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Leben und Stil

Das Kondom hat die Pille überholt

Der Wunsch nach einem natürlichen Körpergefühl bewegte junge Frauen wie Nathalie Hansmann dazu, die Pille abzusetzen. Was ist dran an der Pillen-Gefahr?

Von Sylvia Miskowiec
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Rollentausch: Lieber wieder konventionell.
Rollentausch: Lieber wieder konventionell. © 123rf

Am Anfang vom Ende stand die Freiheit. „Kurz nachdem ich die Pille abgesetzt hatte, habe ich mich sehr leicht gefühlt“, sagt Nathalie Hansmann. Die 22-jährige Dresdnerin heißt anders, doch so persönliche Dinge wie Verhütung möchte sie nicht unter ihrem Klarnamen öffentlich lesen. Obwohl sie bei Weitem nicht allein mit dem ist, was sie getan hat. Laut einer Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) verliert die Pille besonders bei jungen Frauen immer mehr an Beliebtheit.

So ist der Anteil der Unter-23-Jährigen in Deutschland, die sogenannte kombinierte orale Kontrazeptiva verschrieben bekommen, im vergangenen Jahr um vier Prozentpunkte auf einen historischen Tiefstand von 28 Prozent gesunken. Zum Vergleich: 2013 verhüteten noch 43 Prozent der jungen Frauen mit der Pille. Am mangelnden Geld kann es nicht liegen: Die gesetzlichen Krankenkassen tragen die Pillenkosten bis zum vollendeten 22. Lebensjahr ihrer Versicherten. Danach kostet eine Dreimonatspackung je nach Präparat zwischen 20 und 40 Euro.

Zu ähnlichen Ergebnissen wie die AOK Plus kommt auch eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, für die 1.001 sexuell aktive Erwachsene zwischen 18 und 49 Jahren befragt wurden. Mit 53 Prozent gab mehr als die Hälfte der Befragten an, mit Kondomen zu verhüten. Nur 38 Prozent nannten die Pille. Im Jahr 2007 war das Verhältnis noch nahezu umgekehrt: Damals verwendeten 55 Prozent die Pille und nur 36 Prozent Kondome.

Angst vor einer Thrombose

„Ich war 17, als ich die Pille verschrieben bekam“, erinnert sich Nathalie Hansmann. Damals hätten das viele Freundinnen auch gemacht. Hinterfragt wurde wenig. Ihre Gynäkologin habe ihr ein geringdosiertes Präparat verschrieben. „Risiken und Nebenwirkungen hat sie erwähnt, aber gemeint, diese seien sehr selten und die Pille sehr gut verträglich“, sagt Hansmann. Tatsächlich merkte die damals 17-Jährige eher positive Effekte. „Ich bekam etwas mehr Oberweite, hatte eine deutlich schwächere, endlich regelmäßige und schmerzarme Periode sowie bessere Haut.“

Gedanken über ein höheres Thrombose- oder Migränerisiko hatte sich Nathalie Hansmann anfangs nicht gemacht. Bei einer Thrombose bildet sich ein Blutgerinnsel in der Vene, das zur Verengung oder gar zum Gefäßverschluss führen kann. „Symptome sind starke Schmerzen oder Schwellungen sowie ein Spannungs- oder Schweregefühl im Bein“, sagt Eike Eymers, Ärztin im Stab Medizin des AOK-Bundesverbandes. Auch eine bläulich-rote Verfärbung oder ein Glänzen der Haut am Bein könnten auf eine Thrombose hindeuten. Im schlimmsten Fall kann eine Lungenembolie entstehen, wenn sich ein Gerinnselteil löst und in der Lunge steckenbleibt.

Die Pillenart bestimmt das Risiko

Je nach Pillenart liegt das Thrombosenrisiko laut dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zwischen fünf und 15 zu 10.0000. Frauen, die nicht hormonell verhüten und nicht schwanger sind, haben ein Risiko von zwei zu 10.000. Am größten ist die Gefahr einer Thrombose in den ersten sechs Monaten der Pilleneinnahme. Das BfArM empfiehlt besonders Erstverwenderinnen und Frauen unter 30 Jahren Pillen mit Levonorgestrel. Kontrazeptiva mit diesem künstlich hergestellten Gestagen weisen nur ein geringes Risiko für Venen-Blutgerinnsel auf, schützen aber genauso zuverlässig wie alle anderen Pillen vor einer Schwangerschaft.

Die Crux: Gerade Pillen der neuesten Generation, also jene, die in den letzten Jahren neu auf den Markt gekommen sind, bergen ein vergleichsweise hohes Thromboserisiko. Allerdings werden diese in Sachsen seit Jahren immer weniger verschrieben. „Sie machen mit 47,8 Prozent nur noch knapp die Hälfte aus“, sagt AOK-Plus-Sprecherin Hannelore Strobel. 2013 lag der Anteil der risikoreicheren Pillen an den sächsischen Verordnungen noch bei 65,1 Prozent.

Tiktok statt Frauenarzt

Neben der Thrombosegefahr kann die Pillen zudem Stimmungsschwankungen, nachlassende Libido, Zyklusschwankungen, Übelkeit und Brustschmerzen hervorrufen, besonders in den ersten drei Monaten der Einnahme. „Dass eine hormonelle Verhütung Risiken hat, wird gerade in den sozialen Medien immer stärker thematisiert“, so Medizinerin Eymers. So kommt etwa das Stichwort „#Pilleabsetzen“ auf der Kurzvideoplattform Tiktok auf über 90 Millionen Aufrufe. Hauptsächlich Frauen erzählen in kleinen Clips von „lebensverändernden“ Erfahrungen, nachdem sie aufgehört haben, die Pille zu schlucken. Als Alternative wird besonders unter dem Hashtag „natürlichefamilienplanung“ mit 4,3 Millionen Aufrufen die hormonfreie Methoden angepriesen. Besonders beliebt: die Kalender- und Temperaturmethode. Dabei beobachten und notieren Frauen genau ihren Zyklus und messen, vereinfacht gesagt, ihre Körpertemperatur. So lassen sich fruchtbare und unfruchtbare Tage erkennen. Die Pille dagegen geißeln viele Tiktokerinnen als Gift für den Körper, zählen viele Nebenwirkungen auf.

Der Bundesverband der Frauenärzte hält allerdings wenig von diesem „Hormon-Bashing“. „Einzelmeinungen medizinischer Laien spiegeln nicht immer die umfassenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und Errungenschaften wider, eigene Erfahrungen sind oft nicht übertragbar“, heißt es beim Verband. Bei Verhütungsfragen sei es unerlässlich – unabhängig, ob hormonell oder nicht hormonell –, die medizinisch fundierte und objektive Beratung bei einer Gynäkologin oder einem Gynäkologen wahrzunehmen.

Pille abgesetzt - und dann?

„Meine Ärztin war verwundert, als ich sagte, dass ich die Pille absetze“, sagt Nathalie Hansmann. „Doch ich wollte wissen, wie mein Körper wirklich tickt, statt einem externen Taktgeber zu folgen.“ Das erste halbe Jahr „danach“ war jedoch alles andere als schön. „Ich bekam Haarausfall, unreinere Haut und der Zyklus war vollkommen durcheinander. Ich finde es heftig, was da im Körper vorher gewirkt haben muss.“ Nun habe sich vieles eingepegelt. „Ich fühle mich freier, nehme bewusster die monatlichen Veränderungen in mir wahr“, so die 22-Jährige. Das heißt aber auch: mehr zyklusabhängige Launen, stärkere Regel inklusive mehr Schmerzen als vorher. „Ich möchte dennoch keinesfalls mehr hormonell verhüten“, ist sich Hansmann sicher. Also keine Hormonspirale, kein Hormonpflaster, kein Vaginalring. „Der Sicherheit wegen nutze ich Kondome.“ Die wieder beliebteren Gummis sind immerhin das einzige Kontrazeptivum, das zwei Dinge kann: Schwangerschaften verhindern und vor Geschlechtskrankheiten schützen.

Hormonfreie Verhütungsmethoden

Die Zuverlässigkeit eines Verhütungsmittels wird mit dem Pearl-Index angegeben. Er zeigt, wie viele Schwangerschaften trotz des angewandten Kontrazeptivums eingetreten sind.

  • Kondome haben einen Pearl-Index von 2 bis 12. Sie kosten 0,15 bis 1,20 Euro pro Stück (Latex), ab 1,20 Euro gibt es latexfreie.
  • Die Kupferspirale kommt auf einen Pearl-Index von 0,3 bis 0,8. Sie kostet 120 bis 250 Euro inklusive Einlage für fünf bis zehn Jahre Verhütungsschutz. Die richtige Lage muss alle sechs bis zwölf Monate für bis zu 40 Euro beim Gynäkologen überprüft werden.
  • Das Diaphragma hat einen Pearl-Index von 1 bis 20, allerdings nur in Kombination mit einem Verhütungsgel. Es kostet 39,95 bis 59,90 Euro plus Verhütungsgel für 9,60 bis 54,98 Euro.
  • Der Zykluskalender hat einen Pearl-Index von 9. Apps gibt für gratis oder für bis zu drei Euro pro Monat, Thermometer ab 7,95 Euro und Zykluscomputer für 169 Euro bis 545 Euro.
  • Die Temperatur- oder symptothermale Methode hat einen Pearl-Index von 0,8 bis 3, vorausgesetzt, die Messung der Körpertemperatur wird sehr exakt durchgeführt. Thermometer kosten zwischen 9 und 150 Euro.