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Eltern in Sachsen sind deutlich erschöpfter als vor der Corona-Pandemie

Corona hat langjährige Probleme verstärkt. In zwei sächsischen Kurkliniken finden Mütter wie Renate Schmidt Hilfe – zuweilen aber erst nach Widerspruch.

Von Susanne Plecher
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Das AWO-Gesundheitszentrum „Am Spiegelwald“ in Grünhain-Beierfeld ist eine von zwei Einrichtungen für Mutter/-Vater-Kind-Kuren in Sachsen.
Das AWO-Gesundheitszentrum „Am Spiegelwald“ in Grünhain-Beierfeld ist eine von zwei Einrichtungen für Mutter/-Vater-Kind-Kuren in Sachsen. © Georg Dostmann

Grünhain-Beierfeld. Renate Schmidt (Name geändert) hat sich ein Kissen in den Rücken gestopft. Lange zu sitzen tut ihr sichtlich weh. Nach einer schweren Rückenverletzung konnte sie anderthalb Jahre nur im Stehen arbeiten – in den Corona-Lockdowns von daheim aus, mit zwei pubertierenden Söhnen, die wenig Lust auf Homeschooling hatten. Wie so viele andere Mütter und Väter auch hat die Berlinerin ihre Kinder intensiv begleiten müssen, als Schulbesuche verboten waren.

„Das war eine harte Zeit“, sagt sie und blickt aus dem Fenster. Tief verschneit liegt der Park des Gesundheitszentrums „Am Spiegelwald“ im erzgebirgischen Grünhain-Beierfeld. Es ist bereits die vierte Kur, die die Juristin in der AWO-Einrichtung antritt. „2015 war ich zum ersten Mal mit beiden Söhnen hier, jetzt ist nur noch Moritz mitgekommen“, sagt sie.

Welche Mutter/Vater-Kind-Kurkliniken gibt es in Sachsen?

In Grünhain-Beierfeld stehen 32 Plätze für erholungsbedürftige Eltern und 62 für Kinder zur Verfügung. Daneben gibt es in Sachsen nur noch in Jonsdorf eine weitere Mutter/Vater-Kind-Kureinrichtung. In beiden werden die klassischen, vorsorgenden Eltern-Kind-Maßnahmen durchgeführt. Sie gehören zu den mehr als 70 gemeinnützigen Kurkliniken, die unter dem Dach des Müttergenesungswerkes arbeiten.

Darüber hinaus gibt es Reha-Kliniken wie die Median-Familienklinik in Bad Gottleuba, die ausschließlich Eltern-Kind-Rehamaßnahmen bei schwerwiegenden Erkrankungen anbieten. Die Klinik rehabilitiert als einzige im Bundesgebiet die ganze Familie. Das heißt, dass sowohl alle Kinder als auch die Eltern zeitgleich behandelt werden. Wo man seine Kur antritt, kann man mitbestimmen. Die Krankenkassen müssen berechtigte Wünsche berücksichtigen. „Ich wollte eine kleine Einrichtung. Meer war mir nicht wichtig“, sagt Schmidt.

Gesprächstherapien tun Renate Schmidt besonders gut.
Gesprächstherapien tun Renate Schmidt besonders gut. © Georg Dostmann

Wer hat Anspruch auf eine Kur?

Jeder gesetzlich Versicherte, der Kinder erzieht, hat Anspruch auf eine Vorsorgemaßnahme – und zwar alle vier Jahre. Ist die Kur vorzeitig begründet, kann sie auch vor Ablauf dieser Frist genehmigt werden.

„Bei mir war das jetzt problemlos möglich“, sagt Renate Schmidt. Ihre letzte Kur ist erst drei Jahre her, aber die Rückenverletzung, ein Jobwechsel und die kräftezehrende Zeit des Homeschoolings waren Begründung genug. Seit 2007 sind die Vorsorgeleistungen, die gemeinhin als Kur bezeichnet werden, eine Pflichtleistung der Krankenkasse. Voraussetzung ist, dass die medizinische Notwendigkeit ärztlich attestiert wird.

Was sind die häufigsten Gründe für eine stationäre Vorsorge?

Vor ihrer Kur sei sie total erschöpft gewesen und habe keine Kraft mehr für den Alltag gehabt, sagt Renate Schmidt. „Ich habe nur noch funktioniert wie eine Maschine, hatte keine Zeit mehr für mich.“ Als sie am Wochenende nicht mehr aus dem Bett kam, sich bleischwer fühlte und unfähig, den Alltag zu bestehen, beantragte sie ihre Kur.

„Bei einer Eltern-Kind-Kur stehen die Erkrankungen oder Belastungen der Mutter oder des Vaters im Vordergrund“, sagt Claudia Szymula von der Barmer. Eltern sollen sich ausruhen, bewegen, über Probleme sprechen, gesund ernähren und Strategien erlernen, die ihnen helfen, im Alltag wieder besser klarzukommen.

Für viele war das schon vor Corona, Krieg, Energiekrise und Geldsorgen wegen der Inflation schwierig. Doch nun sind die Belastungen noch einmal deutlich gestiegen. So fühlen sich 39 Prozent aller Eltern psychisch belastet, wie die AOK-Familienstudie von 2022 zeigt. 2018 waren es noch 26 Prozent. Eltern trinken mehr Alkohol und rauchen häufiger als früher. Auch das ergab die Studie.

Hauptindikatoren für eine Kur sind entsprechend psychische Belastungen, Erschöpfungssymptome, Kopf- und Rückenschmerzen sowie Ernährungsthemen wie Übergewicht oder Adipositas.

Wie und bei wem ist eine Kur zu beantragen?

Nachdem der Haus- oder Facharzt die Kur verordnet hat, werden die Antragsunterlagen bei der Krankenkasse eingereicht und dort, wenn nötig mithilfe des Medizinischen Dienstes, geprüft. „Das Ergebnis erhalten die Mütter und Väter in der Regel innerhalb von drei Wochen“, sagt Hannelore Strobel von der AOK Plus. Bis die Kurklinik sich mit einem Terminvorschlag an den Antragsteller wendet, können aber, je nach Aktenlage oder Saison, bis zu sechs Monate vergehen. Für Kuren außerhalb der Schulferien sind die Wartezeiten meist kürzer.

„Ich rate allen, sich schon für die Beantragung Hilfe bei einer Beratungsstelle im Müttergenesungswerk bei den Wohlfahrtsverbänden zu holen. Sie wissen, welche Klinik am geeignetsten ist, wo noch Plätze frei sind und was eingehalten werden muss, damit der Antrag Erfolg hat“, sagt Petra Gerstkamp vom Müttergenesungswerk. Manchmal reiche auch eine Erziehungs- oder Schuldnerberatung aus.

Wie viele Kuren werden abgelehnt und welche Gründe gibt es dafür?

Die Ablehnungsquote unterscheidet sich von Kasse zu Kasse. So bewilligte die DAK 15 bis 20 Prozent der Anträge nicht, bei der sächsischen Barmer waren es 16 und bei der IKK classic acht bis elf Prozent. Die AOK Plus, Sachsens mitgliederstärkste Kasse, genehmigte 92 Prozent der Kuranträge. „Ablehnungen kommen meist zustande, weil vor Ablauf der Vierjahresfrist eine neue Maßnahme beantragt wurde“, sagt Hannelore Strobel. In vielen Fällen seien die Unterlagen nicht vollständig oder die Voraussetzungen nicht erfüllt, erklärt Stefan Wandel von der DAK.

Ist es sinnvoll, einen Widerspruch einzulegen?

Es lohnt sich in jedem Fall, sagt Petra Gerstkamp. Rund 60 Prozent derjenigen, deren Antrag abgelehnt wurde, gehen in Widerspruch, drei Viertel davon sind erfolgreich. Mitunter reicht schon ein Schreiben, in dem der Versicherte die Gründe für die Kur aus seiner Sicht darlegt. Renate Schmidt hat das bei zwei ihrer vier Kuren getan. Und war erfolgreich. Es sei empfehlenswert, die Gründe schon immer gleich bei Antragstellung zu erläutern, rät Hannelore Strobel. Doch trotz gestiegener Anträge sei die Zahl der Widersprüche konstant gering, sagt Claudia Szymula von der Barmer.

Werden alle Kosten von den Krankenkassen übernommen?

In der Regel ja, auch für mitreisende Kinder. Erwachsene zahlen den gesetzlichen Eigenanteil von 10 Euro pro Tag. Private Krankenversicherungen tragen die Kosten jedoch nur, wenn der Vertrag sie umfasst.

Gibt es ein Höchstalter für begleitende Kinder?

Eltern müssen nicht zwingend ein Kind mitnehmen, dürfen aber. Die Altersgrenze liegt bei zwölf, in besonderen Fällen, etwa bei Alleinerziehenden, bei 14 Jahren.

Auch Moritz ist 14. Er durfte noch einmal wegen der Coronabelastungen mitfahren. „Ich bin gern hier“, sagt er. Mutter und Sohn genießen die gemeinsame Zeit nach Schule und Therapien, gehen schwimmen, spielen Tischtennis.

Bei Renate Schmidt war schon nach drei Tagen der Blutdruck deutlich gesunken. Nach ihren früheren Kuren war sie kaum krank, Abwehrkräfte und Stressresilienz hatten sich verbessert. „Es ist fantastisch, dass es so etwas gibt. Dass die Eltern hier für den Alltag auftanken können, ist ein Segen“, sagt sie.