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Brauchen Sachsens Pflegeheime neue Schutzkonzepte?

Hohe Infektions- und Sterberaten führten während der Pandemie zu Ausnahmezuständen, wie ein Barmer-Report zeigt. Nun sollen brasilianische Pflegekräfte den Personalmangel lindern.

Von Kornelia Noack
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Viele Heimbetreiber wünschen sich eine Rückkehr zur Normalität, so wie hier im Pflegecampus Plauen, wo sich Susanne Köhler (rechts) und Sina Höllinger um Bewohnerin Thea Tille (95) kümmern.
Viele Heimbetreiber wünschen sich eine Rückkehr zur Normalität, so wie hier im Pflegecampus Plauen, wo sich Susanne Köhler (rechts) und Sina Höllinger um Bewohnerin Thea Tille (95) kümmern. © Ellen Liebner

Für die Pflegekräfte des Pflegecampus’ im vogtländischen Plauen war es die schmerzvollste Zeit während der Corona-Pandemie. Mitten in der vierten Welle, Ende des Jahres 2021, starben in ihrer Einrichtung 16 Menschen in nur 14 Tagen. Ein Bewohner hatte trotz aller Vorsichtsmaßnahmen das Virus von einem Klinikaufenthalt eingeschleppt. Mit dramatischen Folgen. In einer Trauerzeremonie nahmen Bewohner und Beschäftigte kurze Zeit später noch einmal gemeinsam Abschied.

Einzeln wurden alle Namen der verstorbenen Bewohner verlesen, und für jeden wurde symbolisch ein Licht auf der Erde gelöscht und in den Himmel geschickt. "Für uns alle war das sehr bewegend", erinnert sich Sebastian Thieswald, Geschäftsführer der Aspida GmbH, die die Plauener Einrichtung betreibt.

Pflegeheimbewohner besonders häufig infiziert

Während der vierten Welle hatte die Pandemie Sachsens Pflegeheime noch einmal fest im Griff – nachdem der Sommer und Herbst recht sorgenfrei verlaufen waren. Deutlich höher waren die Infektionszahlen nur zwischen Oktober und Dezember 2020, ein Jahr zuvor also. Damals starben sogar nirgendwo so viele pflegebedürftige Menschen in Heimen wie in Sachsen. Das geht aus dem am Dienstag veröffentlichten Barmer-Pflegereport hervor.

Der Höhepunkt war im Dezember 2020 erreicht, als 18 Prozent der Heimbewohner in Sachsen mit Covid-19 infiziert waren. In der übrigen Bevölkerung im Freistaat lag die Erkrankungsrate zu dem Zeitpunkt bei 2,6 Prozent - bundesweit bei acht Prozent.

Meiste Opfer unter schwer Pflegebedürftigen

Besonders hoch waren in Sachsen die Infektions- und Sterberaten der Pflegebedürftigen mit höheren Pflegegraden. Laut Hochrechnungen der Barmer starben im Jahr 2020 rund 57 von 1.000 sächsischen Pflegebedürftigen mit dem Pflegegrad fünf. Der Anteil der Todesopfer mit Pflegegrad vier lag 2020 bei mehr als 30, mit Pflegegrad drei bei rund 12 von 10.000.

"Für viele Menschen hat Corona inzwischen seinen Schrecken verloren. Um die Vorbereitung auf neue Varianten des Virus und weitere Wellen kommen wir aber in Zukunft nicht herum", sagt Fabian Magerl, Landesgeschäftsführer der Barmer. "Im Pflegeheim leben die Schwächsten in unserer Gesellschaft. Daher müssen wir für die Zukunft die richtigen Schlüsse ziehen und Schutzkonzepte mit Augenmaß für weitere und auch andere mögliche Infektionswellen entwickeln", sagt Magerl.

Hygiene schon immer Thema in Pflegeheimen

Wie wichtig ein straffes Hygienemanagement ist, weiß auch Sebastian Thieswald. Nicht erst seit Corona. Schließlich habe man auch zuvor Erfahrungen im Umgang mit multiresistenten Erregern gesammelt. Vor drei Monaten habe es in der Aspida-Einrichtung im thüringischen Thalbürgel einige Covid-Fälle gegeben. Doch obwohl sich viele Bewohner angesteckt hatten, sei niemand gestorben.

Positiv getestete Bewohner seien auf ihren Zimmern versorgt worden. Angehörige hätten sie mit Maske, Abstand und Negativtest besuchen können. "Kontakt zur Familie ist für den Gesundheitszustand unserer Bewohner immens wichtig", sagt Thieswald. "Die Verläufe waren deutlich milder. Ich gehe davon aus, dass das auch an einer gewissen Grundimmunität liegt", so der Geschäftsführer.

Zeit für Rückkehr zur Normalität?

Braucht es also wirklich neue Schutzkonzepte für Pflegeheime? "Inzwischen ist Corona für uns ein beherrschbares Thema, dessen Bewältigung man uns ohne weiteres und ohne externe Einwirkung zutrauen kann", sagt Thieswald. "Eine wichtige Erkenntnis ist, insbesondere die Angehörigen sehr frühzeitig mitzunehmen, um ihnen Sorgen und Ängste zu nehmen." Gerade zu Beginn der Pandemie hätten die unterschiedlichen Regelungen und fehlende Aufklärung eher zu Verunsicherung bei Beschäftigten und Angehörigen geführt.

"Es ist Zeit, zu einer gewissen Normalität zurückzukehren", sagt auch Elke Keiner, Geschäftsführerin der Soziale Dienste Pesterwitz GmbH, zu der das Seniorenheim Jochhöh in Pesterwitz bei Freital gehört. Im Oktober habe es den letzten positiven Schnelltest in ihrer Einrichtung gegeben. Der infizierte Bewohner sei isoliert versorgt worden. Alles sei glimpflich verlaufen.

2022 mehr Corona-Fälle bei Pflegekräften als je zuvor

Das deutlich größere Problem für Betreiber von Pflegeheimen ist seit Monaten die angespannte Personalsituation. Wie Daten von Barmer-versicherten Pflegekräften zeigen, fielen seit Beginn der Pandemie nicht annähernd so viele Beschäftigte mit einer Covid-Infektion aus wie im vergangenen Jahr.

Im März 2022 waren 167 von 10.000 Pflegekräfte wegen Corona krankgeschrieben – sechs Mal so viele wie im Vorjahresmonat. Im Vergleich zu Beschäftigten anderer Wirtschaftszweige fielen sächsische Pflegekräfte in den ersten beiden Corona-Wellen bis zu fünf Mal häufiger aus.

Brasilianische Pflegekräfte sollen Personalmangel lindern

Um dem Personalmangel entgegenzuwirken, fördert das Sozialministerium erstmals die Gewinnung von 150 ausländischen Fachkräften für die Pflege. Für 2023 bewilligte die Sächsische Aufbaubank 900.000 Euro. Bereits im Frühjahr sollen die ersten Pflegefachkräfte dann in Sachsen ankommen, überwiegend aus Brasilien. Derzeit absolvieren sie dort noch einen Deutschkurs, der schon von den künftigen Arbeitgebern begleitet wird. Ein Integrationskonzept soll ihnen dann das Ankommen und vor allem das Bleiben in der neuen Heimat erleichtern.

Sozialministerin Petra Köpping (SPD) spricht von einem "Gewinn für die sächsische Pflege". Die Menschen würden dringend benötigt. Ihr sei wichtig, dass die ausländischen Fachkräfte "mit offenen Armen aufgenommen, im Alltag unterstützt und integriert werden". Ziel sei, sie langfristig zu halten. "Das funktioniert nur, wenn sie sich in Sachsen wohlfühlen."

Laut den Daten des Barmer Pflegereports sind Sachsens Pflegekräfte überdurchschnittlich belastet. Nur jede fünfte Pflegekraft arbeitet in Vollzeit. "In Sachsen machen insbesondere niedrige Personalschlüssel Teilzeitbeschäftigung nötig, um mehr Mitarbeiter beschäftigen zu können", sagt Thieswald. Und wer in Teilzeit beschäftigt ist, arbeitet laut Report mit einer durchschnittlich höheren Stundenzahl als im Bundesdurchschnitt. Am Ende fehlt dennoch Personal. So kümmern sich in Sachsens Heimen 42 Fach- und Hilfskräfte um 100 Pflegebedürftige. Damit liegt die Fachkraftquote des Freistaates unter dem Bundesdurchschnitt von 46. "Viele Pflegekräfte sind müde, sie können einfach nicht mehr", sagt Sebastian Thieswald.

Psychische Ausnahmesituation für Beschäftigte

Die Kontaktsperren im Heim, die Verpflichtung für das Personal, Masken zu tragen, die Todesfälle, der Personalausfall – das alles habe an den Kräften gezehrt. In Hochzeiten habe man zudem 12-Stunden-Dienste in eigens eingerichteten Quarantänebereichen mit einem festen Mitarbeiterstamm eingeführt. Selbst die emotionale Zuwendung, die sonst von Angehörigen geleistet werde, hätten Pfleger geschultert. Das sei eine psychische Ausnahmesituation gewesen.

Thieswald: "Es ist wichtig, dass sich Menschen darauf verlassen können, im Bedarfsfall professionell und engagiert gepflegt zu werden. Gute Arbeitsbedingungen gehören genauso dazu wie Schutzkonzepte für Zeiten von Infektionswellen. Diese Lehre sollten wir aus der Corona-Pandemie für die Zukunft ziehen."

Geärgert habe sich der Aspida-Chef zudem über die Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht im März 2022. "Das hat uns etliche Kollegen gekostet", sagt Christophe Holzapfel, Leiter des Plauener Pflegecampus. Viele Gespräche habe er geführt, auch mit neuen Bewerbern, die er ungeimpft habe ablehnen müssen.

Sachsen ist bei der Impfquote im Ländervergleich Schlusslicht. Der Anteil der Ungeimpften unter den Pflegekräften lag im Juli 2022 bei 16,9 Prozent – und damit vier mal so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Inzwischen ist die Impfpflicht ausgelaufen.

Weniger Wechsel in die stationäre Pflege

Ein weiteres Ergebnis des Pflegereports: Zu Pandemie-Beginn hatten viele Angehörige große Bedenken, ihre Mutter oder ihren Vater in eine Einrichtung zu geben – aus Angst um deren Gesundheit. Die Anzahl der Älteren, die von der häuslichen Pflege in die stationäre Pflege wechselten, sank deutlich. Im April 2018 und 2019 zogen jeweils über 25.000 Menschen in ein Heim. Im Mai 2020 waren es nur noch 17.000. Das entspricht einem Minus von rund einem Drittel.

Nach Ansicht von Sebastian Thieswald hatte dieser Rückgang mehrere Gründe. "Zum einen war wegen der Kontaktbeschränkungen der Zugang zu Pflegeeinrichtungen erschwert oder gar nicht möglich. Zum anderen hatten die Angehörigen Sorge, dass sie ihre Nächsten bei einer Unterbringung in einem Pflegeheim nicht besuchen können." Durch Lockdown und Homeoffice sei Pflege zudem auch in der Häuslichkeit möglich gewesen.