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Görlitz

Wohin nach dem Knast: Görlitzer Verein hat eine Antwort - mitten im Dorf

Für ehemalige Strafgefangene macht sich ein Görlitzer Verein stark. Mitten im Dorf bietet er ein betreutes Wohnprojekt an. Das ist nur der Anfang.

Von Constanze Junghanß
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Martin Kubasch gehört zum Mitarbeiterteam in Friedersdorf. Aktuell werden sechs ehemalige Gefängnisinsassen auf den Weg in ein geregeltes Leben vorbereitet.
Martin Kubasch gehört zum Mitarbeiterteam in Friedersdorf. Aktuell werden sechs ehemalige Gefängnisinsassen auf den Weg in ein geregeltes Leben vorbereitet. © Constanze Junghanß

In Friedersdorf gibt es seit diesem Jahr eine Wohnmöglichkeit für Menschen, die aus dem Gefängnis entlassen worden sind. Die befindet sich in einer ehemaligen Pension. Der Verein für Straffälligenhilfe Görlitz e.V. betreute das Wohnprojekt. Damit ist der bisherige Standort aus Ober Neundorf in den Markersdorfer Ortsteil umgezogen. Seit 1991 unterstützt der Verein straffällig gewordene Menschen darin, künftig ein straffreies und eigenverantwortliches Leben zu führen.

Einer von ihnen ist Malte*. Das ist nicht sein richtiger Name, der junge Mann spricht offen, möchte aber anonym bleiben. Schönreden will Malte sein Strafregister nicht. In der Jugend habe er viel Mist gebaut, wie er sagt. Er berichtet von Diebstahl und Erpressung. Zuletzt konnte er eine Geldstrafe nicht zahlen, landete etwa sechs Monate im Gefängnis in Görlitz. Dort bekam er den Kontakt zum Verein, erfuhr von dem Projekt und beschloss, sich nach seiner Haftentlassung statt drohender Wohnungslosigkeit, den Neustart mit Unterstützung des Vereins zu machen.

Malte wird sein Leben umkrempeln, die Vergangenheit hinter sich lassen. Er sucht dringend Arbeit, um in Zukunft seinen Lebensunterhalt zu regeln und selbst zu bestreiten. „Am liebsten auf dem Bau, Richtung Dachdecker“, berichtet Malte von seinem größten Ziel. Er bedauert, dass das bisher trotz mehrfacher Bewerbungen noch nicht geklappt hat, hat aber Hoffnung, einen Job zu finden. Malte bewirbt sich weiter. Schließlich werden auf dem Bau und im Handwerk Mitarbeiter gesucht.

Aktuell bezieht der Mann, der aus dem Norden der Republik stammt, Arbeitslosen- und Wohngeld. Das Wohngeld erhält er für die „Übergangslösung“, wie er das Wohnprojekt nennt. Das ist nicht von Dauer. Maximal sechs Monate dürfen die ehemaligen Gefängnisinsassen bleiben. Maltes Einrichtung besteht aus Bett, Schrank und Bad. Eine Holzdecke in der Diele, Laminat auf dem Fußboden. Sieben Zimmer gibt es im Haus, sechs sind aktuell belegt. Zwischen 160 und 200 Euro Kaltmiete zahlen die Bewohner. Wer arbeitssuchend ist, für den zahlt das Amt. Es gibt einen großen Gemeinschaftsraum mit Couch, Fernseher und Sitzecke, eine Gemeinschaftsküche auch, wo an den Schranktüren Zettel mit Regeln für Ordnung und Sauberkeit angebracht sind. Die Küche ist blitzblank geputzt.

Sind keine Mörder und Sexualstraftäter

Es sind „Kurzzeitsträflinge“, die in Friedersdorf vorübergehend ein Dach über den Kopf, einschließlich sozialer Betreuung, bekommen. „Keine Mörder, keine Sexualstraftäter, keine Brandstifter“, sagt Martin Kubasch. Er ist einer von zwei Sozialarbeitern, die gemeinsam mit drei Sozialbetreuern schnell rund um die Uhr die Betreuung der Bewohner sicherstellen und auch Ansprechpartner für das Umfeld sein wollen. Der Verein stellte kürzlich seine Arbeit im Ortschaftsrat vor, viele Friedersdorfer kamen, um zu hören, was die Straffälligenhilfe macht. Es geht um Resozialisierung, „um wieder ins Leben zu finden, eine Struktur zu bekommen“, wie Martin Kubasch sagt. Unterstützung bei der Behördenpost, der Arbeits- und Wohnungssuche gehören dazu.

Bislang, so heißt es aus dem Ortschaftsrat, habe es keine Vorkommnisse mit den in der Einrichtung Wohnenden gegeben, wurde bei der Ratssitzung positiv angesprochen. Und wie reagierte die Nachbarschaft? Anfänglich hat es da eine gewisse Skepsis gegeben, räumt Martin Kubasch ein. Mittlerweile sei „das Verhältnis sehr gut“, wie der Sozialarbeiter einschätzte. Es wurden sogar Möbelspenden gegeben. Der Verein hatte außerdem im Vorfeld aufgeklärt, wer in die ehemalige Pension einzieht, verteilte Flyer, um transparent zu informieren.

Für Sachsen weist das Statistikportal „Statista“ im Vorjahr 2.283 Inhaftierte auf. Nicht enthalten sind die Personen in Untersuchungs-, Auslieferungs- und Ordnungshaft und auch nicht diejenigen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten mussten. Laut der Diakonie Deutschland werden jährlich deutschlandweit etwa 56.000 Personen inhaftiert, die eine solche Ersatzfreiheitsstrafe deshalb verbüßen, weil sie Geldstrafen nicht zahlten oder geforderte gemeinnützige Arbeit nicht möglich war.


Martin Kubasch berichtet, dass sich die Bewohner des Hauses an Vorgaben halten müssen. Sauber machen, Arbeitseinsätze, Gesprächsangebote nutzen. Wichtige Regel vor allem: „Kein Alkohol, keine Drogen“, sagt Martin Kubasch. Die Mitarbeiter testen spontan. Wer sich nicht daran hält, muss ohne Wenn und Aber gehen. Das ist auch schon passiert. „Der Vertrag wird in so einem Fall gekündigt“, sagt der Sozialarbeiter. So oder so arbeitet die Einrichtung mit verschiedenen Institutionen eng zusammen. Suchtberatung, Schuldnerberatung, Arbeitsagentur gehören beispielsweise mit dazu. Die ersten Erfolge gibt es. Einer der Bewohner absolvierte gerade eine Ausbildung, ein anderer war bei der Jobsuche erfolgreich. Martin Kubasch spricht von „einer zweiten Chance“, die die Bewohner des Projekts bekommen und nutzen sollen.