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Viele junge Frauen in Sachsen wollen keine Pille mehr

Die Skepsis vor hormoneller Verhütung wächst, wie neue Abrechnungsdaten der AOK zeigen. Doch die einfachste hormonfreie Alternative ist nicht bei allen beliebt.

Von Sylvia Miskowiec
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Antibabypillen gehören zu den sehr sicheren Verhütungsmitteln.
Antibabypillen gehören zu den sehr sicheren Verhütungsmitteln. © Annette Riedl/dpa

Vor 63 Jahren wurde sie als „Befreiung der Frau“ gefeiert, heute erfährt sie zunehmend Ablehnung: die Antibabypille. Ganz besonders skeptisch sind junge Frauen geworden. Das zeigt eine Auswertung von Abrechnungsdaten der AOK, bei der fast jeder dritte Deutsche versichert ist. Sie seien repräsentativ. „Während sich 2020 noch mehr als jede Dritte der unter 23-Jährigen die Pille verordnen ließ, war es 2023 nur noch jede Vierte“, sagt Eike Eymers, Ärztin im Stab Medizin des AOK-Bundesverbandes. Noch größer fällt der Unterschied aus, wenn man weiter zurückblickt: Vor zehn Jahren verhüteten noch 43 Prozent der jungen Frauen mit dem oralen Kontrazeptivum.

Am mangelnden Geld kann es nicht liegen: Die gesetzlichen Krankenkassen tragen die Pillenkosten bis zum vollendeten 22. Lebensjahr. Danach kostet eine Dreimonatspackung je nach Präparat zwischen 20 und 40 Euro. Vielmehr ist es vor allem die Skepsis gegenüber den Inhaltsstoffen der Pille, die Frauen von diesem Verhütungsmittel abhält – ein Trend seit Jahren. „Eine ablehnende Haltung gegenüber hormoneller Verhütung nimmt in der gesamten sexuell aktiven Bevölkerung zu“, sagt Johannes Nießen, kommissarischer Leiter der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Laut einer Ende letzten Jahres veröffentlichten Studie der Zentrale stimmten 61 Prozent der Frauen und Männer der Aussage zu, dass Verhütung mit Hormonen „negative Auswirkungen auf Körper und Seele“ hätten. Im Jahr 2018 waren lediglich 48 Prozent dieser Meinung. 15 Prozent der verhütenden Frauen begründen die Wahl ihres Verhütungsmittels mit einer generellen Ablehnung der Pille oder hormoneller Verhütung. Vor zwölf Jahren gab dies lediglich ein Prozent der Frauen an.

Pille ist nicht gleich Pille

Als kombiniertes hormonelles Verhütungsmittel enthält eine Pille zwei Arten von Hormonen: Östrogene und Gestagene. Pille ist aber nicht gleich Pille. Jene mit einer Wirkstoffkombination aus Ethinylestradiol mit den Gestagenen Drospirenon, Desogestrel, Chlormadinonacetat und Gestoden gelten als risikoreicher: Wer sie nimmt, ist bis zu siebenmal mehr gefährdet, eine tiefe Beinvenenthrombosen zu entwickeln. Bei einer Thrombose bildet sich ein Blutgerinnsel in der Vene, das zur Verengung oder gar zum Gefäßverschluss führen kann. „Symptome sind starke Schmerzen oder Schwellungen sowie ein Spannungs- oder Schweregefühl im Bein“, sagt Eike Eymers. Je nach Pillenart bekommen von 10.000 Frauen fünf bis 15 eine Thrombose, so das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Frauen, die nicht hormonell verhüten und nicht schwanger sind, haben ein Risiko von zwei zu 10.000.

Neue Pillen mit höherem Thromboserisiko

Die Krux: Ausgerechnet die in den vergangenen Jahren neu auf den Markt gekommenen Pillen bergen ein vergleichsweise hohes Thromboserisiko. Doch auch hier zeigt der Trend nach unten: In Sachsen bekamen laut AOK-Zahlen 2023 gut 43 Prozent aller Pillen-Einnehmerinnen diese Verhütungsmittel verschrieben. 2013 waren es noch 65 Prozent.„Frauen, die Kombinationspräparate nicht vertragen, können alternativ die Minipille nehmen, die ausschließlich Gestagen enthält und sich damit auch für stillende Mütter eignet“, so Eymers. Allerdings macht diese Pillenart nur drei Prozent aller Verordnungen aus.

An Beliebtheit gewonnen hat dagegen laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Spirale. Mit 18 Prozent verwendeten deutlich mehr junge Erwachsene zwischen 18 und 29 Jahren eine Spirale als 2011. Damals waren es nur drei Prozent. Wie sich diese Zahlen auf die hormonfreie Kupferspirale und die Hormonspirale aufteilen, wurde aber nicht erfragt.

Spirale nicht für alle Frauen geeignet

„Zudem ist eine Spirale nicht für sehr junge Frauen geeignet“, sagt Gynäkologin Cornelia Hösemann, Vorsitzende des Berufsverbands der Frauenärzte in Sachsen. „Sie wird über die Vagina eingesetzt. Wer kaum Geschlechtsverkehr hatte, empfindet das als noch unangenehmer, als es eh schon ist.“ Während bei einer Hormonspirale die Monatsblutung schwächer werde, intensiviere sie sich mit einer Kupferspirale zudem meistens. „Es gibt zwar teurere Gold-Kupfer-Legierungen, bei denen die verstärkte Blutung etwas milder ausfällt, aber viel macht das nicht aus“, so Hösemann. Nicht zuletzt dürften Frauen, die eine Spirale wünschen, nicht unter Veränderungen in der Gebärmutter leiden, etwa an Endometriose oder Myomen.

Eine der einfachsten hormonfreien Alternativen ist das Kondom. Es schützt nicht nur vor Schwangerschaften, sondern gleichzeitig auch vor Geschlechtskrankheiten – allerdings nur, wenn es richtig angewendet werde, warnt Hösemann. „Kondome bestehen aus empfindlichem Material, was schnell durchlässig werden kann, etwa wenn sie zu alt sind oder ein ölhaltiges Gleitmittel benutzt wird.“

Jugendliche benutzen seltener Kondome als früher

Nichtsdestotrotz hat der Gummi laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Pille als Verhütungsmittel Nummer eins bei Erwachsenen von 18 bis 49 Jahren verdrängt. Bei Jugendlichen sieht die Sache anders aus, zeigt ein aktueller Bericht der Weltgesundheitsorganisation WHO. In Deutschland gaben 2022 rund 59 Prozent der 15-jährigen sexuell aktiven Jungen und 58 Prozent der gleichaltrigen Mädchen an, beim letzten Sex ein Kondom verwendet zu haben. 2014 waren es noch 72 Prozent der Jungen und 68 Prozent der Mädchen. Allerdings sind diese Zahlen etwas mit Vorsicht zu genießen: Denn das Durchschnittsalter, in dem Jungen und Mädchen hierzulande zum ersten Mal Sex haben, liegt bei 17 Jahren.

Drei hormonfreie Verhütungsmethoden

  • Die Zuverlässigkeit eines Verhütungsmittels wird mit dem Pearl-Index angegeben. Er zeigt, wie viele Frauen von 100 innerhalb eines Jahres trotz Kontrazeptivum schwanger geworden sind. Bei der Pille liegt der Wert zwischen 0,5 und 0,9.
  • Kondome haben einen Pearl-Index von 2 bis 12. Sie kosten 0,15 bis 1,20 Euro pro Stück (Latex), ab 1,20 Euro gibt es latexfreie.
  • Die Kupferspirale kommt auf einen Pearl-Index von 0,3 bis 0,8. Sie kostet 120 bis 250 Euro inklusive Einlage durch den Arzt für fünf bis zehn Jahre. Die richtige Lage muss alle sechs bis zwölf Monate für bis zu 40 Euro überprüft werden.
  • Das Diaphragma besteht aus einem ovalen oder runden flexiblen Ring, der mit Silikon überspannt ist. Es wird von der Frau vor dem Sex in die Vagina eingeführt und legt sich über den Muttermund. Zusätzlich muss ein Verhütungsgel verwendet werden. Ein Diaphragma hat einen Pearl-Index von 1 bis 20. Es ist zwei Jahre verwendbar und kostet 40 bis 60 Euro plus Verhütungsgel für zehn bis 55 Euro.