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Sachsen

Krankenkassen in Geldnot - erhöht auch die AOK Plus erneut den Beitrag?

Der Chef von Sachsens größter Krankenkasse über Kostentreiber, ineffiziente Gesundheitsstrukturen und die Aufregung über Homöopathie und Bürgergeldempfänger.

Von Katrin Saft
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Rainer Striebel ist Vorstandsvorsitzender der AOK Plus. Erhöht auch Sachsens größte Krankenkasse erneut den Beitrag.
Rainer Striebel ist Vorstandsvorsitzender der AOK Plus. Erhöht auch Sachsens größte Krankenkasse erneut den Beitrag. © dpa/SZ

Die gesetzlichen Krankenkassen schlagen Alarm: Die Ausgaben steigen schneller als die Einnahmen. Im ersten Quartal haben die Kassen mit einem Minus von 776 Millionen Euro abgeschlossen. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres lag das Defizit noch bei 162 Millionen Euro. Auf politischen Beschluss mussten sie bereits ihre Finanzreserven abschmelzen. Sie liegen laut Bundesgesundheitsministerium bei nur noch 0,3 Monatsausgaben. Das reicht gerade mal für etwa zehn Tage.

Das unabhängige Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) warnt jetzt vor drastischen Beitragserhöhungen. Bereits 2025 könne der Durchschnittsbeitrag der gesetzlichen Krankenkassen von derzeit 16,3 auf 16,9 Prozent steigen. Eine Prognose für 2035 geht von 19,3 Prozent aus – wenn sich nichts ändert.

Die SZ sprach über die Finanzsituation der gesetzlichen Krankenkassen mit Rainer Striebel, Vorstandsvorsitzen von Sachsens größter Krankenkasse, der AOK Plus.

Rainer Striebel, Vorstandsvorsitzender der AOK Plus.
Rainer Striebel, Vorstandsvorsitzender der AOK Plus. © Foto: SZ/Veit Hengst

Herr Striebel, die AOK Plus hat zum Jahresanfang ihren Zusatzbeitrag um 0,3 Prozentpunkte erhöht. Müssen sich auch Ihre Versicherten schon bald auf die nächste Erhöhung einstellen?

Unser Ziel ist es, bis Jahresende hinzukommen und in diesem Jahr Beitragserhöhungen zu vermeiden. Klar ist aber, dass sich auch die AOK Plus den allgemeinen Finanzproblemen im Gesundheitswesen nicht entziehen kann. Wir sehen gerade, dass mehrere Krankenkassen jetzt sogar unterjährig Beitragserhöhungen ankündigen. Und es werden noch einige weitere folgen.

Worin sehen Sie die Ursachen?

Im Wesentlichen sind es drei Ursachen. Zum einen haben dieses Jahr viele Krankenkassen ihre Beiträge nicht kostendeckend kalkuliert. Da der Gesetzgeber die Rücklagen abgeschöpft hat, bleibt ihnen jetzt nichts anderes übrig, als die Beiträge anzupassen. Zweitens trifft die Kassen ein nachgelagerter Effekt. Durch höhere Lohnabschlüsse in vielen Branchen sind im letzten Jahr auch die Beitragseinnahmen gestiegen und konnten die Finanzen stabilisieren – aber nur kurzfristig. Denn nun schlagen die Lohnsteigerungen der Beschäftigten im Gesundheitswesen in Form von höheren Kosten zu Buche. Und drittens sind von Versicherten wieder mehr Leistungen in Anspruch genommen worden.

Was konkret sind die Kostentreiber?

Wir haben es zum Beispiel mit überraschend hohen Ausgabensteigerungen bei Arzneimitteln zu tun. Es werden nicht nur mehr Medikamente verordnet, sondern neue Arzneimittel kommen zu immer höheren Preisen auf den Markt. Gleichzeitig sind Ende 2023 bundesweit die Hersteller-Rabatte auf Arzneimittel ausgelaufen. Hohe Kostensteigerungen sehen wir insbesondere auch bei Krankengeld und Physiotherapie.

Physiotherapie? Die meisten Menschen klagen doch, dass ihr Arzt mit Verordnungen geizt.

Wir haben im Freistaat eine überdurchschnittlich hohe Dichte an Physiotherapeuten, aber auch mit die älteste Bevölkerung. Insofern wird überdurchschnittlich häufig Physiotherapie verordnet. Zudem sind die Preise dafür gestiegen.

Etwa ein Drittel ihrer Einnahmen gibt die AOK Plus für Krankenhäuser aus. Wie entwickeln sich hier die Kosten?

Auch da sind die Ausgaben deutlich gestiegen – von 2022 zu 2024 um etwa 14 Prozent. Für alle gesetzlichen Krankenkassen macht das über 800 Millionen Euro mehr für Sachsens Krankenhäuser aus. Und trotzdem reicht das aus Sicht der Kliniken für stabile Finanzergebnisse nicht aus.

Woran liegt das?

Vor allem an höheren Tarifabschlüssen und an neuen gesetzlichen Regeln zur Vergütung von Pflegeleistungen in Krankenhäusern sowie an inflationsbedingt steigenden Sachkosten. Mit höheren Fallzahlen haben wir es hier nicht zu tun. Im Gegenteil. Während die Bevölkerung in Städten wie Leipzig und Dresden wächst, nimmt sie in ländlichen Regionen wie im Erzgebirge oder Ostsachsen ab. Wenn Kliniken dort ihre Betten nicht auslasten können, wird das ein wirtschaftliches Problem.

Die Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach soll es richten. Die gesetzlichen Kassen wehren sich zurzeit allerdings heftig dagegen, Mehrkosten dafür zu übernehmen.

Die Krankenhausreform wird von uns grundsätzlich unterstützt. Allerdings ist aus unserer Sicht die vorgesehene Finanzierung durch die Beitragszahlenden der völlig falsche Ansatz. Gesetzlich Versicherte und Arbeitgeber sollen sich mit ihren Beiträgen zehn Jahre lang mit insgesamt 25 Milliarden Euro an einem Transformationsfonds für die Krankenhausreform beteiligen. Für die gesetzlichen Krankenkassen in Sachsen kämen da 1,25 Milliarden Euro zusammen. Zum einen blieben damit die besser verdienenden privat Versicherten außen vor. Und zum anderen ist es nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, Kosten für die Umstrukturierung oder den Zusammenschluss von Kliniken zu übernehmen. Diese Investitionen müssen durch die öffentliche Hand erfolgen. Sollte der Gesetzgeber jedoch daran festhalten, den nötigen Strukturwandel mit Beitragsgeldern zu finanzieren, erwarten wir aber auch ein entscheidendes Mitspracherecht dabei. Wir lassen uns nicht zum Zahlmeister degradieren.

Wobei würden Sie denn gern mitreden?

Wir werden uns konsequent dafür einsetzen, dass im Ergebnis der Krankenhausstrukturreform für die Bevölkerung in Sachsen eine qualitativ hochwertige Behandlung gesichert ist. Und dass die Krankenhäuser für den Großteil der Menschen gut erreichbar sind. Allein immer mehr Geld ins System zu pumpen, löst unser größtes Problem dabei nicht.