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So oft wird bei Pillen und Pulvern für die Gesundheit getrickst und getäuscht

Landeskontrolleure haben 182 Nahrungsergänzungsmittel geprüft. Einige waren sogar gesundheitsschädlich. Trotzdem steigt die Nachfrage.

Von Katrin Saft
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Kann man einnehmen, muss man aber nicht: Kapseln mit Omega-3-Fettsäuren sind nach Einschätzung der Stiftung Warentest verzichtbar.
Kann man einnehmen, muss man aber nicht: Kapseln mit Omega-3-Fettsäuren sind nach Einschätzung der Stiftung Warentest verzichtbar. © dpa

Die Warnliste der Verbraucherzentrale zu Nahrungsergänzungsmitteln liest sich wie ein Krimi: Ein „pflanzliches“ Mittel für gesunde Muskeln, das klammheimlich Schmerzmittel enthält. „Health Mission“, eine „Darmstoffwechsel-Kur“, die Multiple Sklerose heilen soll. „Muscimol Gummies“ in Bärchenform, in denen Fliegenpilz-Gift steckt, das die Psyche beeinflusst. Salmonellen im Bio-Moringa-Pulver, um nur einige zu nennen.

Ungeachtet dessen greifen immer mehr Menschen zu frei verkäuflichen Mitteln, die der Gesundheit dienen sollen. Sie erhoffen sich davon eine bessere Versorgung mit Nährstoffen, einen Ausgleich von Unterversorgungen, die Unterstützung verschiedenster Körperfunktionen oder gar eine Entgiftung. Laut einer Studie des Marktforschers Mintel gaben die Deutschen im vergangenen Jahr geschätzt 1,78 Milliarden Euro für Nahrungsergänzungsmittel aus – ein Plus von 4,8 Prozent zum Vorjahr trotz Inflation und steigender Lebenshaltungskosten. 2028 werden mehr als zwei Milliarden Euro Umsatz erwartet. „Der Dauerkrisenmodus führt zu einem sinkenden Gesundheitsempfinden“, sagt Hannah Sandow von Mintel Germany, „während gleichzeitig das Gesundheitsbewusstsein steigt.“ Auch weil sich heute viele Menschen nicht mehr ausgewogen ernähren oder an der Qualität von Lebensmitteln zweifeln, steigt die Nachfrage.

Wirksamkeit nicht nachzuweisen

Zwar erwecken Nahrungsergänzungsmittel, die auch in Apotheken angeboten werden, den Eindruck von Arzneimitteln. Doch rein rechtlich zählen sie zu den Lebensmitteln. Insofern sind sie auch nicht dazu bestimmt, Krankheiten zu heilen oder zu verhüten. Anders als Arzneimittel, die ein Zulassungsverfahren durchlaufen, unterliegen Nahrungsergänzungsmittel nur einer Registrierungspflicht beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit muss nicht nachgewiesen werden. Das lädt zu Missbrauch ein.

Die Landesuntersuchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen Sachsen (LUA) hat im vergangenen Jahr eine Stichprobe von 182 Nahrungsergänzungsmitteln überprüft. 71 Prozent davon entsprachen nicht den rechtlichen Vorgaben. Ein ähnlich schlechtes Ergebnis wie in den Vorjahren. „Ein Großteil der Mittel mussten wir wegen Kennzeichnungsmängeln beanstanden“, sagt LUA-Präsident Jens Albrecht. „Oft wurde mit unzulässigen krankheits-, gesundheits- oder nährwertbezogenen Aussagen geworben.“ Auch irreführende Angaben seien ein häufiges Problem.

Nahrungsergänzungsmittel nicht immer harmlos

Nahrungsergänzungsmittel erscheinen auf den ersten Blick natürlich und harmlos. Sie werden oft als rein pflanzlich beworben. Tatsächlich können solche Präparate, die häufig über das Internet vertrieben werden, gesundheitlich riskante Substanzen enthalten. So bestand bei 13 der von der LUA untersuchten Mitteln der Verdacht, dass es sich nicht um Lebens-, sondern um Arzneimittel handelt. „In zwölf Fällen hat sich dieser Verdacht im Labor bestätigt“, so Albrecht. Zwei der Proben enthielten zum Beispiel Alpha-Liponsäure und Silymarin. Letztere wird bei Leberzirrhose und toxischen Leberschäden verordnet.

Vier Mittel mussten die Landesprüfer sogar als gesundheitsschädlich einstufen – darunter Vitamin-B17-Kapseln, in denen zu viel Cyanid steckte. Zwei Präparate mit Kieselerde enthielten unzulässig viel Aluminium. Selbst wenn das Nahrungsergänzungsmittel aus der Heimat stammt, ist das noch kein Qualitätsausweis. „Wir haben im vergangenen Jahr 48 Proben von 21 Inverkehrbringern aus Sachsen untersucht“, so Albrecht. „Alle waren zu beanstanden.“ Neun Produkte hätten als Arzneimittel eingestuft werden müssen.

Zu hoch dosiert und verunreinigt

Auch das Europäische Schnellwarnsystem für Lebensmittel RASFF warnt regelmäßig vor bedenklichen Nahrungsergänzungsmitteln. Typische Probleme: zu hoch dosierte Mineralstoffe und Vitamine, unzulässige Inhaltsstoffe, bakterielle Verunreinigungen, Belastungen mit Schwermetallen oder mit natürlichen Giften wie Blausäure, Pyrrolizidinalkaloiden oder Polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK). Laut RASFF sind Mittel für Sportler und zur Gewichtsabnahme sowie Potenzmittel am häufigsten betroffen.

Für die Sicherheit der Produkte zeichnen die Hersteller verantwortlich. Zwar werden sie von den Lebensmittelüberwachungsbehörden kontrolliert. Doch durch die Globalisierung und den Internethandel ist der Markt sehr unübersichtlich. Und angesichts immer neuer Produkte mit teils neuartigen Zutaten kommen die Behörden kaum nach. So wurden bei den Stichproben in Sachsen fünf Produkte aus den Regalen genommen, die Zutaten enthielten, die in der EU noch gar nicht zugelassen sind.

„Vollzugsmaßnahmen sind bei Nahrungsergänzungsmitteln schwierig“, sagt LUA-Präsident Albrecht, „weil wir oft nicht an die Hersteller rankommen.“ Die Fluktuation sei groß. Und kaum sei ein Mittel oder eine Werbung untersagt, würden neue Produkte auf den Markt kommen.

Ernährung und Lebensstil ändern

Die Nahrungsergänzungsmittel-Verordnung schreibt auf der Verpackung lediglich einen Warnhinweis vor: „Die angegebene empfohlene tägliche Verzehrmenge darf nicht überschritten werden.“ Angaben zu Neben- und Wechselwirkungen sowie zu Gegenanzeigen sind nicht verpflichtend. Für den früheren Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), Professor Helmut Heseker, dienen Nahrungsergänzungsmittel oft der Gewissensberuhigung. Stattdessen empfiehlt die DGE eine Umstellung des Ernährungs- und Lebensstils – hin zu mehr Obst und Gemüse, hin zu einer größeren Vielfalt biologisch aktiver Substanzen. Die überwiegende Zahl der Menschen in Deutschland sieht sie mit Vitaminen ausreichend versorgt.

Auf ihrer Internetseite veröffentlicht die Gesellschaft Richtwerte für die Zufuhr von Nährstoffen, Vitaminen, Mengen- und Spurenelementen. Ein Bluttest, den die gesetzlichen Krankenkassen allerdings nicht bezahlen, kann Klarheit bringen, ob man persönlich gut versorgt ist.

Ab Herbst darf es etwas mehr Vitamin D sein

Nur für einzelne Risikogruppen empfehlen die Wissenschaftler eine Supplementierung. Schwangere und Stillende zum Beispiel sollten zusätzlich Jod- und Eisenpräparate nehmen. Veganer und Vegetarier brauchen B12. Und wer sich kaum in der Sonne aufhält, sollte zumindest ab Herbst Vitamin D ergänzen.

Marktanalyst Mintel sieht in der älter werdenden Bevölkerung neues Potenzial für Nahrungsergänzungsmittel – für gesundes Altern und Prävention. Anbieter wie das Berliner Unternehmen Sunday Natural spüren diesen Trend schon lange. Sie machen Millionenumsätze – mit der Hoffnung auf ewige Kraft und Jugend.

Das muss auf der Verpackung stehen

  • „Nahrungsergänzungsmittel“ ist die verbindliche Bezeichnung.
  • Angaben zu produktprägenden Nährstoffen, z. B. „mit Calcium und Vitamin D“
  • Zutatenverzeichnis
  • Allergene Zutaten sind hervorzuheben.
  • empfohlene tägliche Verzehrmenge in Portionen
  • Warnhinweis „Die empfohlene tägliche Verzehrmenge darf nicht überschritten werden.“
  • Hinweis, dass Nahrungsergänzungsmittel kein Ersatz für eine ausgewogene Ernährung sind
  • Hinweis, das Produkt außerhalb der Reichweite von Kindern aufzubewahren
  • Mengenangabe
  • Mindesthaltbarkeitsdatum
  • Name oder Firma und Adresse des Herstellers, Verpackers oder Verkäufers
  • Nährwertangaben und Angaben zur Bedarfsdeckung