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Das Geheimnis einer glücklichen Beziehung

Von Romantik ist keine Spur mehr? Paartherapeut Robert Herrmann aus Leipzig sagt, wie die Liebe eine Chance bekommt. Und wann es Zeit ist, zu gehen.

Von Sylvia Miskowiec
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Bleibe ich ich selbst, wenn ich mit dem anderen zusammen bin? Wer das bejahen kann, hat laut Paartherapeut Herrmann schon mal eine gute Basis für seine Beziehung.
Bleibe ich ich selbst, wenn ich mit dem anderen zusammen bin? Wer das bejahen kann, hat laut Paartherapeut Herrmann schon mal eine gute Basis für seine Beziehung. © 123rf

Die Unzufriedenheit bei deutschen Paaren scheint groß: Laut Umfragen sind zwei Drittel der aktiven Nutzer der Dating-App Tinder vergeben. Über ein Drittel der Ehen werden hierzulande wieder geschieden. Immerhin sind die Ehepartner im Durchschnitt fast 15 Jahre verheiratet gewesen, bevor sie getrennte Wege gehen. Der Leipziger Paartherapeut Robert Herrmann hatte einige davon in seiner Praxis – aber auch Menschen, die sich fürs Bleiben entschieden haben.

Robert Herrmann ist Paartherapeut und Coach. Er hat Psychologie und Wirtschaft studiert und lebt in Leipzig. Er begleitet seine Klienten in seiner Leipziger Praxis und auch online. Seine Arbeit beinhaltet gestalttherapeutische, traumasensible und systemis
Robert Herrmann ist Paartherapeut und Coach. Er hat Psychologie und Wirtschaft studiert und lebt in Leipzig. Er begleitet seine Klienten in seiner Leipziger Praxis und auch online. Seine Arbeit beinhaltet gestalttherapeutische, traumasensible und systemis © Clemens Roth

On-off-Geschichten, Trennungen, ewige Singles überall: Herr Herrmann, sind wir noch beziehungsfähig?

Grundlegend sind wir alle Beziehungswesen. Sobald wir irgendjemandem begegnen, gehen wir eine Beziehung ein. Das Wort ist ja nicht nur im romantischen Sinne zu verstehen. Ganz wichtig ist eine besondere Beziehung, nämlich die zu mir selbst. Jeder bringt zum Beispiel eigene verletzende Beziehungserfahrungen aus der Vergangenheit mit, denen er sich bewusst sein sollte, bevor er sich an eine neue Partnerschaft wagt. Das ist eher selten der Fall.

Ein bisschen Egoismus ist also förderlich für eine Beziehung?

Ich nenne es lieber die Fähigkeit, regelmäßig in sich hineinzuhorchen. Wie gehe ich mit mir selbst um? Was brauche ich, was trage ich dazu bei, wo brauche ich Unterstützung? Erst wenn ich das weiß und artikuliere, habe ich die Chance, dass mich andere verstehen und Beziehungen gelingen.

Nun passiert es aber meist unerwartet, dass man sich verliebt. Da habe ich doch vorher gar keine Zeit, lange in mich reinzuhören.

Im besten Falle tun Sie das eh regelmäßig (lacht). Wenn Sie verliebt sind, ist es sowieso schwer, denn da herrscht Ausnahmezustand im Gehirn, das ist wie im Drogenrausch. Diese Zeit vergeht nach einer Weile aber wieder. Gut dran ist dann, wer sich schon früh zwei Dinge fragt, immer mal wieder: Fühle ich mich sicher und geborgen im Kontakt mit dem anderen? Kann ich noch ich bleiben oder gebe ich zu viel von mir selbst auf?

Was, wenn die Antwort negativ ist?

Erst mal keine Panik: Das kommt in den besten Beziehungen vor. Denn die große Herausforderung in einer Partnerschaft ist die ständige Balance zwischen Bindung und Autonomie. Deswegen gibt es übrigens so einige On-Off-Beziehungen. Da geht es in der Regel um die große Frage: Inwieweit lasse ich mich auf jemanden ein und opfere dafür ein Stück eigener Freiheit? Das tut man in jeder Beziehung. Ich entscheide mich für eine solche Aufgabe immer wieder aufs Neue, mit jedem Kompromiss, das muss mir bewusst sein. Die Kunst besteht darin, ein gesundes und stimmiges Maß zu finden, und das ist für jeden individuell.

Liebe ist also eine Entscheidung?

Klingt unromantisch, ist aber letztlich so. Das Vertrackte daran: Es ist vergleichsweise leicht, eine Beziehung zu verlassen, um den Schmerz, der sich aufgebaut hat, nicht mehr zu spüren. Dabei könnte genau da die ernsthafte Arbeit anfangen. Sich zu fragen, was einen so triggert am anderen, an Dingen, die er oder sie sagt und tut.

Womit wir wieder bei der eigenen Innenschau wären ...

Besser gesagt beim Bewusstwerden der Beziehung zu einem selbst. Wie soll ich denn anderen meine Grenzen klar machen, wenn ich selbst gar nicht weiß, wie viel Raum ich für mich brauche? Das ist am Anfang einer Romanze meist kein Thema, wegen der Verliebtheit – wohl aber, wenn ein bisschen Zeit ins Land gezogen ist.

Ab wann stellen sich Ihrer Erfahrung nach die ersten Paar-Probleme ein?

Das ist unterschiedlich, doch im Schnitt sind es ein bis drei Jahre. Die Verliebtheit des Anfangs weicht langsam dem Alltag. Hier geht das Lieben eigentlich erst los. Es kribbelt zwar weniger, doch die Gefühle und das Vertrauen sind tiefer. Gleichzeitig entdecken viele in dieser Zeit die eigenen, bisher vernachlässigten Bedürfnisse und Herzenswünsche wieder, meist auch ausgelöst durch bestimmte Veränderungen.

Welche wären das?

Alle Veränderungen, für die man den eigenen Raum verlassen hat. Das meine ich sogar physisch, etwa, weil man zusammengezogen ist. Aber vor allem meine ich das auf einer Gefühlsebene. Da kommt das erste Kind – und zur Freude über den Nachwuchs kommt ein latent ungutes Gefühl, weil man selbst kaum noch Aufmerksamkeit vom Partner bekommt. Andere Menschen verspüren in der Zeit zwischen Verlobung und Hochzeit plötzlich Angst, weil sie meinen, ihr bisheriges Leben, ihre Autonomie zu verlieren. Die Liebe ist in all diesen Fällen oft noch da, wird aber weniger bewusst wahrgenommen. Ist für uns gefühlt etwas in Gefahr beziehungsweise verspüren wir eine innere Not und unerfüllte Bedürfnisse, glauben wir oft, die Beziehung sei am Ende, sind traurig und trennen uns. Wir könnten aber stattdessen an uns und der auftauchenden Beziehungsdynamik forschen und arbeiten.

Das klingt nach einem längeren Prozess und viel Arbeit ...

Allerdings. Es ist manchmal schon schwer genug, zu formulieren, was man braucht und möchte. Dazu kommt noch die Frage: Was tue ich aktiv dafür, meine Beziehung zu stärken, gerade im Alltag? Menschen neigen beispielsweise dazu, eher den Mangel im anderem statt die Verbindung zueinander zu sehen. Das führt dann oft zu den Vorwürfen mit den Worten „immer“ oder „nie“, statt zu Verständnis füreinander und damit zu Lösungen. Kommunikation sollte immer respekt- und würdevoll ablaufen.

Wie schaffe ich einen Konflikt mit meinem Partner würdevoll aus der Welt?

Die generelle Frage ist, ob man sich gesehen und gehört fühlt, mit allem, was bezüglich des Konflikts auftaucht. Ob jeder der beiden Partner sein darf, wie er ist. Ist dem so, dann ist nicht viel Platz für Drama und Eskalation, Vorwürfe und Schlechtmacherei. Es lohnt sich, zu schauen, was hinter einem Konflikt wirklich steckt. Bei dem einen äußert sich das in Wut, bei dem anderen in Traurigkeit, was auch immer. Gestalttherapeuten sagen: „Was ist, darf sein, und was sein darf, kann sich verändern.“ Wir sollten also das, was unser Gegenüber äußert, erst einmal anerkennen und uns nicht gleich angegriffen fühlen oder Vorwürfe zurückschießen oder irgendetwas dagegen aufrechnen.

Wenn wir ehrlich sind, ist es in emotional aufgeladenen Momenten schwer, die Contenance zu behalten.

Ja, das sehe ich auch oft in meiner Praxis. Ich greife da recht schnell ein und spiegele den Menschen ihr Verhalten. Ich versuche, ihr Bewusstsein dafür zu wecken und ihre eigentlichen Bedürfnisse hinter dem Verhalten zu erfragen. Wir dürfen eines nicht vergessen: Die meisten von uns haben genau das schlichtweg nicht gelernt. Unsere Eltern waren meist keine guten Vorbilder. Zu ihrer Zeit war es eher unüblich, sich mit Bedürfnissen, tieferen Gefühlen, Scham und eigenen Grenzen zu beschäftigen.

Plädieren Sie aus diesem Grund für das Schulfach „Beziehungen“?

Absolut. So würden wir schon früh lernen, gar nicht erst in solche Spiralen von Anschuldigungen und Gegenvorwürfen zu kommen und sie zumindest zeitig erkennen und verlassen. Wir hätten viel mehr Verständnis füreinander. Es ist eine Kunst, miteinander in Verbindung zu bleiben und zu respektieren, dass der eine A will, der andere aber B. Dass wir keinen Schuldigen für Probleme suchen, sondern die Bedürfnisse dahinter. Das mag nach viel Arbeit klingen, aber daraus gewinnt man mehr Lebendigkeit, mehr Tiefe und Leichtigkeit. Natürlich wird es auch bei wertschätzend miteinander kommunizierenden Paaren Krisen geben. Doch die Dramatik ist bei denen deutlich kleiner.

Sie raten Paaren zu einem regelmäßigen „Beziehungs-TÜV“. Was ist das?

Eine Kontrolle des Status, ob man noch in dieselbe Richtung schaut und geht. Jedes Paar sollte sich ein Mal im Jahr fragen, wo sich jeder von beiden gerade sieht, was die Vision und die Wünsche für die Zukunft sind und welche Überschrift die Partnerschaft tragen könnte.

Was sind Beziehungskiller?

Alle Extreme: sich anschweigen, sich anschreien, unsachlich werden. Der amerikanische Paarforscher John Gottman spricht ganz treffend von den „Vier apokalyptischen Reitern“: destruktive, vorwurfsvolle Kritik, Verachtung, Abwehr und Rückzug.

Wann sollte Schluss sein?

Kritisch wird es, wenn sich ein Machtgefälle ausgebildet und einer sich selbst für den anderen verlassen hat. Etwa wenn ein Partner seine Bedürfnisse und Werte der Beziehung und dem Partner zuliebe ständig hintenan stellt. Das funktioniert einige Zeit, doch irgendwann werden der Schmerz und die Unzufriedenheit zu groß. Sich das einzugestehen, den Mut zu haben, aus dieser Situation auszusteigen, ist hart. Oft ist das auch das Ende der Beziehung.

Glücklicher in der Beziehung mit der Gottman-Konstante

  • Der amerikanische Psychologe und Verhaltenstherapeut John Gottman hat über mehre Jahrzehnte Studien mit über 3.000 Paaren durchgeführt.
  • Er fand heraus, dass die Art und Weise, wie Paare mit Konflikten umgehen, und die Emotionen dabei entscheidend sind für den Erfolg einer Beziehung.
  • Vor allem eines ist dem Wissenschaftler aufgefallen: In glücklichen Partnerschaften ist das Verhältnis von negativem zu positivem Verhalten mindestens eins zu fünf.
  • Auf eine abwertende Bemerkung sollten also fünf Nettigkeiten folgen, etwa ein Lächeln oder ein liebesvolles Streicheln über den Arm.
  • Diese Regel kann dazu benutzt werden, die eigene Beziehung zu reflektieren und gegebenenfalls an ihr zu arbeiten – und an uns, indem wir von vornherein überlegen, ob eine pampige Reaktion wirklich sein muss.