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Nach Wespenstich auf der Intensivstation

Allergologe Martin Kaatz aus Chemnitz über die Ursachen zunehmend heftiger Reaktionen, den Sinn von Allergietests und wie man sich schützen kann.

Von Kornelia Noack
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Erst schwirren sie um einen herum, dann naschen sie vom Süßen und dann stechen sie zu.
Erst schwirren sie um einen herum, dann naschen sie vom Süßen und dann stechen sie zu. © dpa

Einigen Menschen sackte der Kreislauf weg, andere verloren sogar das Bewusstsein – im DRK Krankenhaus Chemnitz-Rabenstein mussten in diesem Sommer schon deutlich mehr Patienten nach einem Insektenstich notärztlich versorgt werden als in den Vorjahren. „Jeden Tag haben wir mehrere Notaufnahmen“, sagt Dr. Martin Kaatz, Chefarzt der Hautklinik. „Und wir haben mehr Patienten auf der Intensivstation.“ Der Grund dafür sind heftige allergische Reaktionen auf Insektengift. Das heißt, neben Schwellungen und Juckreiz an der Einstichstelle treten Symptome am gesamten Körper auf. Die SZ sprach darüber mit Martin Kaatz, der Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten sowie Allergologie ist.

Dr. Martin Kaatz ist Chefarzt der Hautklinik am DRK-Krankenhaus Chemnitz-Rabenstein und Facharzt für Allergologie.
Dr. Martin Kaatz ist Chefarzt der Hautklinik am DRK-Krankenhaus Chemnitz-Rabenstein und Facharzt für Allergologie. © DRK Krankenhaus Chemnitz-Rabenst

Herr Dr. Kaatz, welche Insekten haben bei den Patienten zugestochen, die bei Ihnen in der Notaufnahme waren?

Verantwortlich für solche heftigen Reaktionen sind in erster Linie die Deutsche Wespe und die Gemeine Wespe. Ich vermute, dass die Tiere aufgrund der Wetterbedingungen dieses Jahr früher als sonst aktiv waren. Selten waren es Bienen, noch seltener Hummeln oder Hornissen. Es gibt mindestens zehn relevante Stoffe sowohl im Bienen- als auch Wespengift, die eine Allergie auslösen können. Bundesweit reagieren rund drei Prozent der Menschen auf einen Insektenstich allergisch. Aber niemand wird mit solch einer Allergie geboren.

Wie und wann entwickelt sich eine Allergie gegen Insektenstiche?

Es gibt Menschen, die mit einer erhöhten Allergiebereitschaft zur Welt kommen. Das bedeutet, wenn die Eltern allergisch sind und etwa eine Neurodermitis haben, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass der Nachwuchs im Laufe des Lebens auch eine Allergie entwickelt. Erst wenn man dann in Kontakt mit dem Allergen kommt, also häufiger von einem Insekt gestochen wird, kann es zu einer Reaktion kommen.

Was passiert dann im Körper?

Es bilden sich Eiweißstoffe, die sogenannten Immunglobulin E, die sich an verschiedene Zellen binden. Bei einem Stich stoßen diese Zellen bestimmte Botenstoffe aus, die zu Schwellungen oder Juckreiz führen. In schlimmen Fällen ist der gesamte Kreislauf betroffen, der Blutdruck sinkt deutlich ab, der Puls steigt an, und es kann zu einer Verengung der Bronchien kommen. Die mildeste Reaktion ist die Nesselsucht. Hier entwickelt man in der Nähe der Einstichstelle oder auch am ganzen Körper Quaddeln.

Reicht dafür schon ein Stich aus?

Bei sonstigen Unverträglichkeiten kann man eine eindeutige Dosis-Wirkung-Beziehung beobachten, also kleine Dosis – schwache Reaktion, große Dosis – heftige Reaktion. Bei einer allergischen Reaktion ist die Kurve nicht so streng. Für einen schweren Allergiker können bereits kleinste Mengen Insektengift ausreichen.

Wovon hängt es noch ab, wie heftig man auf einen Stich reagiert?

Gefährdet sind vor allem Patienten mit Vorerkrankungen wie Asthma, COPD oder Herzschwäche. Auch Blutdruckmedikamente können eine allergische Reaktion verstärken. Ebenso wie heiße Temperaturen, körperliche Belastung oder der Genuss von Alkohol. Pro Jahr sterben etwa zwölf bis 20 Menschen in Deutschland an einer Insektengiftallergie, wobei die Dunkelziffer hier deutlich höher sein dürfte. Betroffen sind mehr Männer als Frauen. Das hängt auch damit zusammen, dass Männer im Umgang mit ihrer Gesundheit weniger achtsam sind als Frauen.

Kann ich mich einfach testen lassen, um zu wissen, ob ich allergisch bin?

Nein, eine prophetische Testung sollte man nicht durchführen. Sinnvoller ist das nach einer überschießenden Reaktion, am besten drei oder vier Wochen nach dem Stich. Mit einer Blutuntersuchung lässt sich dann das Immunglobulin E bestimmen. Laut Studien findet man bei 25 bis 50 Prozent der Patienten die Antikörper. Wirklich relevant sind sie jedoch nur bei ein bis fünf Prozent. Daher ist es wichtig, gleichzeitig einen Hauttest zu machen. Dabei wird Gift, angefangen mit kleinsten Mengen, oberflächlich in die Haut eingebracht. Im positiven Fall bildet sich dann eine Quaddel.

© dpa-infografik GmbH

Sollte ich nach einem Insektenstich auf jeden Fall zum Arzt gehen?

Nein, wenn es lediglich zu einer lokal begrenzten Schwellung kommt, die später juckt, helfen altbekannte Hausmittel wie Kühlen und eine Zwiebel. Wenn der Körper heftiger reagiert, kann der Arzt ein Antihistaminikum geben, um die Symptome zu stoppen. Allergiker sollten immer ein Notfallset mit Prednisolon und einem Antiallergikum dabei haben, bei schwereren Fällen auch einen Adrenalininjektor. Kommt es zu einem anaphylaktischen Schock, sollte man sofort alles verabreichen.

Lässt sich eine Insektengiftallergiebehandeln und heilen?

Ja, im Rahmen einer Hyposensibilisierung wird der Körper behutsam an den auslösenden Giftstoff gewöhnt. In den ersten zwei, drei Tagen erfolgt die Behandlung stationär mit vielen Spritzen. Am Ende erreicht man eine Dosis, die viel höher ist als die Menge, die bei einem Bienen- oder Wespenstich übertragen wird. Dies wird alle vier bis sechs Wochen wiederholt, in der Regel über drei Jahre. Bei einigen Patienten empfiehlt es sich sogar ein Leben lang.

Haben Sie noch einen Tipp, wie ich mich am besten vor einem Insektenstich schützen kann?

Gerade im Freien sollte man immer gucken, ob irgendwo eine Wespe draufsitzt und Getränke nie offen stehenlassen, sondern abdecken. Am besten ist, Ruhe zu bewahren und nicht zu versuchen, die Tiere anzupusten. Eher kann man vorsichtig einen Wasserzerstäuber einsetzen. Die Insekten denken dann, dass es regnet und verstecken sich. Vorsicht auch vor dem Barfußlaufen. Und natürlich kann sehr bunte Kleidung etwa mit vielen Blumen für Insekten sehr interessant sein. Eins darf aber nicht unerwähnt bleiben: Wespen, Bienen, Hummeln und Hornissen sind in erster Linie sehr nützliche Insekten, die Blüten bestäuben und das ökologische Gleichgewicht in der Natur bewahren.