Kinder aus bis zu 15 Nationen unterrichtet werden.