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Bei Brustkrebs wird Chemotherapie immer seltener nötig

4.000 Frauen aus Sachsen erhalten pro Jahr die Diagnose. Dank neuer OP-Möglichkeiten ist sie auch bei fortgeschrittenem Krankheitsverlauf kein Todesurteil mehr.

Von Stephanie Wesely
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Wichtige Vorsorge: So sieht eine gesunde Brust in der Röntgenaufnahme aus.
Wichtige Vorsorge: So sieht eine gesunde Brust in der Röntgenaufnahme aus. © dpa

Dresden. Brustkrebs ist die häufigste bösartige Erkrankung der Frau. In Sachsen werden pro Jahr rund 4.000 Frauen neu mit dieser Diagnose konfrontiert. Deutschlandweit sind es etwa 70.000. Positiv ist, dass mehr als neun von zehn Brustkrebspatientinnen in Sachsen diese Krankheit fünf Jahre und länger überleben. Senologen (Brustspezialisten) haben das Ziel, dass auch fortgeschrittene Krebserkrankungen kein Todesurteil mehr sind. Sächsische.de sprach mit Professor Adrien Daigeler, Direktor der Klinik für Plastische und rekonstruktive Chirurgie in Tübingen, über neue Operationsmöglichkeiten, die ambulante Brustkrebschirurgie und die Zukunft der Chemotherapie.

Herr Professor Daigeler, die Operation ist ja meist der erste Therapieschritt. Wie erfolgreich sind Sie damit?

Mehr als 70 Prozent der Patientinnen können heute bereits brusterhaltend operiert werden. Wir nutzen bildgebenden Verfahren, wie den intraoperativen Ultraschall, um den Tumor vollständig aus der Brust zu entfernen. Diese Präzisionschirurgie ist möglich, da wir nicht mehr „blind“ operieren, sondern mit dem Ultraschall sehen, wo wir das Gewebe durchtrennen. Ob ähnlich wie bei den Operationen am Bauch man in der Zukunft mit Robotern operiert wird, kann man aktuell noch nicht absehen. Die Verfahren sind aktuell noch sehr teuer und ihr Nutzen ist Gegenstand aktueller Forschungsprojekte.

Um Kosten zu senken, sollen doch immer mehr Operationen ambulant durchgeführt werden. Gilt das auch für die Brustkrebschirurgie?

Das lässt sich im Moment noch nicht sagen, denn der Katalog der künftig nur noch ambulant möglichen Operationen ist noch nicht vollständig. Wir rechnen aber damit, dass auch kleinere Eingriffe in der Brustkrebschirurgie künftig ausschließlich ambulant erfolgen – Gewebeentnahmen zum Beispiel. Uns ist es aber wichtig, dass die Patienten ambulant nicht schlechter versorgt werden als stationär.

Professor Adrien Daigeler (50) leitet die Klinik für Plastische Chirurgie Tübingen. Er gehört der Gesellschaft für Senologie an. Foto: UKT
Professor Adrien Daigeler (50) leitet die Klinik für Plastische Chirurgie Tübingen. Er gehört der Gesellschaft für Senologie an. Foto: UKT © UK Tübingen

Welche Bedenken haben Sie bei ambulanten Brustkrebs-Operationen?

Wenn Patienten gleich nach der ambulanten OP wieder nach Hause entlassen werden, muss die Nachsorge gewährleistet sein. Oft scheitert es schon an der Frage, wie der Transport dahin erfolgt. Dann sollten die Patienten nicht allein auf sich gestellt sein. In anderen Ländern, wo mehr als bei uns ambulant operiert wird, gibt es spezielle Versorgungsstrukturen für die Nachsorge, zum Beispiel speziell geschulte Hausärzte oder Pflegepersonal, das die Patienten aufsucht und versorgt. Doch an diesen Fachkräften mangelt es bei uns. Deshalb sehe ich da noch viel Handlungsbedarf. Die Fachgesellschaften stehen aber dazu im Austausch mit der Politik. Das wird aber kein vordergründiges Thema des Kongresses sein.

Die personalisierte Krebstherapie wird immer wieder genannt. Wie individuell wird denn derzeit schon behandelt?

Die Therapie des Mammakarzinoms hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Dies war vor allem bedingt durch tumorbiologische und genetische Analysen, die zu einem besseren Verständnis der molekularen Strukturen der Tumorzellen sowie deren Interaktionen führten. Dadurch konnten neue zielgerichtete Substanzen entwickelt werden. Mit diesen Tests lässt sich ermitteln, welche Tumorbiologie vorliegt, ob er mit Hormonpräparaten, Antikörpern oder Chemotherapie effektiv behandelt werden kann. Ziel dieser genauen Untersuchungen ist es, dass wir so effektiv wie möglich behandeln und den Einsatz von aggressiven Therapieformen vermindern können. Personalisiert heißt, dass keine Brustkrebsbehandlung wie die andere ist, sondern individuell und optimal Erkrankung und Patientin angepasst wird.

Ist das erfolgreich?

Ja, die gute Nachricht für unsere Patientinnen ist, dass diese neuen Therapien vielfach effektiver und auch mit weniger Nebenwirkungen verbunden sind als eine herkömmliche Chemotherapie. Die neuen Therapien haben in den letzten Jahren zu einer Verbesserung des Überlebens geführt und in verschiedenen Therapielinien bereits die Chemotherapie abgelöst. Damit kann in vielen Fällen heute das metastasierte Mammakarzinom als eine chronische Erkrankung behandelt werden.

Ein längeres Überleben ist sicher ein Erfolg, aber mit welcher Lebensqualität?

Die Patientinnen können dank der neuen Medikamente viele Jahre in guter Qualität leben. Dazu trägt auch die plastische Chirurgie bei.

Welche neuen Ansätze gibt es in der plastischen Chirurgie?

Kommt es tumorbedingt zu größeren Gewebedefekten, oder muss die Brust komplett entfernt werden, dann stellt dies für die betroffene Frau eine Einschränkung der Lebensqualität dar. Das nach der Operation fehlende Volumen kann durch Silikonimplantate ausgeglichen werden. Bei schlechter Gewebequalität an der Brust oder einer notwendigen Bestrahlung kann eine Eigengewebsverpflanzung von einer anderen Körperstelle eine gute Lösung sein. Überschüssiges Gewebe kann vom Bauch, dem Gesäß oder den Oberschenkeln mit den kleinsten zugehörigen Blutgefäßen entnommen und mit mikroskopischer Hilfe an der Brust wieder angeschlossen werden. Auch das feine Wiedereinspritzen von an anderer Stelle abgesaugten Fettzellen kann kleinere Gewebedefekte gut auffüllen. Das Fett baut sich leider immer teilweise wieder ab, sodass oft mehrere Eingriffe nötig sind. Dieses schonende Verfahren ist in geübten Händen eine wertvolle Ergänzung zu etablierten Verfahren.

Die Fülle an Therapien und Informationen, die über den Tumor gesammelt werden, wird immer größer. Wie behalten Sie den Überblick, welche Behandlung wann sinnvoll ist?

Die Grundidee der Senologie ist, dass sich die unterschiedlichsten Fachdisziplinen kompetent und kooperativ um die Patientinnen kümmern. Das Wissen und die Fertigkeiten sind mittlerweile so speziell, dass keine Disziplin das alleine überblicken und leisten kann. Der Schlüssel zum Erfolg ist, dass wir gemeinsam in Konferenzen zusammensitzen und jede Patientin von der Diagnostik bis zu Nachsorge besprechen.