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Ohne Drogen im Rausch auf dem Hof Bockelwitz Nr. 3

Auf dem Hof Bockelwitz Nr. 3 gibt es ein relativ neues Angebot: Prävention für Jugendliche und deren Eltern. Dabei wird auf eigenes Erfahren gesetzt. Und es erzählen Betroffene, die auf bestem Weg aus verschiedenen Abhängigkeiten sind.

Von Heike Heisig
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Michael Köste von der Diakonie Döbeln zeigt eine der Brillen, mit denen sich simulieren lässt, wie der Körper auf Alkoholkonsum reagiert. Das können Schüler und Eltern testen, die sich in Bockelwitz mit Suchtprävention beschäftigen.
Michael Köste von der Diakonie Döbeln zeigt eine der Brillen, mit denen sich simulieren lässt, wie der Körper auf Alkoholkonsum reagiert. Das können Schüler und Eltern testen, die sich in Bockelwitz mit Suchtprävention beschäftigen. © SZ/DIetmar Thomas

Leisnig/Bockelwitz. Sie sieht aus wie eine Brille, mit denen Motorradfahrer vor Jahrzehnten durch die Gegend geknattert sind. Doch diese Brillen können mehr als die damaligen, nämlich simulieren: Was passiert mit meinem Körper, wenn ich mehr als ein halbes Glas Sekt getrunken oder Rauschmittel konsumiert habe?

Wann kann ich nur verzögert oder gar nicht mehr reagieren? Das und mehr dürfen Jugendliche und ihre Eltern bei einem Präventionsprojekt auf dem Hof Bockelwitz Nr. 3 ausprobieren – völlig alkohol- und drogenfrei.

Angebote werden gut angenommen

Die bisherigen Angebote sind gut angenommen worden, unter anderem von Schulen aus Hartha. Nur etwa zwölf Mal im Jahr gibt es solche Nachmittage, obwohl der Bedarf gewiss größer wäre.

Doch es gibt einen Grund dafür, dass sich die Gastgeber sozusagen selbst einschränken und ab einem gewissen Punkt Stopp sagen: Zwischenstopp. So heißt das Projekt des Diakonischen Werkes Döbeln, für das Michael Köste als Koordinator vor Ort eingesetzt ist. Seit 2016 ist es in Zusammenarbeit mit dem Verein „Jugend in Arbeit“ im Angebot.

Seitdem werden süchtige Männer auf ihrem Weg in ein Leben ohne Abhängigkeit begleitet. Zwischenstopp setzt nach dem Entzug in einer Klinik ein, und der Hof in Bockelwitz ist so lange das Zuhause der Männer, bis diese mit einer Langzeittherapie starten können.

In Bockelwitz bekommen sie sinnvolle Aufgaben, kümmern sich beispielsweise um die Reparatur von Bänken und anderem Stadtmobiliar. Aber sie halten auch das große Grundstück in Ordnung.

Michael Köste begleitet sie zu Therapien und ist auch sonst Ansprechpartner. Bezüglich der Prävention werden die Zwischenstopp-Teilnehmer eingebunden. Sie können Eltern und Schülern aus erster Hand erzählen, wann und wie sie das erste Mal mit Drogen in Kontakt gekommen sind, was sie während ihrer Sucht durchgemacht und was sie bewogen hat, auf ein Leben ohne Abhängigkeiten hinzuarbeiten.

Unterstützung vom Fachkrankenhaus Bethanien

Unterstützend kommen ein Facharzt und ein Therapeut vom Fachkrankenhaus Bethanien hinzu. Das Honorar konnte zum Beispiel teilweise aufgrund einer Zuwendung aus der Charlotte-Weiß-Stiftung, die es in Leisnig gibt, beglichen werden.

Annett Voigtländer vom Vorstand des Vereins Jugend in Arbeit sieht in diesem Präventionsangebot doppelt Sinn. Für die Jugendlichen ist es zweifellos interessant, von Betroffenen zu hören, wie sie in Versuchung und die Abhängigkeit geraten sind.

Sie denkt aber auch an die Eltern: „Auf welchem anderen Weg kommt man mit dem Präventionsthema schon an Erwachsene heran?“ Mütter und Väter würden häufig staunen, wo es inzwischen überall Drogen und andere Suchtmittel gibt.

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Und bisweilen wirft so ein Nachmittag auf dem Hof Nr. 3 in Bockelwitz auch einen anderen Blick auf das Thema Sucht. Denn Menschen beinahe jedes Alters werden nicht nur von Crystal oder Alkohol abhängig.

Weniger im Blick, aber auch verhängnisvoll können Spiel-, Ess- oder Magersucht sein. Selbst wer sein Handy nicht aus der Hand legen kann, gilt ab einem bestimmten Zeitpunkt als süchtig.

Die Veranstaltung für Schüler und Eltern in Bockelwitz soll aufklären und helfen, Zeichen im Zusammenhang mit Suchtgefahr zu erkennen. Die gibt es im Alltag vielleicht auch im erweiterten Familienkreis bei den Großeltern oder im Kollegenkreis.

Betroffene teilen ihre Erfahrungen

Meist berichten die Betroffenen dann davon, wie sie sich Hilfe geholt haben und weshalb es sich lohnt, die anzunehmen. Mitunter auch zum zweiten oder dritten Mal. Denn nicht alle Männer, die von Bockelwitz zur Langzeittherapie gehen, schaffen es beim ersten Versuch, von Drogen oder Alkohol loszukommen.

Der Präventionsnachmittag soll darüber hinaus dabei helfen, zu entstigmatisieren. Denn auch wer von den Drogen nicht die Finger lassen kann, der ist kein Junkie. So werden Süchtige zwar häufig abfällig bezeichnet. „Doch wörtlich übersetzt heißt Junkie Müll. Und so sollte kein Mensch bezeichnet werden“, sagt Michael Köste.

Er sieht der teilweisen Legalisierung von Drogen in Deutschland noch abwartend entgegen. Die Auswirkungen müssten sich erst zeigen. Bisher haben die Experten zwei Dinge beobachtet: Ein totales Verbot führe häufig zu einem extremen Missbrauch, und der Wegfall sämtlicher Verbote dazu, dass jegliche Hemmschwelle wegfällt.

„Je mehr die Leute über das Thema Abhängigkeiten wissen, desto verantwortungsvoller können sie damit umgehen“, ist der Zwischenstopp-Koordinator überzeugt.